© Michael Patrick O’Leary
NDR Elbphilharmonie Orchester
Patricia Kopatchinskaja, Violine
Dirigent Thomas Hengelbrock
Bedřich Smetana, Vltava (Die Moldau) aus Má vlast (Mein Vaterland)
Maurice Ravel, Tzigane / Rhapsodie für Violine und Orchester
Richard Strauss, Suite aus „Der Rosenkavalier“ op. 59
Von Leon Battran
In London soll einst die Geigerin Jelly d’Arányi dem französischen Komponisten Maurice Ravel bis fünf Uhr morgens ungarische Zigeunerweisen vorgespielt haben und ihm so die Inspiration für seine Konzert-Rhapsodie Tzigane geliefert haben. Ravels Komposition präsentiert äußerste Virtuosität gehüllt in eine folkloristische Couleur. Wer dieses Stück interpretiert, braucht vor allem eines: Feuer!
Eine bessere Besetzung als die Geigerin Patricia Kopatchinskaja ist kaum vorstellbar, um Maurice Ravels Tzigane aufzuführen. Die 1977 in Moldawien geborene Künstlerin bezeichnet sich selbst als „subversives Element“. Und tatsächlich: Patricia Kopatchinskaja steht nicht einfach auf der Bühne, sie lebt auf der Bühne. Ihr Spiel ist musikalische Perfektion und ein Spektakel für alle Sinne, geboren aus der Musik und allein der Musik verpflichtet. Wer ihr zuhört, ist sofort ergriffen.
Als „Teufelsgeigerin“ wird Kopatchinskaja von Thomas Hengelbrock, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, angekündigt: Ohne Schuhe, dafür mit wildem Haar und einer Violine ausgestattet, betritt sie die Bühne. Von der ersten Sekunde an sitzt jeder Ton, jede Stimmung und Nuance. Sie kostet jeden Fetzen Melodie zu einhundert Prozent aus. Wenn es sein muss, fegt sie über die Saiten wie ein Wirbelsturm.
Patricia Kopatchinskaja beim Spielen zuzusehen ist gleichermaßen fesselnd und faszinierend, weil man ihr dabei diese besondere musikalische Neugier ansieht – eine kindliche Verspieltheit und Leichtigkeit, mit der sie die Musik sinnlich erlebbar macht. Ihre Interpretation ist ungekünstelt und unmittelbar, vereint ein impulsives, affektgeladenes Spiel mit höchster Konzentration und Kontrolle.
Sie führt nicht nur aus, sondern sie erschafft, lässt etwas entstehen. Das sollte das Ideal eines jeden Interpreten sein. Zwar hat sie Notenblätter vor sich stehen, schaut aber nicht viel darauf.
Stattdessen spielt sie in die ganze Weite des Raums hinein, rutscht währenddessen ein wenig auf der Bühne herum und dreht sich auch mal in Richtung Orchester: Sie sucht den Dialog, fordert ihn geradezu heraus. Das NDR Elbphilharmonie Orchester reißt sie haltlos mit sich, zieht das Tempo an wie in einem verrückten, schwindeligen Tanz! Das Orchester kommt gut mit ihr zurecht, lässt sich führen und reagiert hellwach auf die Impulse der Solistin.
Und die sprüht vor unbändiger purer Spielfreude. Neben ihrem unterhaltsamen, energetischen Auftreten ist es aber vor allem ihre musikalische Feinfühligkeit, die Patricia Kopatchinskajas Interpretation so spannend und packend macht: Das hat Ecken und Kanten, da sitzt jeder Ton, die Melodie kann man körperlich wahrnehmen: Die Kopatchinskaja lässt ihre Geige singen, jauchzen und seufzen, die Glissandi haben Gänsehautqualität und lassen warm erschaudern.
Dazu gesellt sich eine scheinbar mühelose, aber technisch derart brillante Ausführung mit Humor und Augenzwinkern, dass die Komposition trotz ihres hohen Grades an Virtuosität ansprechend, fasslich und nahbar wird: Arpeggio, Pizzicato, Flageolett, Presto und Prestissimo, das alles erstaunt und erheitert gleichermaßen.
Es fällt schwer, bei diesem Konzertstück ruhig sitzen zu bleiben, weil hier so viel Charakter und Temperament auf die Zuhörer schwappt, dass es einen vom grau gepolsterten Hocker haut! Man vergisst beinahe, dass man sich in einem schmucken Konzertsaal befindet und träumt sich ans Lagerfeuer in einer lauen Sommernacht im Freien. Knistern lässt Patricia Kopatchinskaja es zur Genüge. Nach der furiosen Schlusskadenz glaubt man die Geige noch dampfen zu sehen. Großer anhaltender Applaus, die ersehnte Zugabe bleibt trotzdem aus. Schade…
Immerhin dirigiert Thomas Hengelbrock ja noch das NDR Elbphilharmonie Orchester zu Richard Strauss‘ Suite aus dem Rosenkavalier. Eröffnet worden war das einstündige „Konzert für Hamburg“ mit Bedřich Smetanas wohlbekannter musikalischer Malerei, der Moldau: Ein gutes Stück zum Warmwerden, sowohl für die Zuhörer, als auch für die Spieler. Hengelbrock dirigiert gut gelaunt und souverän. Insgesamt eine sehr gelungene, facettenreiche Interpretation mit schönen Akzenten und Klangreflexen. Nur grollt das Schlagwerk zuweilen so gewaltig, dass es alles andere unter sich begräbt.
Beim Rosenkavalier kann das Orchester noch mal eine schöne Schippe drauflegen. Spätromantische Klänge, die erwachsen und durch den Raum strahlen, kuschelige Harmonien und Melodien, die schwelgen lassen. Immer wieder treten Solisten aus der rosaroten Musik-Mousse heraus und verwöhnen die Ohren mit zuckersüßen Kantilenen. Sportlich schwingen die Zuhörer von einem Herzensbrecherthema zum nächsten. Hach! Ein bisschen kitschig mutet diese Musik schon an, aber es ist leichter und angenehmer, sich ihr zu ergeben als sich ihr zu versperren.
Leon Battran, 3. Februar 2017, für
klassik-begeistert.de