Pygmalion im Wiener Konzerthaus: Von der Stille des Todes und dem Trost der Musik

Pygmalion / Raphaël Pichon, Dirigent   Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 17. Mai 2025

Raphaël Pichon © Julia Wesely

Am Ende: Stille – und dann minutenlanger Applaus. Nicht aus aufgewühlter Begeisterung, sondern als stille Zustimmung zu einem Abend, der weit über bloße Schönheit hinausging. Pygmalion, Pichon und ihre Solisten machten die Konzerthalle zu einem Ort der Reflexion – über Kunst, Leben und die Frage, was bleibt.

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 17. Mai 2025

Hector Berlioz
Tristia op. 18 Nr. 1 Méditation religieuse

Ambroise Thomas
Szenen aus »Hamlet«. Oper in fünf Akten (1860–1864)

Hector Berlioz
Tristia op. 18 Nr. 3 Marche funèbre pour la dernière scène d’Hamlet

Gabriel Fauré
Requiem op. 48 für Sopran, Bariton, Chor, Orgel und Orchester (1877/1887–1890)

Besetzung

Pygmalion, Chor und Orchester

Sabine Devieilhe, Sopran
Stéphane Degout, Bariton
Raphaël Pichon, Dirigent

Von Kathrin Schuhmann

Wie klingt Shakespeare auf Französisch? Der Konzertabend am 17. Mai im Großen Saal des Wiener Konzerthauses gab eine eindrucksvolle Antwort auf diese Frage – in einem klug konzipierten Programm, das Hector Berlioz, Ambroise Thomas und Gabriel Fauré zu einem atmosphärischen Klangraum verband, der gleichermaßen von Tod und Trost, Wahnsinn und innerer Einkehr sprach.

Der Chor und das Orchester von Pygmalion, unter der Leitung ihres Gründers Raphaël Pichon, präsentierten sich einmal mehr als Ensemble von höchster stilistischer Präzision, klanglicher Wärme und intellektuellem Zugriff. Gleich zu Beginn schwebte Berlioz’ selten aufgeführte Méditation religieuse wie ein Hauch durch den Saal: Ein anrührend stiller Eingang, getragen von den wunderbar ausgeglichenen Chorstimmen, subtil abgestuft in der Dynamik und mit einem transparenten Orchesterklang versehen, der niemals drängte, sondern atmend führte.

In den folgenden Szenen aus Ambroise Thomas’ Oper Hamlet rückten die Solisten in den Vordergrund. Stéphane Degout – einer der profiliertesten französischen Baritone unserer Zeit – zeichnete in der Titelrolle einen sensiblen, innerlich zerrissenen Prinzen. Sein Timbre: reich, dunkel gefärbt, und doch von lyrischer Flexibilität durchdrungen. Besonders im berühmten Monolog „Être ou ne pas être“ zeigte er eine fast kammermusikalische Intimität, mit der er den psychologischen Abgründen der Figur nachspürte.

Sabine Devieilhe als Ophelia war eine Offenbarung. Ihre technisch makellose Stimme mit silbrigen Höhen und einer faszinierenden Ausdrucksvielfalt ließ die Wahnsinnsszene – „À vos jeux, mes amis“ – zu einem der ergreifendsten Momente des Abends werden. Was bei anderen Sängerinnen schnell zur bloßen Effektakrobatik verkommt, verwandelte Devieilhe in eine zutiefst menschliche, fragile Klage. Jeder Triller, jede Koloratur schien hier in Bedeutung getränkt.

Der Marche funèbre aus Berlioz’ Tristia op. 18 Nr. 3 bildete eine düstere Zäsur. Pichon gelang es, den dramatischen Gehalt des Stücks nicht in pathetischem Lärm zu ersticken, sondern mit kontrollierter Spannung aufzubauen. Besonders das Blech überzeugte mit herbem, nicht überzeichnetem Klang.

Nach der Pause dann Gabriel Faurés Requiem – ein Werk, das wie kaum ein anderes den Gedanken an einen „sanften Tod“ in Töne fasst. Pichons Lesart verzichtete auf jede Süßlichkeit. Stattdessen: Klarheit, innere Ruhe, spirituelle Tiefe. Der Chor war dabei erneut das Zentrum des Klangs – homogen, textverständlich, voller Wärme.

Sabine Devieilhe gestaltete das „Pie Jesu“ mit ätherischer Schlichtheit – ein schwebender Moment, der den Atem anhielt. Stéphane Degout, in „Hostias“ und „Libera me“, sang mit sonorer Erdung, ganz im Dienst des liturgischen Charakters des Werks. Das Orchester agierte dabei als feinfühliger Begleiter, mit betörendem Streicherklang und einer Orgel, die nie in den Vordergrund drängte, sondern dem Gesamtklang Tiefe verlieh.

Am Ende: Stille – und dann minutenlanger Applaus. Nicht aus aufgewühlter Begeisterung, sondern als stille Zustimmung zu einem Abend, der weit über bloße Schönheit hinausging. Pygmalion, Pichon und ihre Solisten machten die Konzerthalle zu einem Ort der Reflexion – über Kunst, Leben und die Frage, was bleibt.

Kathrin Schuhmann, 20. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeiestert.at

Schubert, Schumann, Brahms, Alexandra Dovgan, Klavier Wiener Konzerthaus, Mozartsaal,

SHMF, Brahms, Vasks, Fauré St. Michaelis, K 146, Hamburg, 12. August 2022

Grigory Sokolov, Klavier Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 8. Mai 2025

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