Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
Bayreuther Festspiele, 30. Juli 2018
Jan Philipp Glogers „Fliegender Holländer“ aus dem Jahr 2012 kommt bei den Besuchern der Bayreuther Festspiele in der letzten Saison gut – aber nicht überragend – an. Der Holländer ist ein erfolgreicher Geschäftsmann mit Rollkoffer und Kaffeebecher. Seinen Stoßseufzer könnte heute mancher erfolgreicher Single unterschreiben: „Was frommt der Schatz? Ich habe weder Weib noch Kind, und meine Heimat find‘ ich nie!“
Der Holländer ist dazu verdammt, in alle Ewigkeit auf dem Meer herumzuirren. Nur alle sieben Jahre darf er an Land, um eine Frau zu suchen, deren Treue ihn von diesem Fluch erlösen könnte. Daland als Betreiber einer Ventilatorenfabrik verschachert dem Holländer seine Tochter Senta, die sich in Glogers Inszenierung ein Schwert in den Bauch stoßen und damit den Holländer und seine Mannschaft erlösen wird.
Soweit Richard Wagners Geschichte in einem Absatz. Auf der Bühne im Festspielhaus dominierte wie bei „Tristan und Isolde“ am Freitag wieder ganz viel Metall und Düsternis. Das ist nicht besonders packend – für die Inszenierung gab es am Montagabend auffallend zurückhaltenden Applaus, aber keine Buhs wie bei „Tristan und Isolde“ und den „Meistersingern von Nürnberg“ –, hat aber etwas Gutes, wie die Abendzeitung konstatierte: „Zwischen den Datenströmen einer kühlen Businesswelt und den Pappschachteln im Miefquirl-Imperium muss man sich nicht aufregen – und kann sich auf die Musik konzentrieren. In Bayreuth ist das keine Selbstverständlichkeit.“
Und die Musik, gespielt vom Festspielorchester – diese grandiose Formation europäischer Spitzenmusiker – , ist mal wieder das Beste an diesem Abend. Der Dirigent Axel Kober geleitet seine Wagnerspezialisten im heißen Graben sehr gut durch die zwei Stunden und 13 Minuten – das ist für einen „Fliegenden Holländer“ eine recht kurze Zeit. Vor allem das muskulöse Fortissimo im Tutti überzeugt, auch im Zusammenspiel mit dem stimmgewaltigen Festspielchor unter der Leitung von Eberhard Friedrich, Chordirektor der Hamburgischen Staatsoper. Vor allem der Männerchor singt absolute Weltklasse! Wahnsinn! Phonstark! Packend! Allein dieser Chor ist eine Reise nach Bayreuth wert!
Peter Rose als Daland, des Steuermanns Chef – unauffällig: Rainer Trost; kein Vergleich zu der wunderbar lupenreinen, glasklaren und hellen Tenorstimme von Benjamin Bruns vor zwei Jahren –, ist ein tiefer, autoritärer und textverständlicher Bass, der das Publikum vom ersten Takt an in den Bann zieht. Er führt seine Stimme über alle Register sehr fein.
Der Hingucker des Abends aber ist der Protagonist des Stückes: der Holländer. Der US-Amerikaner Greer Grimsley gibt der Rolle eine durch und durch nachtschwarze Färbung, wenn auch auf Kosten der Verständlichkeit. Das klang immer wieder nicht sehr Deutsch. Doch je länger das Stück dauerte, desto besser wurde der Bariton. Im Terzett zum Schluss war die Leistung fast schon Weltklasse. An die Leistung von Thomas J. Mayer vor zwei Jahren konnte Grimsley aber nicht heranreichen – der Deutsche hat eine nuancenreichere, vollere und auch vokalklarere Stimme. Grimsley sang zu statisch, zu monoton.
BR Klassik hat recht: „Grimsley hat beeindruckende Kraftreserven und bringt hinsichtlich des Stimmumfangs alle Voraussetzungen mit. Doch gleichzeitig singt er mit zu großem Druck, was nicht nur manche Töne verzerrt, sondern ihm auch weder die Möglichkeit zu wirklichem Legato noch zur nötigen Innerlichkeit gibt. Der Holländer ist kein wütender Alberich, sondern auch eine verletzte, hilflose Figur.“
Die kraftvollste Stimme des Abends hatte Ricarda Merbeth als Senta. Allerdings sang die 52-Jährige aus Chemnitz die großen Spitzentöne immer wieder falsch an, war aber intonatorisch sicherer, wenn sie nicht in vollem Forte sang. Senta ist eine Mörderpartie – nicht umsonst hat Birgit Nilsson im Laufe ihrer Karriere einen großen Bogen um sie gemacht. Ricarda Merbeth bot zwar gleißende Spitzentöne, aber ihre Stimme wirkte immer wieder unkontrolliert, bisweilen kreischend; etliche Töne verrutschten, auch in der Intonation, vor allem am Anfang. Diese Partie hat Merbeth schon viel besser gesungen, auch in Bayreuth etwa 2015 und 2016!
Die Mezzosopranistin Christa Mayer gab eine gute, solide Mary ohne besondere Höhepunkte.
Tomislav Mužeks kultivierter Gesang war sehr angenehm zu hören, und das nicht nur wegen der Seltenheit seines Stimmfaches (ein lyrischer Tenor) in Wagner’schen Opern. Er überzeugte als Erik im Hausmeister-Kittel in allen Lagen. Sein Timbre ist einzigartig, seine Strahlkraft enorm. „Die innere Zerrissenheit, das ohnmächtige Kämpfen um Sentas Liebe und die Verzweiflung über das langsame, unaufhaltsame Entgleiten dieser macht er nachfühlbar“, schreibt BR Klassik trefflich. Mužeks Stimme war die einzige an diesem Abend, die bewegte. Dieser Tenor sollte in Zukunft auch größere Aufgaben in Bayreuth übernehmen.
So schließt sich klassik-begeistert.de dem Fazit von BR Klassik an: „Die Solistenriege – sehr viele sind zum wiederholten Mal dabei – weiß, was sie zu tun hat. Aber das gewisse Mehr, die überragende Qualität für ein Festspielniveau, mag sich nicht einstellen.“
Andreas Schmidt, 30. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de