Auch ohne Büstenhalter aus Toilettenpapier: Petrenko kann`s!

Ludwig van Beethoven, Fidelio, Bayerische Staatsoper, München, 24. Januar 2019
Es gibt Opernabende, bei denen Magie aus dem Graben strömt.

Foto: © Wilfried Hösl

Ulrich Poser berichtet von Ludwig van Beethovens Oper Fidelio vom 24. Januar 2019 aus der Bayerischen Staatsoper in München

“Vorstellung ausverkauft” konnte man wochenlang vorher auf der Website der Bayerischen Staatsoper lesen. Ein 215-Euro-Ticket wurde auf eBay für 399,00 Euro angeboten. Am Abend selbst gab es noch zwei Karten an der Abendkasse. Eine sehr gefragte und ausgebuchte Vorstellung also. Wurden die hohen Erwartungen erfüllt?

Jonas Kaufmann, gerade noch Protagonist des “Elphi-Skandals” um die Akustik bei einer Mahler-Aufführung im neuen Hamburger Wahrzeichen, begann im 2. Akt der von der Thematik her äußerst aktuellen Freiheits-Oper Fidelio vielversprechend. Die Arie “Gott! Welch Dunkel hier!” gestaltete er mit dem ersten Ton kaufmännisch-neu lyrisch, um sodann kaufmännisch-alt heldisch fortzufahren. Da war er wieder, unser Jonas! Mag sein, dass einige Höhen im weiteren Verlauf des Abends manchmal etwas angestrengt oder dünn klangen, schön war es allemal.

Andere Kritiker sollten endlich aufhören, Kaufmann mit Schager und Schager mit Kaufmann und beide mit Vogt zu vergleichen. Kaufmann ist auch nach überstandener Krise im Stande, Kunst zu schaffen. Seine überragende Gestaltungskraft, seine Art und Weise innerhalb einer Phrase von leise auf laut und von lyrisch auf heldisch umzuschalten, sind in Verbindung mit seinem schauspielerischen Talent und seinem guten Aussehen diejenigen Parameter, die sich dann manchmal zu Kunst vereinigen.

Insoweit kann der Tarzan aus Rohrbach einfach nicht mithalten: Sicherlich beeindruckt dieser Stimmakrobat als Dauersieger der Dezibelolympiade. Das ist dann aber doch eher Heavy Metal oder reines Kunsthandwerk.

Hervorragend disponiert war Anja Kampe als Leonore. Ihr “Abscheulicher! Wo eilst Du hin?” beeindruckte nicht nur stimmlich, sondern auch durch ihr profundes, intensives Spiel. Für beides erhielt die hübsche Blonde verdient den größten Schlussapplaus des Abends. Chapeau!

Glänzend bei Stimme war natürlich wieder Bass und Publikumsliebling Günther Groissböck als Gefängniswärter Rocco; so macht Oper Freude. Bleibt zu hoffen, dass der Durchtrainierte bald den Weg aus dem Knast nach Walhall findet. Die Götterwelt braucht ihn dringend.Die Überraschung des Abends  war Tareq Nazmi als Don Fernando in der Haut von Heath Ledger alias Joker aus der bekannten Batmanverfilmung “The Dark Knight”. Wie er gegen Ende der Aufführung  urplötzlich in der linken Seitenloge erscheint, mit einem Bein über dem Abgrund lümmelt und dabei seinen wunderbaren, schwarzen Bass ins staunende Publikum verströmen lässt, war beeindruckend und unterhaltsam. Von diesem Sänger hört man hoffentlich zukünftig mehr. Der einzige gute Regieeinfall des Abends übrigens.

Hanna-Elisabeth Müller als Marzelline überzeugte das Haus in dreifacher Hinsicht voll und ganz: Ad 1, weil sie über einen glasklaren, wunderschönen und jugendlichen Sopran verfügt, er verzückt. Ad 2, weil sie sehr hübsch und jugendlich erfrischend ist und ihre Rolle mit Anmut und Leidenschaft spielt. Ad 3, weil sie dazu im Stande ist, auf einem über fünf Meter hohen Stahlgerüst während des Singens (!) in Stöckelschuhen mit hohen Absätzen artistisch rumzuklettern.

Die Inszenierung von Calixto Bieito war keine. Das war eine Ansammlung von blindem Aktionismus (völlig sinnlos umherfliegende Menschen über dem Stahlgerüst), die ihren Höhepunkt schon zu Beginn des 1. Aktes erreichte, als sich Anja Kampe vor aller Augen aus Toilettenpapier einen Büstenhalter  wickeln musste. Sinnlos auch, wenn ein Beethoven-Streichquartett von vier Musikern in fliegenden Käfigen gespielt wird. Man hätte eigentlich erwartet, dass die Musiker während des Spielens dann noch Eier legen, aus denen Krokodile schlüpfen, die dann Kiril Petrenko auffressen.

Nur Stahlgerüste auf der Bühne; nichts Neues; gähn!

Mag man Ü-90-Opernbesucher aus dem Augustinum mit solchen Aktionen ärgern können; den abgebrühten Rezensenten sicherlich nicht. Die Worte “schade um das viele Geld” drängen sich hier allerdings massiv auf.

Hinsichtlich des Dirigenten und des Orchesters gilt dies nicht; insoweit bleibt aber festzuhalten: Ja, es gibt Orchester, die fehlerfrei spielen. Sogar die Hörner und das Blech. Ja, es gibt Dirigenten, die nicht sich selbst produzierend wie von der Tarantel gestochen herumfuchteln, sondern die Musiker tatsächlich akurat leiten und allen (!) Beteiligten präzise Einsätze vorgeben. Ja, es gibt Opernabende, bei denen Magie aus dem Graben strömt. Kiril Petrenko und seinen Musikern sei Dank!

Ulrich Poser, 25. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de

8 Gedanken zu „Ludwig van Beethoven, Fidelio, Bayerische Staatsoper, München, 24. Januar 2019“

  1. Ich mach es ja selten – und wir Rezensenten-Kollegen sollen uns ja auch nicht die Bälle zuspielen – aber hier einmal: großes Kompliment, Herr Poser – insbesondere zu Ihrem Kaufmann – Eindruck: Ich war nicht in der aktuellen Vorstellung – sondern vor einigen Jahren -, aber alles tifft genau meine Witterung. Da tun Ihre Ausführungen tatsächlich gut – herzlichen Dank – und nochmals Kompliment.
    Tim Theo Tinn

    1. Hallo hallo in der Poser-Fidelio-Fassung gibt es weder Jaquino noch Pizarro…….ein Sparprogramm trotz der beachtlichen Eintrittspreise ???
      Eduard Paul

  2. Schön, dass bei Petrenko Magie aus dem Graben strömt… Denn aus dieser Rezension strömen in erster Linie Inkompetenz und mangelndes Wissen.

    Punkt eins: Haben Pizarro, Jaquino und der (in dieser Oper nicht völlig unwichtige) Chor nicht mitgespielt? Da waren die Ebay-Tarife natürlich viel interessanter…

    Punkt zwei: Die beiden Damen waren also hübsch, die eine sogar eine „hübsche Blonde“. Auch das eine sehr wichtige Info für die „Ü-90-Opernbesucher“. Kostet einen Fünfer in die Chauvi-Kasse.

    Punkt drei: Man soll diverse Tenöre nicht vergleichen und gegeneinander ausspielen… Es sei denn, man ist Herr Poser. Der tut das dann ein paar Zeilen später…

    Punkt vier: Günther Groissböck wird 2020 in Bayreuth den Wotan singen; und damit Herrn Posers (und auch meinen) Wunsch erfüllen.

    Pubnkt fünf: Bieto hat m.E. eine ungeheuer spannende und aufregend unkonventionelle Interpretation des Stückes geboten, ausgehend vom Grundgedanken, dass unser Gefängnis und die Unfreiheit in uns selbst, im menschlichen Bewußtsein, steckt und nur dort überwunden werden kann. Dafür haben er und sein Team eindrucksvolle, spektakuläre und poetische Bilder geschaffen.

    Das können Sie selbstverständlich anders sehen und sich kritisch damit auseinander setzen; aber zu schreiben, diese Inszenierung sei keine, ist schlicht eine Unverschämtheit!

    Mit kollegialen und doch kopfschüttelnden Grüßen,
    Dr. Fabian Stallknecht

    1. Lieber Dr. Stallknecht,

      mit einem haben Sie recht: Der Fidelio war zuerst da. Dann war wohl eher Katharina diejenige, die abgekupfert hat.

      Viele Grüße

      Ulrich Poser

  3. Zum Tarzanvergleich
    Für manches braucht es eben einen Tarzan, wie für den Siegfried oder den Tenorpart im Lied von der Erde. Wenn der Baritontenor Jonas Kaufmann mit seiner dunkleren Stimmfarbe im Orchesterklang fast untergeht, reicht auch eine schöne, farbmodulationsfähige Stimme nicht aus, um gegen ein großes Mahlerorchester anzukommen (im Gegensatz zu Andreas Schager). Wie schön, dass es die drei genannten Tenöre überhaupt gibt, warum also sie gegeneinader ausspielen…
    Ralf Wegner

    1. Nein, für das Lied von der Erde benötigt es keinen, der einen Dezibelrekord aufstellen will, sondern einen Sänger, der interpretieren kann. Kaufmann etwa hat das seit vielen Jahren in den unterschiedlichsten Sälen ohne akustische Probleme bewiesen. Wunderlich war auch kein Tarzan sondern ein Sänger. Weitere Beispiele gefällig?

      Dr. Eva Arts

  4. „Auch ohne Büstenhalter aus Toilettenpapier“……… So einen unsinnigen Titel für eine „Fidelio“ Rezension kann sich wohl nur ein Mann ausdenken. Mit etwas mehr Kenntnis vom Inhalt (oder einfach auch nur Nachdenken) wüsste man, dass Leonore ihre weiblichen Formen verstecken muss, um zu „Fidelio“ zu werden. Das wurde hier deutlich gemacht, indem Anja Kampe vor dem 1.Akt ihre Brüste unter einer Bandage (Toilettenpapier würde ja wohl in wenigen Sekunden reißen) versteckte. Beim Schlusschor, wenn Fidelio „enttarnt“ ist, nimmt Frau Kampe dann diese Bandage wieder ab und zieht ein sehr weibliches Kleid über. Alles klar?
    Angelika Evers

  5. Für einen Opernfreund war Tareq Nazmi sicher nicht die Überraschung des Abends. Man konnte in den letzten Jahren den sorgfältigen Aufbau dieses Sängers in München verfolgen und auf die Schönheit der Stimme aufmerksam werden – selbst wenn man nicht aus München ist! Jetzt ist er dabei international Karriere zu machen.
    Dr. Eva Arts

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