Elbphilharmonie, Hamburg, Großer Saal, 25. Oktober 2021
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Dirigent Andreas Spering
Sopran Layla Claire
Foto: Claire outside the Metropolitan Opera, May 2015. © Wikipedia.com
Joseph Haydn
Symphonie Nr. 75 D-Dur Hob. I:75
Cantata „Miseri noi, misera patria“ Hob. XXIVa:7
Rezitativ und Arie “Misera! Chi m’aiuta” – “Dove fuggo” aus der Oper La vera costanza Hob. XXVIII:8
Symphonie Nr. 102 B-Dur Hob. I:102
von Elżbieta Rydz
Ich muss meine leichten Zweifel beim Studieren des Programms gestehen: Haydn und Symphonie ja, aber Haydn und Solo-Sopran? Kann das gut gehen? Ich bin gespannt auf dieses Konzert, freue mich auf diesen Abend.
Die Symphonie Nr. 75 entstand wohl im Jahr 1779 während Haydns Anstellung als Kapellmeister beim Fürsten Nikolaus I. Esterházy. Schon der erste Satz: Grave – Presto mit der Fortissimo Einleitung und anschliessend aufsteigender Dreiklangsfigur im Piano erfüllt den Großen Saal der Elbphilharmonie mit harmonischer Wärme und Wohlgefühl. Die Musiker entwickeln sehr schnell eine gemeinsame Mitte, ergänzen sich, folgen spielerisch dem kompositorischen Thema.
Besonders beeindruckt bin ich von dem dritten Satz: Menuetto. Allegretto: ich fühle mich mitgenommen auf eine der vielen Festlichkeiten auf dem Hof Esterhazy, die präzise Durchführung in der Flöte und Solo-Violine über der Streicherbegleitung begeistert mich. Die tänzerisch charakteristischen Auftakte werden präzise akzentuiert und ausgeführt.
Die Aufführung der Symphonie Nr. 102, komponiert im Rahmen der zweiten Londoner Reise Haydns, ist so reich an Deutungen, Sensitivität, Melancholie, Licht und Schatten, dass ich immer wieder meine Augen schließen muss. Ich genieße die kostbaren, sich aus der Interpretation ergebenden Momente.
Die Symphoniker brillieren in den beiden Symphonien: In meinem Kopf, vor meinen Augen, in meinem Herzen entstehen Bilder, kunstvoll gemalte Landschaften. Die solistischen und kammermusikalischen Momente beflügeln mich auch als Sopranistin und Geigerin.
Das Konzertprogramm ist hervorragend gewählt: Durch die abwechslungsreiche Gestaltung können auch die jungen Zuhörer neben mir wunderbar dem Konzert folgen, einige üben sich sogar im dirigieren. Es liegt nicht zuletzt an der Kunstfertigkeit des Dirigenten: der energiegeladene Andreas Spering entwickelt einen plastischen Bezug zum Publikum, man ist mittendrin im Geschehen, verfolgt die einzelnen Instrumentengruppen und folgt den Einsätzen gebannt. Jeder an diesem Abend gespielte Satz erzählt eine eigene tiefe Geschichte.
Eingebettet in die beiden großen Werke liegen die beiden Solo-Sopran-Werke. Layla Claire hat eine wunderbare Bühnenpräsenz. Ihre Strahlungskraft, Intensität und schauspielerische Ausgestaltung tragen das Publikum „auf Flügeln des Gesanges“ in andere Sphären. Auch die Registerübergänge sind leicht und präzise gestaltet. Ganz besonders beeindruckt mich die aus Rezitativ und Arie bestehende Mini-Oper „Miseri noi, misera patria“ – eine musikalisch sanft, friedlich, gelassen erzählte Schilderung von Zerstörung und Krieg. In welchem Zustand muss sich die Betrachterin gefunden haben, wenn so viel menschliche Sanftmütigkeit für die Darstellung der Schreckensszenen gewählt werden?
Was für ein Abend. Selbst die intellektuell anspruchvollste Erwartungshaltung wurde auf wundersame Weise übertroffen. Wie gut, dass die Länge der Elphi-Rolltreppe Raum und Zeit für einen Austausch der Glückseligen bietet.
Danke dafür!
Elżbieta Rydz, 26. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jonas Kaufmann & Helmut Deutsch, CD-Rezension, Liszt, Freudvoll und leidvoll klassik-begeistert.de