Philippe Jaroussky pflückt duftige Maiblumen und schippert verlassen auf wogender See

Philippe Jaroussky, Countertenor, NDR Elbphilharmonie Orchester, Antonello Manacorda,  Elbphilharmonie

Foto: C. Höhne (c)
NDR Elbphilharmonie Orchester
Philippe Jaroussky Countertenor
Dirigent Antonello Manacorda
Felix Mendelssohn Bartholdy, »Das Märchen von der schönen Melusine« / Konzertouvertüre F-Dur op. 32
Hector Berlioz, Les nuits d’été
Felix Mendelssohn Bartholdy, Musik zu »Ein Sommernachtstraum« op. 21 und 61
Elbphilharmonie Hamburg, 5. Mai 2017

von Leon Battran

Es muss nicht immer Kastratenrepertoire sein, auch wenn Philippe Jaroussky als Countertenor dafür prädestiniert scheint. An diesem Abend ist er einfach Mezzosopranist, der mit Hector Berlioz‘ Les nuits d‘été Gesänge interpretiert, die dem Herzen des 19. Jahrhunderts entspringen. Und Philippe Jaroussky stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass er in der französischen Romantik nicht weniger zuhause ist als im Barock.

Der Franzose ist „Artist in Residence“ der aktuellen Saison in der Elbphilharmonie. Bereits bei den beiden Eröffnungskonzerten im Januar 2017 hatte er mit italienischen Vokalwerken aus der Zeit um 1600 verzückt. Die Berlioz-Gesänge sind zwischen 1840 und 1856 entstanden und waren ursprünglich für verschiedene Stimmlagen konzipiert. Les nuits d’été (Sommernächte) gilt als der erste Zyklus von Orchesterliedern in der Musikgeschichte, Hector Berlioz als Erfinder dieser Gattung. Frühlingserwachen und junges Liebesglück klingen darin ebenso an wie Trennungsschmerz, Verzweiflung und Tod.

Philippe Jaroussky singt die Lieder in seiner Muttersprache wunderbar ätherisch und mit herausragender Textverständlichkeit. Sein Mezzosopran schwebt geisterhaft über dem Klanggrund des Orchesters. Seine Stimme lässt er erwachsen, erblühen und erstrahlen und überzeugt in allen Registern mit Wandelbarkeit und außergewöhnlicher Klangschönheit. Jarousskys Auftreten ist professionell und hochkonzentriert. Wenn sich doch mal kleine intonatorische Schwankungen einschleichen wollen, korrigiert er sie gleich im Ansatz.

In Berlioz‘ Liedern navigiert der Sänger durch Idyll und Melancholie: tollt durch Frühlingswiesen, pflückt duftige Maiblumen, schippert verlassen auf wogender See und wandert über den mondbeschienenen Friedhof. Den Zyklus durchzieht eine ebenso würdevolle wie zerbrechliche Dramatik, die der französische Countertenor auf besondere Weise empfindsam macht.

Es ist die Wärme in der Stimme von Philippe Jaroussky, die berührt; die Aufmerksamkeit, die er jeder Note zuteil werden lässt. Er formt die Töne ganz ohne zu drängen oder zu pressen, mit behutsamer Leichtigkeit, als würde er Seifenblasen pusten. Und ebenso viele Farben spiegeln sich im Glanz dieser Stimme wider. Bravo, Monsieur! Cela, c’était superbe!

Die Zuhörer sind aus dem Häuschen. Nach jedem Stück gibt es Applaus. Das hält das klatschfreudige Publikum auch bei der Instrumentalsuite von Mendelssohns Schauspielmusik zu Ein Sommernachtstraum durch. Der Abend hatte schon mit Mendelssohnscher Programmmusik, genauer mit seiner Konzertouvertüre Das Märchen von der schönen Melusine, begonnen; wohlportionierte musikalische Lyrik, deren Magie die Spielerinnen und Spieler des NDR Elbphilharmonie Orchesters fruchtig umsetzten und so für ein Viertelstündchen voll feiner Bezauberung sorgten.

Am Pult stand Antonello Manacorda. Der Künstlerische Leiter der Kammerakademie Potsdam vertrat den erkrankten Thomas Hengelbrock. Den Sommernachtstraum dirigierte der Italiener mit seriöser Geschmeidigkeit und Verve und irgendwie italienisch. Sein Dirigat ist sehr transparent, im positiven Sinne plakativ. Manacordas Taktstock zeichnet die Musik wie ein Pinsel nach. Er teilt damit eine Vielzahl von Signalen in unterschiedliche Richtungen aus, verwirbelt und zerstäubt, kitzelt von fern die Spieler oder stupst sie mit Impulsen an.

Besonders schön ist das wallende Intermezzo: der erste Teil lyrisch, elegant, lockend; der zweite Teil wendet sich in einen bäuerlich rustikalen Tanzrhythmus. Das Notturno bestreitet das Horn als Soloinstrument in pastoraler Seligkeit. Fortan steigert sich die Musik kühn ins Dramatische, bis sie schließlich auf wiegenden Flötenklängen wieder zur Ruhe kommt.

Und dann ertönt sie endlich, die wohlbekannte Trompetenfanfare, und verkündigt: Jetzt wird geheiratet! Dieser Hochzeitsmarsch kommt recht stramm daher in sportlich-freudigem Tempo, dabei festlich in bester Neujahrskonzertmanier. Ein einziges breites Lächeln. Einen besseren Rausschmeißer gibt es gar nicht. Nochmal die Becken zusammenschlagen, und so geht im Mai der wohl erste Sommerabend dieses Jahres in Hamburg zu Ende.

Leon Battran, 7. Mai 2017 für
klassik-begeistert.de

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