Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elbphilharmonie, Kent Nagano © Claudia Hoehne
Zu seinem letzten Musikfest-Auftaktskonzert setzte Kent Nagano seine meisterhafte Expertise für Neue Musik an die Spitze des Programms und begeisterte das Hamburger Publikum für Boulez’ flimmernde Klangwelten. Hingegen geriet das Philharmonische Staatsorchester mit Beethovens Pastoraler ordentlich an seine musikalischen Grenzen.
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano, Dirigat
Werke von Pierre Boulez und Ludwig van Beethoven
Elbphilharmonie Hamburg, 2. Mai 2025
von Johannes Karl Fischer
Ein kleines Kammerorchester springt über rasch durch den Saal sprintende Töne, dann füllen aus wortwörtlich allen Ecken zwei Klaviere, Harfe und Zymbal den prächtigen Musiktempel mit schimmernden Klangschatten. Mit seinem begeisterndem Feingespür für Neue Musik lässt Kent Nagano die Elbphilharmonie in die immersiv Klangwelt von Boulez’ Répons eintauchen – das war eine spitzenmäßig meisterhafte Leistung dieser farbenfrohen Musikmalerei!
Nagano brilliert mit Boulez-Expertise
Zwischen den Noten flimmerten die fast schon überflutenden Reize der heutigen Außenwelt wie ein synästhetisches Klangkunstwerk durch die Ränge. Nagano und das Staatsorchester formierten die teils kaum zu überblickenden Noten in eine musikalisch intensive, doch wohltuend strahlende Klangmischung samt klanglich umschlingenden Harfenglissandi und im Raum stehenden Vibrafon-Trillern. Ein bisschen die Augen schließen und einfach die musikalische Seele im Instrumentenmeer baden lassen…
Schon die meterhohen, über die Ränder des Dirigentenpults hinausragenden Partituren sind bei Boulez immer ein eindrucksvolles Kunstwerk an sich. Mit seinem messerscharf präzisen Dirigat meisterte der Chef am Pult diese musikalische Mammutleistung und zeigte jeder noch so zahlreichen Einzelstimme scheinbar mühelos den Weg durch das schiere Notenlabyrinth. Selbst das eher konservativ gestimmte Hamburger Publikum zeigte sich begeistert und ließ einen bravourösen Applaus durch den Saal fegen!

Monodynamischer Beethoven bleibt hinter den Erwartungen
Ganz anders die tonale Pastorale: Wie schon vor zwei Jahren gehörte Beethoven leider nicht zu den Highlights des Musikfest-Eröffnungskonzerts. Diesmal lag die Verantwortung allerdings wesentlich weniger beim Dirigat als bei den Musikern selbst. Nachdem Herr Nagano das Orchester in eine äußerst heitere Ankunft auf dem Lande geschickt hatte und die Melodien anfänglich lustvoll von den Saiten tanzten, hörte man etwa 40 Minuten lang vor allem eine monodynamische, im Dauerforte durch die Noten pflügende Erste Geigenstimme statt eines wohl gemischten Beethoven-Klangs. Viele Musiker blickten recht stur und statisch in ihre Notenpulte, da kann auch das beste Dirigat der Welt nichts machen, wenn die Geigen vor allem dem Feierabend entgegenfiebern.
Besonders deutlich zeigte sich diese Kluft zwischen Orchesterleistung und Dirigat in der zweiten Hälfte der Symphonie. Während der Chef am Pult sichtbar die freudevolle Energie des lustigen Zusammenseins durch den Saal sausen lassen wollte, waren viele Bläser mit dem in heutiger Zeit gar nicht so überflotten Tempo schier überfordert, einzelne Solisten wie Rupert Wachter (Klarinette) ausgenommen. Brian Barker schleuderte zwar einige Paukenblitze durch das musikalische Gewitter, die Streicher ließen ebendies aber wie eine plätschernde Regenwolke fröhlich vorbeiziehen, anstatt mit Beethoven’schen Eifer den Himmel hellzufegen.
Trotz Naganos Versuche, eine dynamische differenzierte Beethoven-Symphonie zu dirigieren, spielten die Musiker auch den Hirtengesang recht mutlos. Die majestätische, sonnenhelle Strahlkraft dieser Melodien wollte sich auf jeden Fall nicht im Saal ausbreiten. Sorry, das war zu wenig, vor allem für ein Orchester, das bald René Pape, Catherine Foster und Vida Miknevičiūtė begleiten soll.
Fazit zum Nagano-Abschied
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg hatte schon zwei Generationen vor mir nicht den besten Ruf in der Hamburger Klassikszene. Vielleicht sollte man das Musikfest-Eröffnungskonzert lieber dem NDR Elbphilharmonie Orchester überlassen? Die haben diesen Saal in letzter Zeit mit einigen richtig spektakulären Leistungen beflügelt…

Und bei aller berechtigter Kritik am Naganos oftmals schleppenden Strauss-Dirigaten samt Buh-Rufen – die ich auch schon öfters thematisiert habe: Hamburg wird die Neue-Musik-Expertise Kent Naganos schmerzlich vermissen!
Johannes Karl Fischer, 3. Mai 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at