Foto © Marco Borggreve
Elbphilharmonie Hamburg, 17. Dezember 2017
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Harvestehuder Kammerchor
Rudolf Buchbinder Klavier
Peter Ruzicka Dirigent
Peter Ruzicka ELEGIE. Erinnerung für Orchester
Ludwig van Beethoven Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73
George Enescu ISIS / Sinfonische Dichtung für Frauenchor und Orchester
Sinfonie Nr. 4 e-Moll
von Leon Battran
Es ist der dritte Advent und das vierte Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg in dieser Saison. Orchesterwerke des 20. und 21. Jahrhunderts stehen auf dem Programm. Dazwischen sticht Ludwig van Beethovens fünftes Klavierkonzert heraus, gespielt von einer Legende: Rudolf Buchbinder.
Peter Ruzicka dirigiert nicht nur das heutige Mittagskonzert, in der Hauptsache ist der 69-Jährige Komponist. Seine Elegie beginnt mucksmäuschenleise. Aus einem dissonanten Streicherrauschen entwickelt sich eine fesselnde Spannung und Dynamik, die plötzlich den Weg zurück in die Tonalität einschlägt – Ruzickas Komposition überrascht: Mit schillernd instrumentierter Harmonik, durch die immer wieder Geräuschlawinen wälzen. Ein gelungener und packender Auftakt für dieses Konzert!
Etwas fremd, fast schon antiquiert mag da Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 anmuten – auch im Hinblick auf die zweite Konzerthälfte: Sie widmet sich dem Rumänen George Enescu und steht ganz im Zeichen der musikalischen Moderne.
Beethovens „Fünftes“ ist hingegen ein echter Klassiker, ebenso sein heutiger Interpret: Rudolf Buchbinder konzertiert seit mehr als 50 Jahren an den großen Konzerthäusern auf diesem Planeten, mit den renommiertesten Orchestern an seiner Seite. Wollte man sein Lebenswerk auf nur ein einziges Wort herunterbrechen, es wäre „Beethoven“.
Gerade dieses wunderbare Beethovenkonzert, der Publikumsmagnet, verunglückt leider ein wenig. Während des ersten Satzes macht die Belüftungsanlage des Saals vorrübergehend Mucken: Ein unterschwelliges Rauschen liegt wie ein Tinnitus über der Musik und beeinträchtigt Interpreten wie Zuhörer. Eine besonnene Konzertbesucherin verlässt den Saal, um auf die Störung hinzuweisen, während das Elphi-Personal im Saalinnern zu schlafen scheint. Vielen Dank, verehrte Dame, für diesen Akt der Zivilcourage!
Von diesem kleinen Zwischenfall einmal abgesehen, erklang dieser Beethoven wohlgefällig, voll auf seine Kosten kam man hier aber nicht. Beim Allegro hätte dem Orchester stellenweise ein Funken mehr Leidenschaft, eine Schippe mehr Spritzigkeit gutgetan. Am besten gelingt das Echo des Seitenthemas mit seiner strengen Tanzrhythmik und den markanten Trillern. Das war festlich und mitreißend gespielt.
Einer gibt permanent volle Kraft und das ist der Solist. Mit Feuereifer bearbeitet Rudolf Buchbinder die Tastatur des auf Hochglanz polierten Konzertflügels, lässt Beethovens brillanten Klaviersatz emporstrahlen. Weniger glänzend gelingt das Zusammenspiel mit dem Orchester. Es hakt beim Timing. Ruzicka scheint gegen den 71-Jährigen anzudirigieren. Die Einsätze des Orchesters kommen mehrfach zu spät.
Trotzdem tut die etwas wacklige Ausführung der Strahlkraft der Komposition kaum einen Abbruch. Das Publikum ist den Künstlern gewogen. Nach dem ersten Satz gibt es Zwischenapplaus.
Das Adagio un poco mosso ist das Herzstück des Konzerts und vielleicht die anmutigste Musik, die Beethoven jemals komponiert hat. Der Komponist lässt das Klavier frei und unbeschwert singen. Diesen Satz kann man nur mit Samthandschuhen anfassen und das tut Rudolf Buchbinder. Die Brauen hat er nach oben gezogen. Sein Spiel gleicht Liebkosung. Klangschön und weich intoniert auch das Philharmonische Staatsorchester.
Das Grundtempo erscheint allerdings eine Spur zu schnell gewählt, um allen musikalischen Details dieser Musik die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie verlangen. Es hätte noch mehr Mut gebraucht, sich der zerbrechlichen Schönheit des Satzes zu nähern. So vermag dieses Adagio zwar durchaus zu bezaubern, aber es plätschert zu sehr vor sich hin.
Nahtlos schließt sich das triumphale Finalrondo im beschwingten 6/8-Takt an. Das Klavier dominiert den Satz, erklingt mit der Majestät und Eleganz einer Chopin-Polonaise. Als Zugabe gibt es passend dazu „eine Johann-Strauss-Paraphrase“ Soirée de Vienne des Österreichers Alfred Grünfeld. Die Klavierkoryphäe Rudolf Buchbinder stellt mit diesem virtuos ausgezierten Wiener-Walzer-Medley ein letztes Mal seine Fingerfertigkeit unter Beweis und erntet große Begeisterung.
Danach wirkt die Musik des rumänischen Komponisten George Enescu nahezu wie eine kalte Dusche. So mancher scheint tatsächlich nur um des Beethovens willen ins Konzert gekommen zu sein. Bis auf wenige Plätze am Rand bleibt die gesamte zweite Reihe in Block A nach der Pause leer.
Enescus Musik mag gleichförmig erscheinen. Tatsächlich verändert sie sich jedoch unablässig. Hinter orchestralem Gemurmel verbirgt sich ein Spiel mit klanglichen Nuancen, Spektren und Farben. Peter Ruzicka ist hier mehr in seinem Element. Der textlose, zumeist einstimmige Gesang, vorgetragen von den Sängerinnen des Harvestehuder Kammerchors, mag wie eine musikalische Intervallstudie anmuten, erzeugt aber Spannung.
Auf ähnliche Weise geistert dümpelnd auch die vierte Sinfonie. Man findet schwer hinein, weil die tonalen Hörgewohnheiten fortlaufend durchkreuzt werden. Die musikalische Struktur wandelt sich, verfärbt sich wie ein Chamäleon. Schließlich gewinnt die Melodie an Individualität, Ausdruckskraft und Zielstrebigkeit. Man wähnt, rumänische Folklore wahrzunehmen. Am Schluss überrascht Enescu mit einer verblüffend klassischen Kadenz und einem strammen Schluss-Unisono, das fast von Beethoven hätte sein können.
Leon Battran, 18. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de