Dieser „Ring“ macht süchtig, ihn zu hören, ist pures Menschenglück

Richard Wagner, Götterdämmerung
Bayreuther Festspiele, 3. August 2017

Musikalische Leitung: Marek Janowski
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüm: Adriana Braga Peretzki
Licht: Rainer Casper
Video: Andreas Deinert, Jens Crull
Chorleitung: Eberhard Friedrich
Technische Einrichtung 2013-2014: Karl-Heinz Matitschka
Siegfried: Stefan Vinke
Gunther: Markus Eiche
Alberich: Albert Dohmen
Hagen: Stephen Milling
Brünnhilde: Catherine Foster
Gutrune: Allison Oakes
Waltraute: Marina Prudenskaya
1. Norn: Wiebke Lehmkuhl
2. Norn: Stephanie Houtzeel
3. Norn: Christiane Kohl
Woglinde: Alexandra Steiner
Wellgunde: Stephanie Houtzeel
Floßhilde: Wiebke Lehmkuhl

So sieht Solidarität aus: Da tritt die britische Sopranistin Catherine Foster nach dem zweiten Aufzug von Richard Wagners „Götterdämmerung“ vor den Vorhang. Tosender Applaus. Nur ein Zuschauer buht. 200 Zuschauer entgegnen mit einem kollektiven Bravo. Der Mann buht wieder – 300 Leute rufen Bravo. Noch ein Buh – 500 Bravo. Die Britin muss schmunzeln: Der Saal steht hinter ihr.

Catherine Foster als Brünnhilde gab bei ihrem dritten „Ring“ in Bayreuth eine Weltklasse-Leistung, sowie an allen drei Tagen: in „Die Walküre“, im „Siegfried“ und in der „Götterdämmerung“. Den Zenit erreichte sie bei ihrem zweiten Auftritt. Bis zum Ende der „Götterdämmerung“ glänzte sie mit einem kraftvollen, strahlenden Sopran mit atemberaubender Strahlkraft, der auch in den piano-Stellen mit Gefühl und raumgreifend zu überzeugen wusste.

Den zweitmeisten Applaus bekam der Däne Stephen Milling als Hagen. Der Bass gab einen voluminösen, ausdrucksvollen, verschlagenen Bösewicht ab, der es auf den Ring, das Gold und die Tarnkappe abgesehen hat. Nur bei einigen Spitzentönen hatte er wie im Vorjahr ein wenig Probleme. Trotzdem: Eine Weltklasseleistung dieses rabenschwarzen Basses mit vorbildlicher Textverständlichkeit.

Fast genauso viel Applaus wie Milling bekam der phantastische Siegfried Stefan Vinke. Das war wirklich ganze große Heldentenorsangeskunst – wunderbar! Vinkes Strahlkraft ist erstaunlich, seine Kraftreserven suchen ihresgleichen. Im „Siegfried“ war Vinke noch eine kleine Spur stärker – aber an beiden Tagen: Weltklasse!

Stimmlich sehr präsent in blühenden Baritonfarben, textverständlich und auch schauspielerisch überzeugend war Markus Eiche, 48, als Gunther. Den Schmerz, den er bei der Blutsbrüderschaft mit Siegfried erleidet, konnte man mitfühlen. Er hatte viele Weltklassepassagen – bravo!

Die britische Sopranistin Allison Oakes als Gutrune und die Mezzosopranistin Marina Prudenskaya als Brünnhildes Schwester Waltraute machten ihren Job sehr gut. Prudenskaya sang in allen Lagen optimal. Oakes hätte mit ihrem dramatischen Sopran auch das Zeug, die Brünnhilde zu singen. Die studierte Röntgendiagnostikerin war in der vergangenen Saison an der Staatsoper Hamburg und an der Deutschen Oper Berlin auch eine phantastische Salome in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper. Sie singt die Gutrune in Bayreuth seit 2013.

Fehlerlos und rein sangen die wunderbar spielenden koketten Rheintöchter (die Sopranistin Alexandra Steiner, die Mezzo-Sopranistin Stephanie Houtzeel und die Altistin Wiebke Lehmkuhl) sowie die traurigen Nornen (Lehmkuhl und Houtzeel und dazu: die Sopranistin Christiane Kohl). Den stärksten Eindruck hinterließ Wiebke Lehmkuhl mit ihrer tollen Alt-Stimme. Die gebürtige Oldenburgerin (Jahrgang 1983) ist auch noch als Evas Amme Magdalene in „Die Meistersinger von Nürnberg“ zu bewundern.

Einziger Wermutstropfen an diesem phantastischen Abend: Leider waren die meisten Sänger textlich in weiten Strecken nicht gut zu verstehen.

Klassik-begeistert.de wird noch ausführlich über den zweiten Bayreuther Ring ab dem 8. August 2017 berichten!

Am „Ring des Nibelungen“ unter der Regie Frank Castorfs scheiden sich die Geister. Kulissen für die „Götterdämmerung“ sind eine profane Döner-Bude sowie ein Obst- und Gemüseladen in einem Berliner Kiez; da sind deftige Massen- und Chorszenen im zweiten Aufzug; da sind filigrane Kameraeinstellungen von den Sängern, die Aktionen und Reaktionen eindrucksvoll zeigen; da ist die zuerst in Christo-Manier eingehüllte New York Stock Exchange als Manifestation des Turbo-Kapitalismus‘


, den Frank Castorf anprangert; da ist die große Leuchttafel „Plaste und Elaste aus Schkopau“, die an den untergegangenen Sozialismus in der DDR erinnern soll.

klassik-begeistert.de hat Castorfs Inszenierung des „Rings“ von Jahr zu Jahr besser gefallen. Die aufwendigen Bühnenbilder, die lebendige, dynamische Personenregie und die tollen (Live-)Videos offenbaren eine hohe ästhetische Qualität.

BR-Klassik: „Als die entehrte, rächende Brünnhilde schließlich den Rheintöchtern den fluchbeladenen Ring zurückgibt, geht weder Walhall in Flammen auf, noch tritt die Spree über ihre Ufer. Statt Weltenbrand und Erlösung sieht man in einer Filmsequenz, wie der tote Hagen in einem Boot liegend aufs Wasser hinausgestoßen wird.“

Regisseur Frank Castorf wurde nach der „Götterdämmerung“ am Donnerstagabend mit Beifall empfangen. Als dann sein komplettes Team auf der Bühne war, setzten viele Buh-Rufe ein. Letztendlich wurde das Team mit Bravo-Rufen und Fußgetrampel in den Feierabend entlassen – die Buh-Rufer hatten aufgegeben.

„Musikalisch ist diese ‚Ring’-Produktion eine Offenbarung, szenisch ein Offenbarungseid“, schrieb indes Deutschlands wichtigste Musikkritikerin Eleonore Büning vor einem Jahr in der FAZ. „Frank Castorf bräuchte, um seine mit zynischer Lustigkeit reich garnierte Kritik am Kapitalismus im Stadium von dessen Selbstauflösung auf der Bühne darzustellen, nicht unbedingt Wagners ‚Festspiel für drei Tage und einen Vorabend’ als Vorlage. Er könnte jedes x-beliebige andere Theaterstück dafür zerschreddern. Oder sich selbst einen Plot ausdenken. Umgekehrt kann die Musik zu Wagners ‚Ring’ keinen Nutzen aus den diversen zirzensischen Verzierungen und Karikaturen, Nebenhandlungen und Übermalungen ziehen, im Gegenteil. Sie spielt trotz alledem. Oder vielmehr: Sie spielt auf ihrem eigenen Stern. Und die Sängerinnen und Sänger sind es, die diesen Widerspruch ein ums andere Mal auszutragen haben.“

Positiver als die FAZ sah es die Bayreuther „Hauszeitung“, der „Nordbayerische Kurier“: „Gut möglich, dass Frank Castorf die ‚Götterdämmerung’ von allen vier „Ring“-Teilen vor allem deshalb am besten gelingt, weil Castorf mit dieser Menge an Zeit – viereinhalb Stunden, mit Pausen sechseinhalb – am besten umgehen kann“, schrieb Florian Zinnecker vor einem Jahr. „Bei keinem seiner großen Abende in der Berliner Volksbühne und anderswo kam er mit weniger Zeit aus, es war eher mehr, er ist auf der Langstrecke am besten. Wie lange ein Gedanke haltbar ist, wann es neue Reize braucht, wann ein kleiner Gag reicht und wann es die Keule sein muss. Er beherrscht die Dramaturgie der Langstrecke im Schlaf. Es ist die Sorte Dramaturgie, die sich auf die Zuschauer verlässt, die mit ihnen rechnet anstatt sie anzufassen und sie zu unterhalten.“

Tosenden Applaus gab auch in diesem Jahr wieder für Maestro Marek Janowski, 78, der 2016 sein heißersehntes Bayreuth-Debüt gegeben hatte. Er nahm keinerlei Rücksicht auf das Gewusel auf der Bühne. Die innere Spannung des Dirigats war extrem ansprechend, das Werk zerfiel nicht in einzelne Phrasen. Dass den Blech-Bläsern einige Fehler unterliefen, ist nach knapp 16 Stunden „Ring“ menschlich – unterm Strich musizierte das Festspielorchester auf Weltklasse-Niveau. Phantastisch war auch die fulminante Gesangsleistung des von Eberhard Friedrich einstudierten Festspielchores.

Fazit: Der „Ring“ macht süchtig, ihn zu hören, ist pures Menschenglück. Nach dem „Ring“, ist vor dem „Ring“.

Dieser Bayreuther „Ring“ ist viel, viel besser als sein Ruf. Mehr geht nicht! Viele Zuschauer werden den Castorf-Ring vermissen – 2018 wird nur noch die „Walküre“ aufgeführt werden – die „Götterdämmerung“, Wagners vielleicht stärkstes und packendstes Werk, leider nicht mehr.

Andreas Schmidt, 4. August 2016
klassik-begeistert.de

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