Musikalische Schätze am Silsersee: das internationale Kulturfest „Resonanzen“

Resonanzen, Internationales Kulturfest  Sils-Maria, Schweiz

von Charles E. Ritterband

Fotos: copyright: Axel Brog (axelbrog photographie)

Während der kulturelle Lockdown seit Monaten den Großteil der bedeutendsten Kulturstätten weltweit lahmgelegt und viele Musiker und Schauspieler in existentielle Nöte gestürzt hat, stößt der Besucher am Silsersee im Oberengadin auf ungebrochene kulturelle Vitalität: Das internationale Kulturfest unter dem Titel „Resonanzen“. Vor sieben Jahren wurde das hochkarätige Festival unter der Ägide der Violinistin, „Resonanzen“-Gründerin und Betreuerin Kamilla Schatz von St. Moritz nach Sils-Maria transferiert und hat seither im traditionsreichen Hotel Waldhaus sein neues Zentrum und eine neue Spielstätte gefunden. Wie eine uneinnehmbare Festung thront das „Waldhaus“, über 111 Jahre in Familienbesitz, auf einem Felsen und am Rande eines wildromantischen Lärchenwalds über Sils-Maria – ein idyllisches Dorf, dessen Name untrennbar mit Friedrich Nietzsche verbunden ist.

Ein etwas tragischer Zufall, dass das Jahr des Corona-Desasters zugleich das Beethoven- Jahr sein musste: Viele jahrelang geplanten Ereignisse zu diesem Jubiläumsjahr mussten abgesagt oder redimensioniert werden. Dem Festival „Resonanzen“ merkt man jedoch – außer den üblichen Vorsichtsmaßnahmen wie Maskentragen und Sitzordnung – jene Kalamität nicht an: Es herrscht Begeisterung und bietet, genauso wie in früheren Jahren  höchstes Niveau und ein überraschend breites Spektrum an (nicht nur musikalischen) Ereignissen.

Schon die Eröffnung war großartig: In der lichtdurchfluteten Belle-Epoque-Hotelhalle, die vom eifrigen Hotelpersonal zum Konzertsaal für rund 180 Zuhörer umfunktioniert wurde, war das Celloquartett „Maximilian Hornung & Friends“ zu hören: mit einem wunderbar warmen Klang, technischer Perfektion und dennoch höchster Sensibilität interpretierten die vier jungen Männer unter anderem Mozarts Figaro-Ouvertüre, Bachs Choralvorspiel „Ich ruf zu dir….“, Barbers Adagio für Streicher, und als unbestreitbarem Höhepunkt Tschaikowskys Serenade für Streichorchester in C-Dur. Dann als Zugabe mit augenzwinkernd wienerischem Touch die Pizzicato-Polka von Josef und Johann Strauß – ein etwas wehmütiger Seitenblick auf die erstmals nicht stattfindende Wiener Ballsaison.

In der Offenen Kirche im Dorf unten ließ am nächsten Nachmittag die Organistin Nicoleta Paraschivescu – erstmals im Resonanzen-Festival die Orgel als „Königin aller Instrumente“ erklingen: Für ein Publikum, das vor allem aus staunenden Kindern bestand, denen der originelle Erzähler (und Kontrabassist) Christian Suter – dessen charismatische Erscheinung Max Frisch höchstpersönlich in einem seiner Tagebücher geschildert hatte – mit einer liebevoll aufbereiteten Kindergeschichte Johann Sebastian Bach näherbrachte.

Im selben Schauplatz durften die Erwachsenen am Abend einem musikalischen Highlight der besonderen Art beiwohnen: Zwei noch sehr jugendliche Musiker, der erst 14 jährige Schweizer Violinist Raphael Nussbaumer (bei dem endlich der Jubilar Beethoven zum Zug kam), begleitet von der ausgezeichneten Pianistin Kateryna Tereshchenko, und der junge englische Klaviervirtuose Frederic Bager boten derart virtuose Interpretationen, wie man sie auch in den berühmtesten Konzertsälen der Welt nur selten zu hören bekommt. Namentlich Raphael Nussbaumer war, wenn der Begriff nicht schon so abgegriffen wäre, ein „Wunderkind“: Schon mit vier Jahren lag die erste Geige auf dem Gabentisch und zwei Jahre später wurde er am Zürcher Konservatorium in eine Violinklasse aufgenommen. Mit acht Jahren durfte er mit dem Zürcher Kammerorchester in der Tonhalle solistisch auftreten, er räumte einen Preis nach dem anderen ab – und ist, das ist besonders berührend, demütig und bescheiden Raphael Nussbaumer geblieben. Ein Name, den man sich merken muss.

Denn dieser besondere Abend stand unter dem Titel „Next Generation Konzert“ und war, wie schon der Name besagt, kommenden musikalischen Größen gewidmet. Kamilla Schatz wies darauf hin, dass im Jahr 2006 noch in St. Moritz in diesem Rahmen eine 25jährige Cellistin aufgetreten war, die heute Weltruhm genießt: Die in Argentinien geborene Sol Gabetta.

Das weitere Programm von „Resonanzen“ bietet Höhepunkte weit außerhalb des musikalischen Bereiches – so tritt der bajuwarische Kabarettist Josef Brustmann auf und die politische Philosophin Katja Gentinetta referiert über „die Welt im Wandel“, der „Kultur und Aussenminister“ des Waldhaus, Felix Dietrich, bietet seinen Gästen eine kulturell-gastronomische Entdeckungsreise durch die nahe gelegene italienische Stadt Chiavenna an.

Das Belcea Quartet lässt in der Hotelhalle des Waldhaus endlich den großen Jubilar des Jahres 2020 Ludwig van Beethoven mit seinen Streichquartetten Nr. 4 und 7 zu Ehren kommen – so auch, am abschließenden Abend das Ensemble Kandinsky, welches Beethovens Septett Op. 20 intoniert.

Dr. Charles E. Ritterband, 22. September 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Der Publizist und Journalist Charles E. Ritterband war während mehr als drei Jahrzehnten Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung; er berichtet heute als freier Autor und Journalist – unter anderem für die Website „klassik-begeistert.de“ über Konzerte und Opern in internationalen Häusern.

Ritterbands Klassikwelt 11: „Va pensiero“ im Cyberspace statt auf „Goldenen Schwingen“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert