Foto: Kent Nagano © Felix Broede
Elbphilharmonie, Großer Saal, 5. Dezember 2021
Daniel Cho Violine
Alexei Volodin Klavier
Kent Nagano Dirigent
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Pärt / Strawinsky / Schumann
von Harald Nicolas Stazol
Es war – vor allem die Welt-Uraufführung, Arvo Pärt, „Schwanengesang“, ganz wunderbar – nur dass ein ergrauter Nagano den Schumann überhaupt nicht variiert… das Hamburger Staatsorchester Längen hinter den Londonern, vor allem, wie immer Schwächen im Blech… der neue Konzertmeister als Solist in Pärts „Fratres“, erstaunlich für so junge Jahre…
Dass Kent Nagano gerne mit seiner ganzen Familie in Amerika, seiner Heimat, windsurft, im Urlaub, merkt man gerade gar nicht, um Elph in der Elphi. Aber wer sieht nun auch schon hin, da verzaubert der neue Konzertmeister, die erste Trouvaille des Abends, von derer es vier gibt, in dieser Sonntagsmatinee, im Laufe eines wunderschönen Morgens, in dem einen die Elbphilharmonie, umstürmt von Schneetreiben, wie eine über der Stadt schwebende Festung erscheint, mit Maskenball, Champagnerbar und in einem den Zeitläuften seltsam zärtlich umschmeichelnden Traumraum….
Aber bevor ich ins Schwärmen gerate, „Fratres“ !!! Von meinem aufs innigste verehrten estnischen, noch lebenden Komponisten Arvo Pärt, jenes sphärischen Romantikers, der vor einem schönen Ton nicht und nie zurückweicht, zu modern-bezaubernden „Riffs“, abgelöst von flächendeckenden Melodien, auf die noch weiter einzugehen sein wird:
Die zweite Trouvaille des Abends? Der junge Konzertmeister des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, der dem ohne hin schon Luftgeist-artigen Klangteppich eine spitze, fragile, besondere Note verleiht, eine Kaskade an Noten -: Daniel Cho.
Denn voller Überraschung, nach dessen triumphalen Spiele, stellt der überraschte Rezensent durch das Glase fest, dass jener nun schon bei Stravinsky als Erste der 1. Geigen weilt – und plötzlich wird glasklar, welch Gewinn das Orchester unserer Stadt in diesem Jungen an der Geige hat, seine Verpflichtung dort und seine Virtuosität, wie an diesem Morgen, wird Einfluss auf weitere Aufführungen haben, und womöglich, und wie zu hoffen steht, einen Stil prägen.
Die Dritte? Igor Stravinsky´s „Konzert für Klavier und Bläser“ schwierig für beide, -, für mich eine Überraschung, nicht zuletzt deswegen, weil ich mich vorbereitete auf dessen Violinkonzert, und dann recht überrascht bin, als man den lackschwarzen Sarg von einem Steinway auf die Bühne rollt – aber die beiden geben sich nicht viel… Die reine Russische Moderne, ein junger Mann der sich austobt, auf der Suche nach einer neuen Richtung der Musik, die manchen Hörern des vollbesetzten Hauses bald auf die Pause hoffen ließ…
Aber Volodin…
Der unbezweifelbare Höhepunkt dieses Schnee-Morgens, die Welt-Uraufführung, in Hamburger Fassung, programmatisch im rein-romantischen Sinne: „Swansong for Orchestra“ von Arvo Pärt, die vierte Trouvaille des Abends! Ach was, Trouvaille! Eine Offenbarung! „Elegant, zeugt von Lyrik, verträumt“, kritzele ich in mein rosanes Smythson Notizbuch, auf dem in Gold „Therapy Notes“ geprägt ist, „diffizil, bombastisch, ehrfurchtgebietend, erster Höhepunkt, Elegie, programmatisch, Schlußnote, Schlagzeug, Zimbel, Harfe“, steht dort in hingeworfenen Zeilen meiner ohnehin Uneingeweihten schwer lesbaren Handschrift, auf liniertem, hellblau durchscheinenden Papier, das in dieser Feinheit und Leichtigkeit nur noch für Pfundnoten verwendet wird, aber das nur als apercu.
Und Schumanns 4.? Ja, warum variiert denn Kent Nagano überhaupt nicht? Wobei staunenswert, dass, dadurch, dass der Maestro über die Sätze ohne Pause hinwegdirigert, ein Bogen Robert Schumanns aufscheint, der in der immer wieder Aufnahme von Themen und Tempi einen großen inneren, fast religiösen, Zusammenhang des Werkes beweist – in ihrem Optimismus als Schluss dieses ohne Zweifel memorablen Morgens das Publikum erlöst, heiter und dem weiteren Sonntage frisch und fit entgegenblickend – aber ein wenig spielend mit den beiden sich verwebenden Melodien im Zwiegespräch zwischen Streichern und Holz, dreimal wiederholt, hätte man schon sich steigernd in dreimaliger, sicher dramatisch angelegter Repetitio ein wenig climactisch gestalten können… aber man kann ja nicht alles haben.
Harald Nicolas Stazol, 5. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Cho, Alexei Volodin, Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg Teil 1
Jan Lisiecki, Edward Gardner, London Philharmonic Orchestra, Elbphilharmonie, 20. November 2021
Es gibt eine Vokabel, die bei mir sofort Würgereize auslöst, nämlich das Wort Welt-Uraufführung. Ich habe immer den Verdacht, dass dieses Wort zu den wichtigtuerischen Begriffen gehört, die etwas aufblasen sollen, wo zu wenig Inhalt drin ist. Jede Uraufführung ist eine Welt-Uraufführung, auch wenn der Liedsatz des greisen Chorleiters Gustav Zittermann vom Männergesangsverein in Klein-Hustdorf zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt, vulgo uraufgeführt wird. Ich würde eine Welt-Uraufführung nur dann gelten lassen, wenn Radiostationen aller fünf Kontinente gleichzeitig an Milliarden ZuhörerInnen übertragen. Ist dies nicht der Fall ist eine Welt-Uraufführung nichts weiter als eine Uraufführung, nicht mehr, nicht weniger.
Prof. Karl Rathgeber
Eh, sorry komme gerade nicht mit. Und war dabei. Hab es nicht so empfunden. Elzbieta vielleicht liegt’s am Altersunterschied oder an Schönheit oder Glanz.
Elisabeth Rydz-Olszowka
Es ging mir nicht um das Konzert, sondern um das Wort „Welt-Uraufführung“ in der Besprechung von Herrn Stazol.
Lieber Herr Rathgeber, Sie haben völlig recht. Das ist die Sprache der Wichtig-wichtig-Fraktion. Also jener Leute, die gern Zukunftspläne machen (gibt´s denn auch Pläne für die Vergangenheit?) und die von Zukunftsinvestitionen schwafeln, als ob auch Investitionen in die Vergangenheit möglich wären.
Der doppelte Pleonasmus kommt vor allem in der Baerbock´schen Rhetorik vor: Wir alle gemeinsam. WIR bedeutet ja schon GEMEINSAM, ALLE ebenfalls. Achten Sie mal drauf. Es gibt kaum einen Baerbock´schen Satz ohne GEMEINSAM.
Die Sprache der Sportreporter hingegen kommt nie ohne AM ENDE aus. „Am Ende gewannen die Bayern 5:0.“ Schade. Hätten sie gleich am Anfang gewonnen, wäre uns der Rest des langweiligen Spiels erspart geblieben.
Herzlichst Reinhard Berger