Foto: Teodor Currentzis © Nadia Rosenberg
von Jürgen Pathy
Keine einfachen Zeiten. Wie auch anderen russischen Klassikstars weht Teodor Currentzis zurzeit ein eisiger Wind entgegen. Dem Klassikrebellen, wie man ihn gerne nennt, wirft man folgendes vor: Er und sein eigens gegründetes Orchester musicAeterna werden von einer russischen Bank finanziert, die von den aktuellen Sanktionen der EU betroffen ist. Deshalb fordern einige, Currentzis müsse sich öffentlich von Putin distanzieren. Hat er bislang nicht. Das schlägt teils große Wogen.
Korrelation bedingt noch keine Kausalität
Da wären zum einen die Zuschauerzahlen. Ob und wie diese mit den Entwicklungen in Russland zusammenhängen, lässt sich zwar nicht nachvollziehen, der Verdacht darf allerdings oder muss sogar gehegt werden. Normalerweise gehen Currentzis-Karten weg wie warme Semmeln – und zwar im Vorfeld, teils Tage oder Wochen zuvor. Aktuell sieht die Lage anders aus.
Blickt man Montagabend hinunter ins Parkett des Wiener Konzerthauses, sticht nämlich eines hervor – teils erhebliche Lücken in den Zuschauerreihen. Für Currentzis-Verhältnisse ein Novum. Zumindest im Wiener Konzerthaus, wo seine Konzerte sonst immer ausverkauft waren. Hier gastiere der polarisierende Pultstar am Montag mit dem SWR Symphonieorchester, das er seit 2018 als Chefdirigent leitet.
Zweitens Anzeichen, dass sich etwas verändert hat – Currentzis’ Kleidung. Tritt der charismatische Stardirigent sonst immer in exzentrischer Montur auf, wirkt er an diesem Abend fast schon wie gezähmt.
Die rot beschnürrten Lederstiefel, ein Markenzeichen von Currentzis, hat er schon öfters beiseite gelegt. Das allein wäre noch nichts Ungewöhnliches. Die hat er dieses mal gegen schwarze Lackschuhe getauscht. Dass er allerdings auch sein restliches Outfit gewechselt hat, ist schon bemerkenswert.
Statt der sonst so hautengen Röhrenjeans, ziert ein klassischer Zweiteiler aus dunklem Zwirn den charismatischen Stardirigenten, der mal wieder die Gemüter spaltet, türkisblaue Krawatte inklusive. Sogar die sonst so extravagante Frisur, die er meist als Undercut trägt, lässt er dieses Mal schleifen: kein Gel, kaum Haar-Spray, alles nur rudimentär frisiert.
Man könnte sagen: Currentzis präsentiert sich optisch extrem kleinlaut. Für ihn, der auch von der Selbstinszenierung seiner Person lebt, sicherlich Understatement pur. Fast schon wirkt es, als wolle er bewusst keine weiteren Angriffsflächen bieten. Denn die Gegner sind laut.
Von selbst ernannten Großinquisitoren
Besonders laut die üblichen Verdächtigen aus Deutschland. Ganz laut vor allem einer, dem Currentzis schon länger ein Dorn im Auge scheint. Dabei macht er aus seiner Abneigung gegen Currentzis überhaupt keinen Hehl.
„Ich mag Currentzis als Dirigenten persönlich nicht“, schrieb Axel Brüggemann vor kurzem bei Crescendo, wo er eine Kolumne führt. Dass er dabei im gleichen Atemzug relativiert, wirkt eher wie ein schwacher Versuch, um sich gleich im Vorfeld von jeglichen Vorwürfen freizusprechen. „Aber ich fände es schade, sein Musizieren zu verlieren. Deshalb rufe ich für sein Weitermachen auf: Liebe Sparkasse kauf den Laden – als Zeichen des Weltfriedens“.
Der Hauptaspekt, den Brüggemann ins Rennen wirft: Aktuell müsse Currentzis sich öffentlich vom russischen Angriffskrieg distanzieren. Anders ginge das nicht, gerade jetzt, da Menschen in der Ukraine im Krieg sterben. Brüggemanns Argumentationslinie: Einige Verstrickungen russischer Financiers, die Currentzis und sein eigens gegründetes musicAeterna kräftig unterstützen, seien inakzeptabel. Jetzt müsse man Fahne zeigen – für den Humanismus und die Werte einer freien Gesellschaft. Hauptsächlich die VTB-Bank, Russlands zweitgrößtes Kreditinstitut, ist Anstoß des Ärgernisses.
Das mag auf den ersten Blick alles plausibel klingen. Überhaupt jetzt, wo Russland einen verabscheuungswürdigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt – diesbezüglich besteht überhaupt kein Zweifel. Und die VTB-Bank von den Sanktionen der EU betroffen ist. Allerdings nährt der Zeitpunkt der verbalen Attacken auch Vermutungen, Brüggemann wolle nur die Gunst der Stunde nutzen, um weiter an Currentzis’ Thron zu sägen. Überhaupt, wenn man den Rundumschlag verfolgt, mit dem er das ganze Currentzis-Umfeld attackiert.
Noch dazu, weil Currentzis schon länger ein Dorn im Auge scheint, nicht erst seit dem Ukrainekrieg. Bereits bei den Salzburger Festspielen 2021 ist das deutlich geworden. Dabei war Brüggemann nicht allein.
In Salzburg hat alles begonnen
Von einem mutmaßlich „ästhetischen Anschlag“, schrieb Jürgen Kesting in der FAZ. Von einem, der fürs Auge und Ohr nicht zu erdulden sei. Letztes Jahr, als Currentzis und Romeo Castellucci bei den Salzburger Festspielen den „Don Giovanni“ neu inszeniert haben. Highlight der verbalen Entgleisungen damals, die nicht die Kunst, sondern rein die Person Currentzis im Visier hatten: das „schamlose Ego“ von Currentzis, der einem „Sektenführer“ gleiche, wie Jürgen Kesting schrieb.
Brüggemann sprang auf den Zug auf. Schrieb vom „Tänzchen der Selbstgefälligkeit“, das Teodor Currentzis hier auf Mozarts Rücken vollführe. Von „ Accompagnato-Gedöns“, das er dazu komponiert habe. Letzten Endes, sei dieser „Don Giovanni“ der „teuerste“ und „belangloseste“ gewesen, den man in der Festspielgeschichte jemals aufs Parkett gelegt habe. So die Quintessenz dieses lupenreinen Verrisses.
Das alles mag noch immer kein Beleg dafür sein, Brüggemann böswillige Absicht zu unterstellen. Immerhin ist es die Aufgabe der Journalisten, Missstände aufzuzeigen und Kritik zu üben – teils auch harsch und scharf, wenn notwendig. Allerdings ziehen die Attacken viel weitere Kreise als nur Currentzis direkt. Beinahe scheint es, als versuche Brüggemann alle anzuklagen, die bereit sind, dem unangepassten Griechen mit russischem Pass eine Bühne zu bieten.
Ein Rundumschlag gegen alle im Currentzis-Umfeld
Da wären seit Neuem die Angriffe in Richtung Matthias Naske. Der hat als Intendant des Wiener Konzerthauses mit Currentzis seit Jahren einen Fixstern im Programm, der als Publikumsmagnet fast goldeswert ist. Dessen Ruf versucht Brüggemann nun damit zu diskreditieren, dass er einen Tag vor Kriegsausbruch auf einer Geburtstagsparty von Currentzis in St. Petersburg war.
Über die Finanzierung der Reise, die anscheinend der springende Punkt sein dürfte, habe Brüggemann nur ein kurzes Statement von Naske erhalten: „Was die Finanzierung meiner Reise nach Russland betrifft: Sie fand im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit statt und diente nicht ausschließlich meinen Kontakten mit MusicAeterna oder Teodor Currentzis.“
Der Zweite im Bunde, auf den Brüggemann nun latent Druck ausübt, ist Markus Hinterhäuser. Als Intendant der Salzburger Festspiele hat dieser Currentzis ebenfalls fix ins Programm des bedeutendsten Klassik-Festivals integriert. Auch Hinterhäuser und der Rest der Führungsriege, besonders Ex-Festspielchefin Helga Rabl-Stadler, sehen sich den Angriffen Brüggemanns ausgesetzt.
Grund des Anstoßes an der Salzach: Russische Oligarchen, die Helga Rabl-Stadler ins Boot an der Salzach geholt haben soll. Namentlich dabei erwähnt: Dmitry Aksenov, ein bekannter Förderer der Künste, der Teil der Gesellschaft der russischen Freunde der Salzburger Festspiele sei. Und Leonid Wiktorowitsch Michelson, einer der reichsten Russen, dessen Firma VAC große Teile von Romeo Castelluccis „Salome“-Produktion finanzierte.
Ebenso erwähnt Brüggemann, dass Rabl-Stadler noch vor wenigen Jahren einen Sponsorenvertrag mit Gazprom abgeschlossen habe. Dass die
200.000 Euro bereits restlos zurücküberwiesen wurden, davon keine Spur in Brüggemanns Angriffen. Seitdem habe man nie wieder eine Annäherung vorgenommen, bestätigt Intendant Markus Hinterhäuser. Im Rückblick sei das ein Fehler gewesen, den man korrigiert habe. Weitere 200.000 Euro, die man von der OMV erhalten habe, seien ebenso wieder zurückgegangen.
Dazu sei erwähnt: Im Gegensatz zu einigen anderen Kultur-Institutionen, die mit bis zu 50 Prozent staatlich gefördert werden, erhalten die Salzburger Festspiele kaum Subventionen. Haupteinnahmen resultieren aus dem Kartenerlös und durch private Sponsoren. Damit rechtfertigt man in Salzburg auch die enorm hohen Kartenpreise.
Kurzer Stopp an der Wiener Staatsoper
Salzburg ist aber nicht die letzte Station, an der Brüggemann haltmacht. Selbst an die Wiener Staatsoper hat es ihn vor kurzem verschlagen. Um Simon Stones Premiere von „Wozzeck“ in der Luft zu zerreißen. Ein Schelm, wer hier Böses denkt, könnte man meinen. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass Staatsoperndirektor Bogdan Roščić beste Verbindungen zu Currentzis pflegt. Somit ist es auffällig, dass Brüggemann auch hier ordentlich Staub aufwirbelt.
Nicht nur, dass Roščić in seiner Zeit als Musikchef bei Sony Classical für den Aufstieg von Currentzis mitverantwortlich war. Damals hatte man den Da Ponte-Zyklus aufgenommen, mit dem Currentzis erstmals weltweit Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Roščić liebäugelt auch schon seit längerem damit, Currentzis endlich an die Wiener Staatsoper zu holen. Dort hat man Teodor Currentzis noch nie im Graben erlebt. Purcells „Indian Queen“ stand dafür schon im Raum, ebenso ein möglicher Da Ponte-Zyklus. Daraus geworden ist bislang noch nichts.
Warum Brüggemann zynisch handeln könnte
Natürlich sind die russischen Verflechtungen bei den Salzburger Festspielen Grund genug, um tief zu bohren. Daran besteht ebenso kein Zweifel, wie daran, genau hinzusehen, wen man sich generell als finanzstarken Partner ins Boot holt. Unabhängig vom Ukrainekrieg sollte das ein Teil des seriösen Journalismus sein.
Dennoch hinterlässt die Summe der Angriffe und die Vehemenz, mit der Brüggemann am ganzen Bollwerk rund um Teodor Currentzis rüttelt, einen faden Beigeschmack. Vielleicht agiert Brüggemann aus gutem Gewissen, als Idealist und Pazifist, der Ungerechtigkeiten aufdecken möchte. Als ruhiger Beobachter der Szene ist er ja nicht gerade bekannt.
Axel Brüggemann, der nicht auf den Mund gefallen ist, tanzt auf vielen Hochzeiten und ist mit Sicherheit einer der bekanntesten und lautesten Musikjournalisten im deutschsprachigen Raum. Wundern darf er sich also nicht, wenn man bei all den Indizien vielleicht auch einen persönlichen Rachefeldzug gegen Currentzis orten könnte.
Das Traurige daran: Sollte das der Fall sein, bemerkt Brüggemann nicht, wie zynisch eigentlich sein eigenes Verhalten dabei wäre. Selbst, wenn es vielleicht von mangelndem Fingerspitzengefühl zeugt, dass Matthias Naske Currentzis das Benefiz für die Ukraine am 12. April mit musicAeterna leiten lässt. Und dass es durchwegs gerechtfertigt ist, zu hinterfragen, woher gewisse Gelder nicht nur an die Salzach flossen.
Öffentliche Stellungnahme von Currentzis nicht notwendig
Muss oder soll Currentzis nun öffentlich eine Stellung abgeben, um sich klar von Wladimir Putin zu distanzieren? Nein. Im Gegensatz zu anderen Künstlern hat Currentzis niemals öffentlich Partei ergriffen oder sich auch nur ansatzweise für russische Propaganda missbrauchen lassen. Außerdem zeigt Currentzis indirekt Fahne, in dem er ukrainische Komponisten in sein Programm der letzten Tour integriert hat.
Das einzige, was man dem Griechen mit russischem Pass im Augenblick vorwerfen kann, sind seine finanziellen Abhängigkeiten von russischen Geldern. Wenn das alles ist, bewegt man sich als Ankläger allerdings auf dünnem Eis.
Was man von Currentzis aber erwarten darf, ist eine finanzielle Neuorientierung. Das begrüßt auch Matthias Naske, der an Currentzis und musicAeterna für das Benefiz am 12. April im Wiener Konzerthaus festhält. Auch wenn das Rote Kreuz abgesprungen ist, weil es nicht in ein „politisch besetztes Umfeld“ geraten wolle. Stattdessen hat man mit der Caritas eine andere karitative Organisation gewonnen. Allerdings sei zugleich klar, dass musicAeterna mittelfristig für eine Finanzierung sorgen müsse, die ihre Unabhängigkeit garantiere – was in Russland sicherlich nicht leicht werde, so Naske.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 9. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
SWR Symphonieorchester, Antoine Tamestit, Teodor Currentzis, Elbphilharmonie, 2. April 2022
Pathys Stehplatz 7: Currentzis erregt die Gemüter Klassik-begeistert.de
Pathys Stehplatz (11) – Der Typus des Konzertbesuchers klassik-begeistert.de
Großartige Analyse. Kesting kenn ich noch vom Stern, Brüggemann nicht, Teodor mag ich – der Rest ist schweigen.
Harald N. Stazol
Als Axel Brüggemann noch Klassik Radio moderierte, haben sich bei mir die Lautsprecher gekrümmt, durch so viel Quark, den er verzapfte !!
Er nutzt die Macht, die man(n) ihm gewährt!! Lasst ihn doch links liegen.
HEINZ-W.WEBER