Oksana Lyniv. Foto: Oleh Pavliuchenkov (Bayreuther Festspiele)
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 16. August 2022
Der fliegende Holländer
Musik und Libretto von Richard Wagner
Kein Segel, kein Schiff in Sicht, die Matrosen sind im 21. Jahrhundert angekommen und machen Rast in der Hafenkneipe des kleinen Fischerdorfs. Elisabeth Teige ist die stimmliche Zukunft der Bayreuther Festspiele, Oksana Lyniv die Siegerin des Bayreuther Dirigat-Wettbewerbs 2022.
von Peter Walter
Ein Orchester von herausragender Exzellenz, das hat man in Bayreuth bislang schmerzlich vermisst. Dann steht Oksana Lyniv – eigentlich die Außenseiterin in Sachen Bayreuth-Dirigat – im Graben und alles wird anders. Zwischen stürmender See und herzhafter Liebe, diese Frau kann einfach alles liefern, was Wagner aus einer Partitur wollte. Fagott und Englischhorn schmelzen auf der Zunge zusammen, stürmische Streicher fegen den Himmel heller als jeder Donner der Welt. Das war absolutes Thielemann-Niveau!
Senta singt die Ballade, den fliegenden Holländer lässt sie nicht in Ruh. Von Dmitri Tcherniakov in eine freche, ungehorsame Tochter transformiert – die rot-blauen Strähnchen dürften wohl eine Protestaktion gegen den Vater sein – summt sie ganz in ihrer eigenen Welt, musikalisch in ihrer eigenen Liga. Die Töne packt sie mit einer Wucht, die man sonst nur von einer Ricarda Merbeth kennt. „Hui, wie pfeit’s im Tau“, es fegt ein Sturm aus Noten und Klängen durchs Festspielhaus. Elisabeth Teige gehört – neben Lise Davidsen – die Zukunft der Bayreuther Festspiele!
Sie wirft sich dem Holländer zu Füßen – so ihr Verlobter. Von wegen: Thomas Johannes Mayers donnernde Darbietung der Titelrolle wird von Frau Teige ordentlich auf die Probe gestellt, die wohl härteste Prüfung des Abends. Mit zorniger Stimme röhrt sein Bass-Bariton durch die Meere, am Ende entpuppt er sich als Rächer des Dorfs, in dem er als Kind Zeuge des Selbstmords seiner Mutter wurde – eine originale Vorgeschichte der Regie.
Senta und ihr Holländer singen im Wintergarten, Daland und Mary können nur noch versteinert zuschauen. Ein wahrer Glücksgriff, dass man diesen Ausnahme-Sänger in all dem Umbesetzungs-Chaos gewinnen konnte. Sein Duett mit dem Vater ist eine Sternstunde der Musik – als stünden gleich zwei Georg Zeppenfelds auf der Bühne! So wünscht man sich eine Bayreuther Gesangbesetzung. Der hilflose Erik kann nur noch verzweifelt zuschauen – trotz etwas übertriebenem Vibrato eine Glanzleistung auch von Eric Cutler.
Attilio Glasers Steuermann war die Überraschung des Abends, auch in der Mini-Nebenrolle heftig umjubelt. Frau Mary war definitiv nicht still, auch Nadine Weissmann konnte sich mit starker Stimme unter den Ausnahme-Stimmen mehr als ordentlich zurechtfinden.
Tief geschlafen haben muss die Mannschaft des Holländers, wenn sie bei diesen Rufen „Wacht doch auf!“ nicht sofort aus der Ruhe gerissen wird. „Hojohe“, es herrscht Party-Stimmung im Saal. Dann mit voller Kraft eine Kampfansage an die fremden Matrosen, „Zeigt uns des fliegendes Holländers Lauf“ als streitlustige Provokation. Endlich ist der Chor wieder in alter Form, die Zeiten der gedämpften Corona-Akustik endgültig vorbei. Die Macht der Meere besteigt den Grünen Hügel!
Einzig die Szenenumbauten haben alles andere als reibungslos funktioniert, die Häuser fuhren über die Bühne wie Güterzüge in einem überfüllten Rangierbahnhof. Und die Schüsse des Holländers – ein Merkmal dieser Inszenierung – waren auch etwas merkwürdig, der Matrose fiel zwar tot zu Boden, der Schuss aber blieb still. Bei der Technik hat da wohl einiges nicht funktioniert…
Summa summarum: Das war die erste Aufführung in Bayreuth dieses Jahr, an der es absolut nichts auszusetzen gab. Nach dem Motto: Die besten sind uns gerade gut genug. Das gilt auch für Oksana Lyniv, die Siegerin des Bayreuther Dirigat-Wettbewerbs 2022.
Peter Walter, 17. August 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Festspielhaus, Bayreuth, 06. August 2022
Richard Wagner, Tannhäuser Deutsche Oper Berlin, 26. Mai 2022