Eine kaum zu lösende Aufgabe: „Salome“ wird aufgeführt ohne Orchesterprobe

Richard Strauss, Salome  Wiener Staatsoper, 5. April 2025

Salome 2023 © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

An der Wiener Staatsoper steht Yoel Gamzou vor einer riesigen Hürde: eine „Salome“ ohne Orchesterprobe, das ist Wahnsinn. Stabhochsprung aus dem Stand. Dass der israelisch-amerikanische Dirigent es kann, hat er schon bewiesen. Bei der ersten Aufführung einer Serie jedoch unmöglich. Applaus gibt’s dennoch ordentlichen.

Salome, Richard Strauss
Oper in einem Akt
Text   Hedwig Lachmann nach Oscar Wilde


Wiener Staatsoper,
5. April 2025

von Jürgen Pathy

Spannung, bei „Salome“ dreht sich alles um die Spannung – und zwar im Orchestergraben. Ein 100-minütiges Crescendo, aber nicht von der Lautstärke, sondern von der Dramatik. Dirigent Yoel Gamzou hat das in petto, aber nicht ohne Proben. „Salome“, basierend auf Oscar Wildes gleichnamigem Drama – das ist großes Kino, ein Schocker in blutrot.

Die Quintessenz der Geschichte: Eine dekadente Welt kippt ins Wahnhafte. Sexuelle Obsession trifft auf Machtgier und religiösen Fanatismus. Richard Strauss packt die biblische Geschichte in ein brutales, sinnlich überreiztes Klanggewand – ein einziger Rausch zwischen Erotik und Abgrund.

Beide Joker stechen nicht

Musikalisch ruht alles auf zwei Schultern: der Titelpartie, die einen ekstatischen Tanz vollführt, um ihre Obsession zu erlangen – den Kopf des Jochanaan purzeln zu sehen. Und im Orchestergraben, der erst das Drama zur höchsten Intensität hochschaukelt. Beide stemmen diese Last an diesem Abend nicht.

Jennifer Holloway gibt sich Mühe, beweist lyrische Finesse mit enormer Ausdauer. Nur: Das Dramatische der eher leichteren Stimme bleibt aus, die Höhen versinken. Die Eruption, der Schub des Schlussgesangs ist nicht vorhanden.

Das liegt zum einen am Wiener Staatsopernorchester, das auf Brachialität setzt, anstatt auf subtile Ekstase. Zum anderen daran, dass Yoel Gamzou die Sänger aus den Augen verliert. Das bekommen fast alle zu spüren. Jörg Schneider geht als Herodes ziemlich unter. Mehr Mut zur Hässlichkeit wäre gefragt. Keifen, geizen, meckern, statt an der lyrischen Verletzlichkeit festzuhalten, die Schneiders Stimme so veredelt. Stephanie Houtzeel als Herodias lebt von ihrer Bühnenpräsenz, fällt sonst nicht ins Gewicht.

Tomasz Konieczny ist das Highlight des Abends

Nur einen kann nichts erschüttern: Tomasz Konieczny als Jochanaan, sprich Johannes der Täufer. Trockene Instanz mit göttlicher Moral war gestern. Bei Tomasz Konieczny wird der zur echten Lichtgestalt. Lyrische Linien, gepaart mit prophetischer Wucht.

Einziger Einwand: Den polnischen Bassbariton würde man gerne in wichtigeren Ämtern sehen. In Wien fordert man Konieczny als Wotan. Auch wenn der Jochanaan eine ernstzunehmende Partie ist – in Relation zu Wagners Göttervater ist das ein Nebengleis, auf dem man eine Größe wie KS Tomasz Konieczny nicht dauerhaft parken sollte.

Alles in allem ein lauwarmer Repertoireabend. Statt brodelndem Vulkan, der regelmäßig Feuer spuckt, vereinzelt Dezibel-Amplituden nach oben. Cyril Testes Inszenierung ändert daran auch nicht viel. Ein cineastischer Schocker, angelehnt an das Horror-Genre der 1980er Jahre. Alles im Angesicht einer Tafel, an der man Champagner und Kaviar kredenzt. Dinner for One trifft auf Halloween, alles in Schwarz-Weiß.

Beim Kernpunkt des Dramas lässt Teste keine Deutung offen: Salome liest er nicht als Femme fatale, sondern als verletzte, pubertär Besessene – Kindfrau und Todesengel zugleich. Mit zwei Doppelgängerinnen zarten Alters verdeutlicht er seinen Standpunkt. Nachvollziehbar, logisch. Bleibt nur abzuwarten, dass Gamzou eines findet: Die Balance – und ein Wiener Staatsopernorchester, das mitzieht. Dann ist in den Folgevorstellungen großes Kino gewiss.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 6. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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