Die Deutsche Oper Berlin spart am Glamour, lässt die Stimmen glänzen und betont die Notwendigkeit zu helfen

Opernnacht für die deutsche AIDS-Stiftung  Deutsche Oper Berlin, 2. November 2024

Margot Friedländer © CHLietzmann

Den wärmsten Applaus an diesem Abend erhält Margot Friedländer, die kurz vor ihrem 103. Geburtstag steht, Ehrenbürgerin der Stadt Berlin ist und die Veranstaltung, die früher Aids-Gala hieß, mit ihrer Gegenwart beehrt hat. Es ist ein Zeichen der Zuwendung und der Hoffnung in dem sich abkühlenden gesellschaftlichen Klima: Es braucht nur der Name dieser wundervollen Frau genannt zu werden, damit warmherziger, langer Applaus aufbrandet. Das ist auch das, was die Aids-Hilfe benötigt: Solidarität und Mitgefühl mit den Erkrankten, davon fast die Hälfte Frauen und Kinder, von denen längst nicht alle den erforderlichen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Festliche Opernnacht
für die deutsche AIDS-Stiftung in der
Deutschen Oper Berlin,
2. November 2024

Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Musikalische Leitung: Daniele Squeo
Chöre: Jeremy Bines

von Sandra Grohmann

Berlin, so hieß es Ende der Neunzigerjahre, habe keine „Gesellschaft“. Gemeint war die Gesellschaft der Arrivierten und Tonangebenden, die von den frechen Berlinern in deutscher Aussprache als „Haute Volaute“ verulkt wurde.

Berlin, so formuliert es Bürgermeister Stefan Evers, der den Regierenden zur Begrüßung vertritt, habe damals auch keine Ahnung von glamourösen Events gehabt, wie es die vor dreißig Jahren ins Leben gerufene Aids-Gala geworden sei. Gewesen sei, möchte man dazwischenrufen angesichts des neuen Formats, das laut Programmankündigung „schlanker, kommunikativer und zeitgemäßer“ sei. Das ist euphemistisch für „Sparprogramm“. Statt des traditionell üppigen Blumenschmucks etwa gibt es in diesem Jahr nur eine Reihe Weihnachtssterne mit Tannengrün am Saum der Bühne. Zeitgemäß wirkt dies in keiner Hinsicht, es sei denn, man wollte sich die Neue Biederkeit und das ab September dargebotene Lebkuchenangebot der Supermärkte zum Maßstab nehmen. 

Berlin in den Neunzigerjahren brauchte keinen Opernglamour, um die aufregendste Stadt der Welt zu sein. 1994 gab es Orte wie das Tacheles, semilegale Kellerkneipen, Theater in den Hinterhöfen der Mietskasernen. Und der Tresor war noch im richtigen Tresor in der Leipziger Straße. Berlin vertrug die ganz große Inszenierung aber durchaus zusätzlich, und die glitzernde Queer-Szene der Stadt frequentiert seitdem auch die Opernhäuser. Schade, dass es dreißig Jahre später keine richtige Gala mehr gibt, sondern nur noch eine Veranstaltung, die sich in kaum zu übertreffender deutscher Umständlichkeit „Festliche Opernnacht“ nennt.

Opernnacht: Dietmar Schwarz, Anne von Fallois © CHLietzmann

Möge die Deutsche AIDS-Hilfe davon profitieren. Diese ist in dieser Nacht tatsächlich äußerst präsent. Das mit der Veranstaltung unterstützte Anliegen zeigt sich von der ersten Anmoderation durch Opernintendant Dietmar Schwartz und die Präsidentin der Deutschen AIDS-Hilfe Anne von Fallois über eingespielte Videobilder (von niedlichen Kindern, das Grauen der Krankheit störte die Feststimmung nicht) bis zum letzten Spendenaufruf, den Rolando Villazón gewohnt charmant dem Publikum vor Ort und an den elektronischen Empfangsgeräten zu Hause dringend ans Herz legte.

Opernnacht 2024, Rolando Villazón © CHLietzmann

Wenden wir uns dem Musikalischen zu. Um es vorwegzunehmen: Ja, Rolando Villazón hat gesungen und nein, dazu möchte ich nichts sagen, außer dass ich mich sehr, sehr gern an seine jungen Jahre zurückerinnere, als ich ihm noch nachgereist bin. Diese Mühe braucht sich jetzt niemand mehr zu machen. Aber er ist ein charmanter Moderator, auch wenn er sich für das Wort „fantastisch“ durchaus mal Synonyme einfallen lassen könnte. 

Die pro bono auftretenden Künstler waren allerdings weit überwiegend „fantastisch“. Etliche Preisträger des von Plácido Domingo 1993 ins leben gerufenen Operalia-Wettbewerbs und andere junge oder werdende Stars garantierten höchsten Hörgenuss.

Das zu erwartende Potpourri einer Gala muss man mit Humor nehmen und sich einfach auf Lieblingsarien und unbekanntere Opernausschnitte freuen. Neben den Evergreens des Repertoires gibt es immer auch Unbekanntes zu entdecken. Die wie immer zauberhafte Golda Schultz mit ihrer perfekten Technik und dem reinen, gleichwohl gefühlvollen Ton etwa sang eine Arie aus Charpentiers „Louise“, die mir noch nie untergekommen war. Reizend! 

Opernnacht: Amitai Pati, Pene Pati © CHLietzmann

Und die Brüder Amitai und Pene Pati gaben tatsächlich einen ins opernhafte transponierten Haka. Eine solche Darbietung (mit den typischen herausgestreckten Zungen) dürften noch nicht viele Theaterbretter der westlichen Welt getragen haben. Die Orchesterbegleitung dazu empfand ich als etwas operettenhaft, sie hätte gern eingespart werden dürfen, störte aber nur wenig.  

Entzückend auch, wie Serena Sáenz die Puppe Olympia aus Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach darstellte und mit kristallklaren Spitzentönen zierte. Die junge spanische Sopranistin steht am 5. November 2024 in Berlin als Lucia di Lammermoor auf der Bühne und dürfte auch für diese Rolle die idealen Voraussetzungen mitbringen. 

Opernnacht 2024 © CHLietzmann

Wie immer bei konzertant dargebotenen Opernarien trug es zur Hörfreude bei, dass das Orchester hinter den Sängern auf der Bühne seinen Platz hat. Klanglich ist das meist deutlich besser, als wenn der Tenor durch die Tiefe der Bühne eilt und versucht, seine mehr oder minder kraftvolle Stimme von dort durch das Klangdickicht zu schleudern, das aus dem Orchestergraben wächst. Noch reizvoller wäre es möglicherweise gewesen, Chor und Orchester für den dargebotenen Meistersinger-Ruf „Wach auf! Es nahet gen den Tag“ zu mischen. Natürlich glich der exzellente Chor der Deutschen Oper Berlin seinen Standortnachteil aus, aber so richtig leuchtete es nicht ein, warum er sich im hinteren Bühnenteil an die Seitenwände pressen musste.

Von den fast durchgehend vollen bis durchdringenden Stimmen fiel der Bariton von Roman Burdenko besonders auf. Gänsehauteffekt garantiert. Er wird in drei Wochen die Titelrolle in der Neuinszenierung des Macbeth am selben Haus singen, darauf darf man sich schon freuen. 

Opernnacht 2024 © CHLietzmann

Erfreulich schließlich auch der verschmitzte Vortrag von Alejandro Baliñas Vieites als sevillanischer Barbier; der lyrische Pene Pati mit Gounods Roméo-Arie „Ah! Lève-toi soleil“; das Energiebündel Teresa Romanò mit „O don fatale“ aus Verdis Don Carlo(s) und Martina Russomanno (deren Vortrag ein klein wenig Vibrato gutgetan hätte) als Semiramide. Nils Wanderer präsentierte mit „St. Petersburg“ eine eigene Komposition, die tänzerisch von Krasina Pavlova und Olaf Kollmannsperger begleitet wurde. 

In den legeren Teil des Abends, nämlich die Party im ganzen Haus, leiteten Hulkar Sabirova, Alexandra Oomens, Gideon Poppe, Philip Jekal und Stephanie Wake-Edwards sowie fast alle Solisten, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin unter dem schmissigen Dirigat von Daniele Squeo mit zwei Ausschnitten aus der Ballszene des Prinzen Orlovsky. Und dann konnte es prickeln. Es lebe Champagner der Erste!

Sandra Grohmann, 4. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at 

27. Galakonzert für die Deutsche Aids-Stiftung, Deutsche Oper Berlin, 27. November 2021

Ottorino Respighi, La Fiamma Deutsche Oper Berlin, 29. September 2024, Premiere 

John Adams, Nixon in China Deutsche Oper Berlin, 4. Juli 2024

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