Trotz fehlender Orchesterproben ist Ádám Fischer ein eindrucksvoller „Ring" zu verdanken

Richard Wagner, Die Götterdämmerung,  Wiener Staatsoper

Foto: M. Pöhn (c)
Wiener Staatsoper,
15. April 2018
Richard Wagner, Die Götterdämmerung

Ádám Fischer, Dirigent
Sven-Eric Bechtolf, Regie

Stephen Gould, Siegfried
Albert Pesendorfer, Hagen
Iréne Theorin, Brünnhilde
Tomasz Konieczny, Gunther
Martin Winkler, Alberich
Anna Gabler, Gutrune
Nora Gubisch, Waltraute
Monika Bohinec, Erste Norn
Stephanie Houtzeel, Zweite Norn
Caroline Wenborne, Dritte Norn
Ileana Tonca, Woglinde
Stephanie Houtzeel, Wellgunde
Bongiwe Nakani, Flosshilde

von Jürgen Pathy

„Dein Brief, mein herrlicher Freund, hat mich hocherfreut. Du bist auf einem außerordentlichen Wege zu einem außerordentlich großen Ziele gelangt… mache Dich nur heran und arbeite ganz rücksichtslos an Deinem Werke“!

Mit diesen vitalisierenden Worten seines Freundes, Gönners und späteren Schwiegervaters Franz Liszt empfängt der im Schweizer Exil lebende, steckbrieflich gesuchte, von Geldnöten geplagte Richard Wagner Ende des Jahres 1851 den nötigen Zuspruch, um sich mit voller Schaffenskraft in sein epochales Meisterwerk zu stürzen: den Ring des Nibelungen.

Dem vorangegangen war ein Brief Richard Wagners am 20. November, in dem er den Plan seiner Ring-Tetralogie das erste Mal deutlich ins Auge fasst – der vierte und letzte Teil, ursprünglich „Siegfrieds Tod“ genannt, wird später als „Die Götterdämmerung“ in die Annalen der Geschichte eingehen.

Ginge es nach dem Zuspruch des hellauf begeisterten, kritischen Wiener Publikums würde die über weite Teile unspektakuläre Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf dieser Pforte folgen.

Doch alles der Reihe nach. Nach dem Vorspiel taucht das Haus am Ring in die Welt der am Walkürenfelsen lagernden Nornen ein, die über den Verfall der Welt raunen, während das Schicksalsseil reißt. Von all dem ahnt der tatendurstige Siegfried nichts, der seine geliebte Brünnhilde der Abenteuerlust wegen verlässt. In die Rolle des unerschrockenen Helden schlüpft ein wieder einmal großartiger Stephen Gould, 56, der dieser Partie über weite Strecken mühelos viel Glanz und Schmelz verleiht – nur vereinzelt merkt man dem 2015 zum österreichischen Kammersänger erkorenen Heldentenor die Strapazen der tollkühnen Reise an.

Als sein geliebtes Weib Brünnhilde, das der Herzensbrecher auf der Suche nach neuen erotischen Abenteuern aufgrund eines Zaubertrankes schnell aus dem Gedächtnis drängt, kann Iréne Theorin, 54, am „dritten Abend“ deutlich erfolgreicher reüssieren als noch am zweiten. Trotz grenzwertiger Fortissimi im hohen Register werden ihre bezaubernden leisen Töne an diesem Abend von einem zeitweise hervorragenden Orchester vornehm-zurückhaltend untermalt.

Auf der anderen Seite ertönen aus dem Orchestergraben teils brachiale Klänge. Im Gegensatz zu manch anderen Kollegen interpretiert der ungarische Maestro Ádám Fischer, seit Januar 2017 zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper geadelt, ein Forte-Fortissimo auch als solches, lässt beim Trauermarsch das Orchester gewaltig eruptieren und selbst ein so großes Haus ehrfürchtig erbeben.

Doch so herrlich harmonisch wie bei der ergreifenden Szene am Walkürenfelsen, in der Waltraute ihre Walkürenschwester Brünnhilde aufsucht und um des Friedens Willen um Siegfrieds Liebespfand (Ring) fleht – Gänsehaut pur! –, wirken das Staatsopernorchester und die Protagonisten auf der Bühne nicht immer. Fast schon obsolet zu erwähnen: das ab dem zweiten Aufzug wiederholt schräg quietschende Blech.

Als Gunther erlebt das Publikum einen seit Anbeginn des Wiener „Rings“ seine Duftspur ziehenden Tomasz Konieczny, 46, der als Gibichungen-König ein fulminantes Rollendebüt feiert –  eine beeindruckende, sicher geführte und voluminöse Stimme; egal ob als Wotan, Wanderer oder Gunther. Den unabdingbaren Ritterschlag als Wagner-Interpret wird der polnische Sänger im Sommer bei seinem Debüt am Grünen Hügel in Bayreuth entgegennehmen: als Telramund im „Lohengrin“, laut dem genialen Bassbariton „die schwierigste Partie bis jetzt“.

Den glorreichen Abschluss des „Rings“ verdankt die Wiener Staatsoper auch einem kurzfristig eingesprungenen Albert Pesendorfer, 50, der dem hinterlistigen Hagen seinen kolossalen Körper und mächtigen Bass verleiht – und dem Dirigat des Ádám Fischer, 68. Trotz durchgehend fehlender Orchesterproben ist es dem erfahrenen Wagner-Dirigenten zu verdanken, dass den enthusiastischen Wagnerianern ein großteils eindrucksvoller „Ring“ geboten wurde.

Die seit dem „Rheingold“ durchgehend ins Schwimmen geratenen Wiener Hörner waren schmerzend zu erdulden, auch wenn ein Gigant und Genie wie Richard Wagner, der vom verstorbenen Kritiker-Papst Joachim Kaiser in einem Atemzug mit Christus, Napoleon, Shakespeare und Marx erwähnt wurde, Orchesterproben verdient hätte – und selbstverständlich auch das ungeheuer disziplinierte Wiener Publikum, das kongenial mit allen Charakteren mitfieberte, mit den bewundernswerten Künstlern vereint atmete und eine exorbitante Atmosphäre erschuf, die ihresgleichen sucht.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 17. April 2018, für
klassik-begeistert.at

Foto: Michael Pöhn

 

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