Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve
Wiener Symphoniker
Rudolf Buchbinder, Klavier
Barbara Rett, Präsentation
Alexander Soddy, Dirigent
Programm:
César Franck
Le chasseur maudit »Der wilde Jäger«. Symphonische Dichtung M 44 (1882)
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15 (1795–1800)
***
Arnold Schönberg
Verklärte Nacht op. 4 (Fassung für Streichorchester 1943) (1899/1943)
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 3. Dezember 2023
von Kathrin Schuhmann
Dass Musik, die dem Genre der Programmmusik zugehört, die Geister spalten kann, wissen wir nicht erst seit gestern. So stritten sich allein die in Wien ansässigen gelehrten Köpfe über den ästhetischen Stellenwert und vor allem auch die Legitimität dieser neuen Spielart von symphonischer Instrumentalmusik nicht weniger lang als ein halbes Jahrhundert.
In ihren oft hitzig-polemischen Feuilletons schenkten sie sich einander nichts, nachdem die programmatische Paradegattung schlechthin, die symphonische Dichtung, in Form von Franz Liszts Les Préludes 1857 erstmalig durch das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu Gehör gebracht worden war.
Eduard Hanslick, der damals wie heute gern als Kritikerpapst apostrophierte Wortführer der Riege der Formalästhetiker, lehnte sich vehement gegen die in den symphonischen Dichtungen Form annehmende Musikauffassung der Vertreter der ‚Neudeutschen Schule‘ auf. So proklamierte er beispielsweise, es sei mit der Musik nun wahrlich am Ende, würde man es einem Komponisten zugestehen, unschöne Musik zu komponieren, da ihn das spezifische, der symphonischen Dichtung zugrunde liegende außermusikalische Sujet – das Programm also – dazu veranlasse, ja quasi nötige. Zum anderen hielt Hanslick Instrumentalmusik für verwerflich, die keinen selbstständigen ästhetischen Charakter habe und für deren Verständnis man auf die Krücken des Programms angewiesen sei, die Musik also zur Dienerin einer anderen (künstlerischen) Ausdrucksform hinabsinken würde.
Beide Vorwürfe aus Hanslicks Feder lassen sich eins zu eins auf die im zweiten Konzert des Matineen-Zyklus der Wiener Symphoniker erklungene symphonische Dichtung namens Le chasseur maudit von César Franck anwenden. Man kann fast von Glück reden, dass dieses Werk erst 1907, 25 Jahre nach seiner Entstehung im Jahr 1882, in Wien erstaufgeführt wurde und es Hanslick ob seines Ablebens in 1904 nicht mehr möglich gewesen war eine Kritik zu verfassen, denn dieser Verriss wäre, wie sich mit Gewissheit sagen lässt, Franck sicher gewesen. Weder birgt diese Komposition an genügend rein-musikalischer Erfindungskraft – die Themen und Melodien sind platt, unoriginell, klischeehaft – noch weiß der Komponist mit diesem dürftigen Material handwerklich umzugehen. Von dem, was man symphonische Arbeit nennt, kaum eine Spur. Anstelle dessen überall Effektsucht, nervöse Chromatik, kurz gesagt, viel Lärm um nichts.
Ganz anders die zweite symphonische Dichtung, die im Rahmen der Matinee erklang. Ursprünglich, 1899, für Streichsextett komponiert und später, 1943, als zweite Fassung für Streichorchester freigegeben, schrieb Arnold Schönberg mit Verklärte Nacht ein Instrumentalwerk, das trotz des diesem zugrundeliegenden Programms, einem Gedicht von Richard Dehmel, sowohl dem Anspruch der musikalischen Selbstständigkeit als auch jenem der musikalischen Schönheit in allen Maßen gerecht wird. Dem der noch vollkommen der romantischen Tonsprache entsprechende Werk ist ganz zurecht ein wiederkehrender Platz auf den internationalen Spielplänen der großen Konzerthäuser sicher und weiß bei einer qualitätsvollen Darbietung mit Garantie tief zu berühren. Eine solche qualitätsvolle Darbietung stellte der kurzfristig eingesprungene Dirigent Alexander Soddy mit seiner geradezu vollkommenen Führung der Wiener Symphoniker sicher. Eine grandiose Aufführung, die schwer zu toppen sein wird.
Auch der in Wien oft und gern gehörte Rudolf Buchbinder, der den Programmpunkt zwischen den beiden symphonischen Dichtungen mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 solistisch gestaltete, bestach mit seiner gewohnten Präzision und Makellosigkeit seiner interpretatorischen wie technischen Darbietung am Flügel, wenngleich sich dieses Werk aus konzertdramaturgischer Perspektive nicht so recht in den Abend einfügen wollte.
Kathrin Schuhmann, 11. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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