Wir erleben eine Empfindsamkeit und Feinfühligkeit gepaart mit einer erschreckenden, vom Intellekt gesteuerten Kaltblütigkeit. Und das mit einem absoluten Wohlklang, der keiner Metapher aus der Welt des Lichts oder aus dem Reich der Natur bedarf. Wir fühlen uns glücklich, schon vor Jahren in Frau Eichenholz eine Strauss-Sängerin vorausgesehen zu haben, die sich berühmten Vorgängerinnen anreiht, ohne diese zu kopieren.
Foto: © Jochen Quast
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf, 06. März 2020
Richard Strauss, Salome
von Lothar und Sylvia Schweitzer
MEHRMALS LEBEN. Dieser von Yasmina Rezas Theaterstück DREI MAL LEBEN ausgeliehene Titel soll zum Nachdenken anregen, inwieweit eine literarische Kunstfigur in ihrem Charakter eindeutig bestimmbar ist. Konzentrieren wir uns auf die Bühne und das Musiktheater. Da führt einfach unvermeidbar selbst in derselben Inszenierung bei wechselnder Besetzung die darzustellende Person ein anderes Leben. SängerInnen berichten sogar von einer stimmlich bedingten (!) Reifung über die Jahre hinweg. Außerdem liegt es am Ehrgeiz der Regie, den Bühnenfiguren immer wieder ein neues Leben einzuhauchen.
Wir wollen bei Agneta Eichenholz der neuen Salome der Wiederaufnahme in der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf versuchen, sowohl die Regieanweisungen als auch die stimmliche Persönlichkeit der Künstlerin zu betrachten. Wir werden nicht mit einer verwöhnten Kindfrau konfrontiert. Auch ist nicht als Hauptthema zur Kenntnis zu nehmen, dass erotische Liebe – und das deutsche Wort Liebe benötigt zur Präzisierung eine Beifügung – zur Perversion neigen kann.
Wir erleben eine Empfindsamkeit und Feinfühligkeit gepaart mit einer erschreckenden, vom Intellekt gesteuerten Kaltblütigkeit. Und das mit einem absoluten Wohlklang, der keiner Metapher aus der Welt des Lichts oder aus dem Reich der Natur bedarf. Wir fühlen uns glücklich, schon vor Jahren in Frau Eichenholz eine Strauss-Sängerin vorausgesehen zu haben, die sich berühmten Vorgängerinnen anreiht, ohne diese zu kopieren. Sie liebt den genialen Komponisten und würde nach ihrer eigenen Aussage „as much as possible“ von ihm singen. Nach Daphne und Zdenka ist jetzt die judäische Prinzessin in Erfüllung gegangen.
Ein Wermutstropfen: Ihr hoher Sopran fühlt sich zwar nach eigenen Angaben auch in tieferen Lagen wohl, aber es fehlte an ihrem ersten Salome-Abend dort an Durchschlagskraft. Es wäre ihr anzuraten, von einer Ariadne noch Abstand zu halten. Das Wichtigste und Wesentliche ist für sie, den Einklang zwischen ihr und dem Publikum, für das sie singt, zu spüren. Deswegen hat sie diesen Beruf gewählt. Es tat uns daher weh, als im Finale gleich nach dem Verklingen des Orchesters und fast unmittelbar nach ihrem Schlussmonolog ein lautes Buh zu hören war, das sich wohl auf die Regie bezog.
Ein weiteres schönes Erlebnis an diesem Abend war Alexander Krasnov als Jochanaan, der uns mehr im Gedächtnis haften bleiben wird als so mancher berühmtere Interpret dieser Partie. Als dritte Säule der Aufführung ist Renée Morloc als Herodias hervorzuheben. Eine „Erda“ und nicht ein hochdramatischer Sopran auf der Suche nach einer Karriereverlängerung.
„Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!“ So beginnt das schicksalsschwere Musikdrama. Wir mussten unsre „Antennen“ auf den Punkt genau einstellen, um Ibrahim Yesilay nicht zu überhören. Auch den als Alt charakterisierten Pagen (Karina Repova) fanden wir zu leichtgewichtig. Konnten wir anfangs den Herodes des Sergej Khomov ohne Schwächen überspielende Übertreibungen goutieren, so brach bedauerlicherweise sein Stimmvolumen ein, als er verzweifelt Jochanaan durch kostbare Alternativgeschenke retten wollte.
Einem gewaltigen Orchesterapparat steht eine auf das Ausmaß einer Kammeroper reduzierte Bühne gegenüber (Klaus Grünberg). Nicht ein Bankett wird gefeiert, sondern Herodes lässt zu einer Privatparty bitten. Das fanden wir reizvoll und es erfordert von den Darstellern ein anderes Bewegungsrepertoire.
Die Kostüme gestaltete Silke Willrett. Statuarisches ist nicht gefragt. Da ist das Militär nicht in schwerer Rüstung vertreten und die Bässe (Luke Stoker und Günes Gürle) lassen keine gewaltigen Stimmen erklingen. Der Cappadocier (Tomas Kildišius) ist ein Repräsentant unsrer Zeit, der auf viele Fragen keine Antworten bekommt. Zu den Partygästen gehören auch die fünf Juden, die eine gute Ensembleleistung bieten (Johannes Preißinger, Florian Simson, David Fischer, Edward Mout und Peter Lobert). Ihr theologischer Disput ist nicht skurril angelegt und jenseits gehässiger Antijudaismen.
Die Partie des Ersten Nazareners sollte für den ersten Bassisten des Hauses mit viel Erfahrung reserviert sein. Auch wenn er in dieser Inszenierung nicht erst mit seinem Gefährten auftritt, sondern sich schon unter den Gästen befindet, so soll er doch in seiner Szene kurz zum Mittelpunkt werden. Das Publikum muss für diese Szene alles andere vergessen, Salome, Herodes, Herodias. Das hat mit Torben Jürgens nicht stattgefunden und der Zweite Nazarener in Person von Luvuyo Mbundu kann da nichts retten. Die Alternativbesetzung des Ersten Nazareners wäre Marko Špehar gewesen, den wir an der Oper Basel schätzen gelernt hatten. Außerdem verkommt die Szene zum Slapstick. Die Rolle des Sklaven (Maria Boiko) wird aufgewertet.
Das Problem einer „Doppelconférence“ zeigt sich diesmal bei der musikalischen Leitung der Düsseldorfer Symphoniker durch Aziz Shokhakimov. Während ich, vielleicht zu wenig Analytiker, mich gespannt der Musik hingab, vermisste meine Frau die feine Herausarbeitung der Orchestergruppen.
Das Ende des Musikdramas wirkt verstörend. Salome erreicht nicht nur die Leichenschändung, nicht genug, sie wird zur Urheberin eines Gemetzels unter der Partygesellschaft.
Regisseurin Tatjana Gürbaca will einer Ästhetisierung des Schlussmonologs entgehen. Wenn jedoch Salome sich zum apokalyptischen Vollstrecker der Visionen Jochanaans auserwählt sieht, dann sind wir bei der Ideologie des Terrors angelangt. Es steht den Menschen nicht zu, solch ein Gericht zu halten.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 07. März 2020, für
klassik-begeistert.de