Bayreuther Festspiele 2025 eröffnet: Gatti, Zeppenfeld und Davids streiten über Wagners Humor

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg / Eröffnung Bayreuth 2025  Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2025

Auf den Punkt 66 von der Eröffnung der Bayreuther Festspiele

Richard Wagner / Die Meistersinger von Nürnberg  +++ PREMIERE +++

Orchester der Bayreuther Festspiele
Daniele Gatti / Dirigent

Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2025
Fotos © Enrico Nawrath

von Jörn Schmidt

Die Bayreuther Festspiele 2025 sind eröffnet. Wie immer im Leben gab es Licht und Schatten. Enthusiasmus, gute Laune, einen weisen Dirigenten mit jeder Menge Überblick und fidele Sänger. Aber auch ein Regiekonzept zum Fremdschämen. Dafür kamen mit Friedrich Merz und seiner Ehefrau Charlotte ein amtierender Bundeskanzler, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und seine Gattin  Karin sowie Ex-Bundeskanzlerin und Wagner-Connaisseuse Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer.

Sylt ist wie Bayreuth ist wie Deutschland

Die beste Nachricht vorneweg: Die Tourismus-Destinationen Sylt und Bayreuth sind  ein bunter Mikrokosmos unserer Gesellschaft, wo die unterschiedlichsten Menschen aller Schichten auf kleinstem Raum aufeinandertreffen. Und das ohne üble Zwistigkeiten. So betrachtet ist es um den Zusammenhalt in unserem Land nicht so schlecht bestellt, wie mancher argwöhnt.

Sylt sei die Insel der Schönen und Reichen, hört man oft. Während in Oberfranken zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele die Menschen vorfahren, die das Land führen. Im Schlepptau sonstige Prominenz. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Selbst Punker fahren im Sommer nach Sylt, ohne dass es Randale gibt. Das war übrigen schon in den 80er-Jahren so. Desgleichen sind die Festspiele kein Event für eine bestimmte Gesellschaftsschicht, sondern ein Treffpunkt für Menschen unterschiedlicher Hintergründe. Bürger und Frauen aller Zünfte, Gesellen, Lehrbuben, Mädchen, Volk.

Das Rezept für diesen Zusammenhalt: Enthusiasmus. Nach Sylt reist man für grandiose Natur, spektakuläre Sonnenuntergänge und Luft wie Champagner. Und was eint die Bayreuth-Touristen? Ihre Begeisterung für Richard Wagner und seine Musik. Mehr Enthusiasmus, weniger Aufgeregtheit. So geht’s.

Regiekonzept zum Fremdschämen

Vergangenen Herbst habe ich den Top-Operndirigenten Giampaolo Bisanti gefragt: Wer hatte mehr Humor, Verdi oder Wagner? Die prompte Antwort des Italieners: Rossini natürlich… Der deutsche Regisseur Matthias Davids ist anderer Meinung, ließ in einem Interview verlauten, dass  er bei Wagner viel Humor entdeckt habe.

Zur Eröffnung der Wagner-Festspiele 2025 hat Katharina Wagner Matthias Davids beauftragt, die Meistersinger von Nürnberg, Wagners Satyrspiel, neu zu inszenieren. In seinem Interview mit dem Merkur führte Davids aus, was er lustig findet: „Das, was man in den Meistersingern findet, sind gewisse menschliche Unzulänglichkeiten, die Komik erzeugen.“

Die Meistersinger von Nürnberg 2025,
Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Christina Nilsson (Eva) © Enrico Nawrath

Dieser Ansatz war keine gute Idee. Zwar hat der Regisseur wohlweislich hinzugesetzt:  „Ich will mich darüber aber nicht lustig machen, sondern mit Liebe auf diese Figuren schauen.“ Am Premierenabend war von dieser Liebe nicht viel zu spüren. Dazu muss man wissen: Davids ist Leiter der Musical-Sparte am Landestheater Linz. In einem Musical kann Schadenfreude schon mal ziemlich plump daherkommen.

Den Bayreuther Meistersingern stand dieses Konzept überhaupt nicht, wie es auch sonst keine angenehme Eigenschaft ist, über Unzulänglichkeiten zu lachen. Da muss man gar kein Anhänger der Woke-Bewegung sein, die gar keinen Spaß versteht, wenn man zum Beispiel Gewichtsprobleme seiner Mitmenschen unverblümt beschreibt. Bereits in der Bibel [Lutherbibel 2017, Die Sprüche Salomos, Spruch 17.5] heißt es: „Wer den Armen verspottet, verhöhnt dessen Schöpfer; und wer sich über eines andern Unglück freut, wird nicht ungestraft bleiben.

Wie sah Davids Ansatz auf der Bühne aus? Am Beispiel der Festwiese: So wie Nürnberg sucht den Superstarder Johannistag, das Hochfest der Geburt Johannes’ des Täufers, auf Humor getrimmt als  schnödes Volksfest. Außerdem rosa Fachwerk und rosa Leder. Dieses Konzept beschreibt die gesamte Inszenierung recht gut.

Die Meistersinger von Nürnberg © Enrico Nawrath

Lustige Sänger allenthalben ?

Den Sängern blieb gar nichts anderes übrig, ihr möglicherweise abweichendes  Rollenverständnis  diesem Regiekonzept unterzuordnen. Den gesanglichen Leistungen tat das nicht immer gut. Im Einzelnen:

Hans Sachs gilt  als eine der längsten Partien im gesamten Opernrepertoire. Wie gemacht für Georg Zeppenfeld (Bass), der mit seinen Kräften  klug zu haushalten weist. Und wohl ein kleiner, stimmlich über jeden Zweifel erhabener  Revoluzzer ist. In einem Interview kurz vor der Premiere mit BR Klassik brachte Zeppenfeld das Problem der Regie auf den Punkt. Davids „hat Wert darauf gelegt, dass ich den Sachs nicht zu bierernst anlege. Manchmal bricht halt bei mir doch der seriöse Bass durch.“ Zeppenfeld verriet auch seine eigene Deutung des Schusters: „Ich glaube, der Sachs ist ein Mann in der Midlife-Crisis.Seine allerbesten Momente hatte Zeppenfeld, wenn er sich der Regie entzog…

Die Meistersinger von Nürnberg, Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) © Enrico Nawrath

Jongmin Park  leiht seinen satt-festspielhausfüllenden Bass Veit Pogner: Streng und doch elegant. Bassbariton Werner Van Mechelen fügte sich als Konrad Nachtigall gut ins Ensemble: Routiniert, stimmstark, aber irgendwie phasenweise uninspiriert. Lag das möglicherweise an der Regie? Bariton Michael Nagy als Stadtschreiber Sixtus Beckmesser dagegen nutzte sein finsteres, zuweilen auf gefühllos getrimmtes Timbre, sich dem Regiekonzept zu widersetzen.

Die Meistersinger von Nürnberg, Michael Nagy (Sixtus Beckmesser) © Enrico Nawrath

Wie sah’s bei den Tenören aus? Martin Koch als Kürschner Kunz Vogelgesang spielte beweglich, mit heller Klangfarbe. Kein Hauch von Kritik an der Regie bei ihm.  Michael Spyres debütierte letztes Jahr  in Bayreuth, als Siegmund in der Walküre. Der US-Amerikaner bezeichnet sich zuweilen als „Baritenor“, was Walther von Stolzing  enorm an Charakter verleiht. Das fühlte sich an wie Rossini, der spielerisch in deutscher Ernsthaftigkeit macht. Ein Superstar mit Gespür für feinen Humor. Ermöglicht durch die enorme Wandelbarkeit seiner Stimme und natürliche Spielfreude. 

Die Meistersinger von Nürnberg, Michael Spyres (Walther von Stolzing) © Enrico Nawrath

Matthias Stier gibt David als keck-sympathischen  Lehrbuben. Sicher und mit guter Höhe.

Eva, Pogners Tochter, war  der Sopranistin  Christina Nilsson anvertraut. Das passte, der deutsche Stil liegt der Schwedin und ihre Bühnenpräsenz wirkt wie angeboren. Magdalene, Evas Amme, war mit Christa Mayer (Alt/Mezzosopran) besetzt. Als sie an der Semperoper Dresden den Ehrentitel  Kammersängerin verleihen bekam, gab sie eine geniale Definition von Liederabend und Oper zu Protokoll: Der Liederabend „ist eine tolle Sache, wie ein Wannenbad. Oper ist dagegen für den Zuhörer manchmal wie ein Whirlpool.“ Besser könnte man Christa Mayer nicht beschreiben.

Die Meistersinger von Nürnberg, Christina Nilsson (Eva) © Enrico Nawrath

Der Festspielchor mit einem Wort: Zünftig. (Also mit handfester Freude am Regiekonzept Davids, dabei akkurat und expressiv. Offenbar  unbeeindruckt von den jüngsten Diskussionen um die Streichung von Planstellen.)

Gatti behält den Überblick

Daniele Gatti hätte es fast nicht nach Bayreuth geschafft. Wegen einer #Metoo-Debatte, 2018  standen Belästigungsvorwürfe im Raum. Dem Königlichen Concertgebouworchester Amsterdam reichte das zu einer recht spontanen fristlosen Kündigung.

Wie gut, dass sich die Aufregung gelegt hat. Seit der Saison 2024/25 ist Daniele Gatti Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der italienische Maestro ist ein famoser Sängerbegleiter, der die Nöte seiner Sänger mit feinstem orchestralen Rausch zu vereinen weiß. Und dabei noch Raum für die Details der Partitur findet. Schön und brillant zugleich.

Daniele Gatti © Anne Dokter

Glauben Sie nicht? Dann hören Sie bitte exemplarisch Gattis Einspielung von Richard Strauss’ Salome mit dem Royal Concertgebouw Orchestra. Oder genießen seine Bayreuther Meistersinger. Von Mattias Davids’ Scherzen hat sich Gatti übrigens nicht irritieren lassen. Orchestral verantwortete Gatti statt dessen  elegant-ernsthafte Meistersinger mit Gespür für den sehr feinen Humor der Partitur.

Die Meistersinger von Nürnberg, Ensemble und Chor der Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath

Die Massenschlägerei? Musikalisch nicht brutal, sondern ein herrlicher Slapstick. Der zweistündige dritte Aufzug? Bacchantisch. Die vertrackte Bayreuther Akustik, an der schon so mancher gescheitert ist? Vom Italiener umgemünzt in himmlische Klangfarben. Bester Mann dieser Premiere? Daniele Gatti.

Wie verhielt es sich mit dem Applaus, korrespondierte der mit meiner Einwertung der künstlerischen Leistungen? Nicht durchgängig, möchte ich meinen. Aber irgendwie verhält es sich mit dem Applaus neuerdings  ein Stück weit wie mit den Google-Bewertungen für Restaurants. Die meisten Buhrufe kassierte Davids (auch Christa Mayer erhielt Buhs), den größten Applaus erhielt Zeppenfeld, noch vor Spyres.

Sidenote: Nacheinlass, konkret während der ersten Takte des Vorspiels, scheint jetzt auch in Bayreuth sozialadäquat. Vielleicht passend zum Mettigel auf der Bühne.

Jörn Schmidt, 25. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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