Christian Thielemann triumphiert mit den „Meistersingern“ in Dresden

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg  Dresden, Semperoper, 7. Mai 2023

Foto: Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Julia Kleiter (Eva)
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Diese Meistersinger – zuletzt 2020 gerade noch kurz vor Corona in Dresden zu erleben und jetzt in erst sechster Vorstellung – waren  eine Sensation!

Richard Wagner
Die Meistersinger von Nürnberg

Hans Sachs: Georg Zeppenfeld
Veit Pogner: Andreas Bauer Kanabas
Sixtus Beckmesser: Adrian Eröd
Walter von Stolzing: Tomislav Mužek
David: Daniel Behle
Eva: Julia Kleiter
Magdalene: Christa Mayer
Fritz Kothner: Markus Marquard
Kunz Vogelgesang: Iurie Ciobanu

Ein Nachtwächter: Alexander Kiechle
u.a.

Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog

Semperoper, Dresden, 7. Mai 2023

von Kirsten Liese

Die Meistersinger sind ein Großunternehmen mit einer Vielzahl an Solisten, großem Choraufgebot und opulenter Orchesterbesetzung. Der damit verbundene hohe Aufwand mag erklären, warum auch an der Semperoper im regulären Spielbetrieb die Karten im Parkett bis zu 300 Euro kosten. Und warum in der gestrigen Aufführung der Wagneroper bedauerlicherweise noch zahlreiche Plätze leer blieben, obwohl Christian Thielemann dirigierte, der nach einer Krankheitspause zur Wiederaufnahme der erfolgreichen Produktion ans Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden zurückgekehrt ist.

Aber damit genug der Vorrede, denn um es gleich zu sagen: Diese Meistersinger – zuletzt 2020 gerade noch kurz vor Corona in Dresden zu erleben und jetzt in erst sechster Vorstellung – waren  eine Sensation!

Fast hätte man meinen können, die majestätischen Klänge des Vorspiels in C-Dur, von Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle in ihrem feierlichen Ton prachtvoll zelebriert,  hätten die dunklen Wolken vertrieben, die den Himmel vor Beginn der Aufführung verhangen. Zur ersten Pause schien die Sonne.

Es ist einfach immer wieder eine große Freude zu erleben, wie der geniale Wagnerdirigent die Partitur zum Funkeln bringt, wie genau er die Orchesterstimmen ausbalanciert, dafür Sorge trägt, dass Nebenstimmen nie zu laut werden, aber doch hörbar bleiben.

Von einer „Wunderpartitur“ spricht Christian Thielemann, und in seinem Erleben der Musik wird das in jeder noch so kleinen Phrase spürbar, und sei es nur die kleine Fagott-Burleske, die sich da noch in die letzten Takte des mit dem Nachtwächter ausklingenden zweiten Akts hineinschlängelt. Da ist die sagenhafte Prügelfuge bereits verklungen, die unter Thielemanns Leitung nicht nur die ihr eingeschriebene Dramatik verströmt, sondern zugleich so elastisch daherkommt, dass sich genau vernehmen lässt, wie die vielen, vielen Stimmen sich ineinander verzahnen.

Besonders magisch wird es, wenn der mit der Partitur schlafwandlerisch sicher vertraute Thielemann zarte Streichergespinste pinselt oder an bedeutsamen Stellen die Zeit anhält, bevor es weitergeht, und zwar aus einer spannungsvollen Stille heraus: Ein solch magischer Moment findet sich im Fliedermonolog („Der Vogel, der heut sang“), im Dialog zwischen Eva und dem Schuster („Könnt’s einem Witwer nicht gelingen?“ ), sowie in Sachs’ Wahn-Monolog („Ein Kobold half wohl da“)  und natürlich und ganz besonders wieder einmal vor dem „Wach auf“-Chor, der mit der Vehemenz und lang gehaltenen Fermate ein ganzes Füllhorn an Glückshormonen ausschüttet!

Eine ebensolche Wonne bereitet es,  wenn Celli und Kontrabässe melancholisch den dritten Akt einleiten, warm, sonor und schön im Ton!

Und was für ein farbenprächtiger Rausch im dritten Akt, wenn die Trompeten zum großen Aufgebot auf der Festwiese aus den Proszeniumslogen ihre Fanfaren anheben.

So kann nur jemand dirigieren, der das Werk tief in seinem Herzen trägt, sich selbst berauscht an der Farbenpracht dieser Musik.

Sächsischer Staatsopernchor Dresden © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Gesungen und gespielt wurde ebenso vorzüglich. Georg Zeppenfeld hat sich einmal mehr als der beste Sachs der Gegenwart empfohlen. Seine profunde Stimme und seine hervorragende Textverständlichkeit korrespondieren dabei ideal mit dem von ihm geschaffenen Rollenporträt. Sein Sachs wirkt so besonders menschlich, weil er – wiewohl er dem Junker Stolzing väterlich und jovial zur Seite steht –  weniger abgeklärt wirkt wie so manche Kollegen früherer Generationen, sondern in der entscheidenden Szene des Verzichts auf Evchen die Contenance verliert. Und so dem Schmerz, der unweigerlich doch damit einhergeht, Ausdruck gibt.

Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Sebastian Wartig (Konrad Nachtigall), Markus Marquardt (Fritz Kothner), Iurie Ciobanu (Kunz Vogelsang), Tomislav Mužek (Walther von Stolzing) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Toll, wie Zeppenfeld das spielt, wie er, der sonst so beherrscht und kontrolliert auftritt, da plötzlich randaliert in der Schusterstube, passend zu seinem Lamento über seinen Beruf („Das ist eine Müh, ein Aufgebot! Zu weit dem Einen, dem Andern zu eng, von allen Seiten Lauf und Gedräng: da klappt’s, da schlappt’s; hier drückt’s, da zwickt’s; – der Schuster soll auch Alles wissen“). Diese Szene gestaltet der Regisseur Jens-Daniel Herzog insgesamt ungemein bewegend. Für einen Moment sieht es fast so aus, als hätte es sich Eva nochmal überlegt, wenn sie Sachs in ihrem Trost anschließend offenbart, wie stark sie sich ihm verbunden fühlt und Stolzing, ein bisschen frustriert, schon fast auf dem Absatz umdreht.

Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Julia Kleiter (Eva), Christa Mayer (Magdalene) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Julia Kleiter ist in der neuen Besetzung nahezu ein Bilderbuch-Evchen, gesegnet mit dem von der Rolle eingeforderten Liebreiz und ihrem unverbraucht schlanken, schönen Sopran, der mich erstmals schon betörte, als ich sie vor mehr als zehn Jahren als Marzelline im Fidelio unter Abbado hörte. Sie scheint gar nicht älter zu werden.  Und doch ist sie keineswegs nur ein naives, dummes Ding, sondern durchaus eine junge Frau, die weiß was sie will, und hier und da  trotzig reagiert.

Eine tolle Entdeckung auch Tomislav Mužek, der als Junker Stolzing sein Rollendebüt gab, ein neuer Stern am Himmel der Wagnersänger. Groß, geschmeidig, schlank und von lyrischer Schönheit ist sein Tenor.

Und was für einen wendigen, schelmischen David beschert uns der phänomenale Daniel Behle! Allein schon seine Lehrstunde über die Regeln des Meistergesangs im ersten Akt, vorgetragen in bester Textverständlichkeit, bietet eine Sternstunde.

Adrian Eröd (Sixtus Beckmesser), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Ganz große Kunst als Sängerdarsteller bietet nicht zuletzt Adrian Eröd als Sixtus Beckmesser, der bei seinen verunglückten Auftritten mit seinen missratenen Mandolinen-Ständchen komisches Potenzial einbringt, aber auch großartig einen souveränen Verlierer gibt, der sich, nachdem Stolzing sein Preislied mit großem Erfolg gesungen hat, nicht klammheimlich wegstiehlt, sondern die Größe besitzt, Sachs,  vor dem er sich blamiert hat, zu seinem Erfolg zu gratulieren.

Christa Mayer als Magdalene und Andreas Bauer Kanabas als Evas Vater Veit Pogner komplettieren das bis in kleinste Nebenrollen erstklassig besetzte Ensemble.

Emphatische Bravorufe hatte sich zurecht auch der von André Kellinghaus einstudierte, mit großer Präsenz singende vorzügliche Sächsische Staatsopernchor verdient.

Am Ende großer Jubel für alle, allen voran für Christian Thielemann. Er ist der König unter den Meistersinger– Dirigenten.

Es ist wirklich ein Jammer, dass voraussichtlich nur noch zwei weitere Aufführungen dieser Produktion unter seiner Leitung bis zu seinem Scheiden aus Dresden anstehen.

Kirsten Liese, 8. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg Wiener Staatsoper, 4. Dezember 2022 PREMIERE

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg Deutsche Oper Berlin, 12. Juni 2022 PREMIERE

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg Oper Leipzig, 23. Oktober 2021

3 Gedanken zu „Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Dresden, Semperoper, 7. Mai 2023“

  1. Mir geht das Herz auf bei dieser wundervollen Beschreibung, und ich freue mich auf morgen. Ich habe diese Inszenierung vor drei Jahren schon gesehen. Und da nun Thielemann geht (gehen muss…) wollte ich das unbedingt nochmal erleben. Allein die Beckmesser-Szenen mit Eröd und Zeppenfeld sind das Eintrittsgeld wert, am liebsten würde man danach aufspringen und applaudieren, spart es sich aber für die Pause auf 😉

    Jens Ziegenbalg

  2. …so viel Lobhudelei für die Meistersinger Vorstellung in dieser Kritik!

    Geht doch gar nicht, dachte ich!

    Doch als ich die Vorstellung am 10. Mai gehört und gesehen habe und ich eine Kritik schreiben dürfte, wählte ich die gleichen Wörter, wenn ich das überhaupt so trefflich formulieren hätte können.

    Herzlichen Dank für die ausführliche Kritik, und durch diese Kritik konnten meine Frau und ich uns noch mehr auf DIESE Meistersinger freuen.

    Henning Rasche

  3. Lieber Herr Rasche, lieber Herr Jens,

    Ihr großes Lob ist mir eine riesige Freude! Eine größere Erfüllung in diesem Beruf ist nicht denkbar, als seine Leser derart zu begeistern, zu infizieren und dazu anzuregen, eine Vorstellung zu besuchen und in aller Beseeltheit nachwirken zu lassen.
    Wie oft höre ich von Redaktionen, dass Hörer oder Leser sich nur dann melden würden, wenn sie etwas zu meckern haben. Insofern weiß ich Ihre emphatische Rückmeldung sehr zu schätzen!! Ein solch schönes Feedback wie das Ihre vervielfacht die Motivation!! Dafür bin ich Ihnen sehr, sehr dankbar!
    Übrigens war ich gestern nochmal in der dritten und letzten Aufführung, und über die werde ich auch nochmal berichten!

    Herzliche Grüße, Kirsten Liese

  4. „Meistersinger“ Dresden am 14.Mai.
    Das war wirklich phänomenal! Seit 60 Jahren für mich die musikalisch und inszenatorisch mit Abstand beste und werkgetreueste Aufführung dieses grandiosen Meisterwerks, das ich mir jetzt zum Geburtstag geschenkt habe.
    Trotz einer etwas eigenwilligen szenischen Umsetzung hat Herr Herzog Gehalt und Aussage des Stückes vollumfänglich erhalten und das Publikum nicht mit eigenen Obsessionen vergewaltigt. Es geht eben nicht um Selbstverwirklichung irgendwelcher selbsternannter „Regisseure“, die das Stück im Sinne eines Selbstzwecks auf den Kopf stellen… das scheint auch alle Mitwirkenden extrem beflügelt zu haben, endlich die Musik, den Text und damit die Botschaft des Stückes dem Publikum unverkrampft zu vermitteln!
    Die Textverständlichkeit aller (!) Solisten war phänomenal und nicht durch aufoktroyierte Umdeutungen und Pseudo-„Sinngebungen“ verbogen oder gar verballhornt worden.
    Es war (und ist noch) eine Wohltat, leibhaftig erleben zu können, dass das wahre Musiktheater noch lebt. Grosser Dank – stellvertretend für alle – an Georg Sachs, bzw. Hans Zeppenfeld. Die beste und überzeugendste Darbietung dieser extrem anspruchsvollen Hauptpartie, die ich in 60 Jahren je erleben durfte!
    Das Orchester und Maestro Thielemann haben ein Übriges dazu getan, das Publikum im leider nur gut halb besetzten Saal an einem unwiederbringlichen Musiktheater-Erlebnis teilhaben zu lassen.

    Dr. Joachim Winter

    1. Werter Herr Winter,

      Sie schreiben, dass es sich bei der Aufführung um die „beste und werkgetreueste Aufführung“ handelte. Kann ich davon ausgehen, dass sich diese Aussage auf die Inszenierung bezieht? Ein paar Zeilen weiter schreiben Sie, das es sich um eine „etwas eigenwillige szenische Umsetzung“ handeln würde.

      Was denn nun? War die Aufführung werkgetreuest oder eigenwillig inszeniert? Beides zusammen geht schwerlich… Bitte bringen Sie Licht ins Dunkel.

      Hindemith

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