Tschaikowski dirigiert seinen eigenen Tod: Pique Dame im Royal Opera House in London

Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Pique Dame,  Royal Opera House, London, 22. Januar 2019

Foto: ROH (c)
Royal Opera House, London
, 22. Januar 2019
Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Pique Dame

von Sarah Schnoor

Der Vorhang geht auf. Keine Musik – nur Spiel. Ein Mann in grauem Anzug, mit grauem Haar und Bart taucht hinter einem Stuhl auf, wird weggestoßen. Der im Stuhl sitzende Mann steht auf und zieht seine Uniform wieder an. Er zieht die Spieluhr auf, die Papagenos Arie „Ein Mädchen oder Weibchen“ erklingen lässt. Der Mann verlangt Geld, lacht und verschwindet. Hier wird Tschaikowskis geheim gehaltene Homosexualität schon vor der Ouvertüre für über 2.200 Menschen sichtbar gemacht.

Stefan Herheims Inszenierung von Tschaikowskis Oper „Pique Dame“ wurde 2016 zum ersten Mal in Amsterdam aufgeführt. Mit veränderter Besetzung wird sie nun auch in London gezeigt, wo sie auf viel Gegenwind von Publikum und Kritikern gestoßen ist.

Nach dem herrlich unopernartigen Schauspiel zu Beginn, schlägt Antonio Pappano zur Ouvertüre und erzeugt mit dem leidenschaftlich spielenden Orchester der Royal Opera sofort eine tragische Atmosphäre.

Der für eigenwillige Interpretationen bekannte Regisseur Stefan Herheim legt eine zweite Schicht über die Oper. Es bleibt nicht bei der Anspielung. Vladimir Stoyanov stellt bis zum Schluss nicht nur den Fürst Jeletski dar, sondern auch Tschaikowski. Stoyanov dirigiert und korrepetiert als Tschaikowski seine eigenen Seelenqualen, führt Regie in seiner eigenen Oper. Das gelingt größtenteils sehr gut. Teils ist die zweite Schicht zu offensichtlich. Das viel zu häufig wiederkehrende leuchtende Glas, das Tschaikowskis behaupteten Selbstmord mit verseuchtem Wasser symbolisieren soll, ist zu sehr „on the nose“, wie der Engländer sagen würde. Aber die dunkle, dramatische Stimmung dieses echten Leidens packt noch mehr als die eigentliche Geschichte um die beiden Liebenden und ihr Unglück.

Auch der Männerchor besteht aus lauter Tschaikowskis. An diesem Abend wird deutlich, dass der Royal Opera Chorus nicht nur sehr gut singt, sondern auch noch spielen kann. Herheims genaue Regie erstreckt sich bis zur letzten Person im Chor und lässt großartig choreographierte Bilder entstehen. Er spielt mit dem Material, was Tschaikowski mit seiner Oper und in seinen Briefen hinterlassen hat. Alles kann sich bewegen, wird gespiegelt, der Stimmung angepasst.

Die eigentliche Hauptrolle der Oper, Hermann, wird von dem angeschlagen wirkenden Sergey Polyakov gesungen. Zum zweiten Mal diesen Monat springt er für den erkrankten Aleksandrs Antonenko ein. Dafür macht er seine Sache sehr gut, findet sich auf der Bühne und im Spielt mit seinen Kollegen sehr gut zurecht. Polyakovs heller Tenor ist leider oft dünn und die Rolle scheint eine zu große Herausforderung zu sein.

Dafür begeistert Eva-Maria Westbroek mit ihrem kräftig-vollen Sopran. Ihre Lisa ist eine Frau mit unglaublicher Präsenz. Als Hermann sich geradezu vor ihre Füße wirft und sagt, er würde sterben ohne ihre Liebe, schleudert sie ihm und allen im Raum ein herzergreifendes „Nein, lebe!“ entgegen.

Diese Aufführung lebt von der Kraft und Ausdrucksstärke der Sänger, und so ist auch Graf Tomski mit dem Bassbariton John Lundgren großartig besetzt. Mit militärischer Durchschlagkraft erklingt seine große Stimme mit Wiedererkennungswert. Statur, Musikalität und Klarheit im Ausdruck lassen einen Mann von Macht und starkem Willen entstehen. Das Bild verdeutlicht sich nur, als Tomski später den Showmaster gibt, die Kammeraden zu idiotisch machohaftem Männlichkeitsgehabe anstiftet und Prilepa (Jacquelyn Stucker) belästigt.

Dass Vladimir Stoyanov mehr spielt als singt, ist fast schade. Sein Bariton erklingt rund und schön. Seine Liebeserklärung an Lisa ist zart und glaubhaft, auch wenn er als Tschaikowski das Scheitern der Ehe voraussieht.

Ein weiterer Höhepunkt der Aufführung ist die herrliche Felicity Palmer. Sie spielt eine umwerfende Gräfin und ihr französisches Lied lässt einem vor Bewunderung den Atem anhalten. Dieser Grazie würdig spielt das Orchester nach ihrem Bühnentod eine unheimlich ergreifende Trauermusik.

Auch der Auftritt von Jacquelyn Stucker (Prilepa) und Anna Goryachova (Pauline) in Papageno- und Papagenakostümen ist einfach traumhaft. Goryachova begeistert mit ihrem Mezzosopran sowohl durch ruhige Tiefe als auch raumfüllende Höhe.

Neben der wirklich schönen Musik überzeugt die Inszenierung durch die ihr innewohnende Musikalität und Herheims Personenregie. Nicht Hermanns und Jelezkis Leiden, sondern Tschaikowskis wird hier ausgestellt. Und so ist es auch sein Tod, der zum Schluss vom unbegleiteten Männerchor mit sakral-inniger Musik besungen wird. Natürlich ist dies nicht librettogetreu, aber interessant, mitreißend und überzeugend ist es allemal.

Sarah Schnoor, 24. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung: Antonio Pappano
Inszenierung: Stefan Herheim
Hermann: Sergey Polyakov
Fürst Jelezki: Vladimir Stoyanov
Lisa: Eva-Maria Westbroek
Gräfin: Felicity Palmer
Graf Tomski: John Lundgren
Tschekalinski: Alexander Kravets
Pauline: Anna Goryachova
Surin: Tigran Martirossian
Gouvernante: Louise Winter
Prilepa: Jacquelyn Stucker
Tschaplizki: Konu Kim
Narumow: Michael Mofidian
Mascha: Renata Skarelyte
Royal Opera Chorus
Orchestra of the Royal Opera House

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert