klassik-begeistert.de berichtet als einziger Klassik-Blog weltweit in Folge seit 2021 auch von der Eröffnung der Bayreuther Festspiele.
Mit dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ von Richard Wagner ist es wie mit einem guten Rotwein: Es wird besser, je öfter man es hört. „Parsifal“ ist gigantisch schöne Musik, das Lebensabschiedswerk eines Jahrtausendkomponisten. Parsifal betört die Sinne und macht süchtig, je länger man die Oper hört. „Parsifal“ beseelt. Es ist die Mega-Oper schlechthin.
Auch an diesem Abend auf dem Grünen Hügel: Was für eine großartige Musik! Was für eine Ouvertüre! Von den ersten Takten an entführt Richard Wagner in einzigartige und zauberhafte Klangräume. Sphärische, weihevolle Musik wie nicht von dieser Welt!
Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2023 (Eröffnung)
Richard Wagner, Parsifal
von Andreas Schmidt
Es bleibt der Eindruck eines phantastischen Abends im Bayreuther Festspielhaus. Die Bayreuther Festspiele sind state of the art für Wagner-Liebhaber. Die Akustik auf dem Grünen Hügel ist amazing. Die Oper an diesem Abend eine der schönsten dieses Planeten: Uraufgeführt am 26. Juli 1882 im Festspielhaus, Bayreuth.
Here we are tonight. Bayreuth, Oberfranken, 22 Grad. Regenergüsse, als die Menschen, die das Land führen, mit Karossen deutscher Provenienz eintreffen.
Beifall bekam als einzige vor dem Festspielhaus vorfahrende Prominente die Ex-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Sie verfolgt mit Ihrem Ehemann Professor Joachim Sauer seit vielen Jahren die Bayreuther Festspiele – und war sichtlich gut gelaunt. Mögen zukünftige Kanzlerinnen und Kanzler ein Quäntchen von Angelas Kultursinn übernehmen! Warum waren Sie nicht in Bayreuth, werter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz? Sie waren als Hamburger Bürgermeister doch auch regelmäßiger Besucher der Hamburgischen Staatsoper. Allein, das Haus an der Dammtorstraße in Hamburg ist verglichen mit Bayreuth eine Provinzbühne.
Nur Beifall, Riesenbeifall auch am Ende für diesen großartigen Parsifal – nur das Regieteam bekam auch Buh-Rufe… wohl auch für die AR-Brillen für 330 Menschen im 2000er-Saal.
Mit diesen Brillen sieht man vor der Bühne Bienen, Totenköpfe, Gesteine, einen Fuchs… einen blutenden Schwan, Äste, Blumen… sie fliegen durch „den Raum“ ist schon toll gemacht, diese erweiterte Realität, allein, sie verdeckt immer wieder (mit dieser ungewöhnlichen Brille, die 1000 US-Dollar kostet) das Geschehen auf der Bühne.
Die Technik ist genial, die Inszenierung sehr hochwertig mit tollen Raumeffekten. Tolle Kostüme, perfekte Personenführung. Die AR-Effekte sind amazing. Bringt die Brille das Geschehen weiter?
Viele sagten: „Sie lenkt ab!“ Zahlreiche Journalisten waren von der Technik begeistert, empfanden das teure Gerät aber als „überflüssig“.
Für Brillenträger mit optischen Gläsern ist die Brille sehr schwer und rutscht um so mehr runter, je länger der Abend dauert. Sie verdunkelt leider. Nach knapp 4 Stunden waren meine Augen so gereizt, dass ich nicht mehr alles klar sehen konnte.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hatte nach eigenen Worten die AR-Brille nur am Anfang der Vorstellung auf. „Ich bin ohne die Brille mehr in die Inszenierung hineingekommen“, sagte auf dem Staatsempfang im Neuen Schloss nach der Vorführung.
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte eine Brille, sie aber „kaum angehabt. Ich fand es ohne ehrlich gesagt besser“, sagte er. Söder lobte die „Spitzenqualität“ der Inszenierung. „Parsifal“ möge er besonders gerne, „weil es gut ausgeht“.
Mein Lieblingssänger des Abends war der Megabass Georg Zeppenfeld als Gurnemanz. Noblesse pur. Oh, wie schön, man kann sogar sein Deutsch verstehen… Zeppenfeld berührt mit seiner männlich-warmen Stimme. Er ist ein nobler Ritter der Gesangskunst. Das geht nicht besser. Eigentlich müsste die Oper „Gurnemanz“ heißen, weil der am meisten zu singen hat.
Andreas Schager beweist als Parsifal mal wieder, welch’ große Stimme er hat. Ohne jegliche Müdigkeitserscheinung singt und schmettert er scheinbar lässig mit natürlicher und geerdeter Stimme alles in den Saal, was in der anspruchsvollen Partie von ihm gefordert wird. Parsifals “Amfortas!”-Ruf im zweiten Aufzug geht durch Mark und Bein. Andreas Schager ist ein prächtiger Parsifal!
„Eine Kundry in Bayreuth zu singen, wäre die absolute Krönung!“
Das sagte Elīna Garanča am 8. März 2017 klassik-begeistert.de erstmals einem Medium in einem großen Interview.
Als Kundry gab die Lettin ihr Bayreuther Debüt. Garanča war eine Kundry, die ihre Gefühle mitunter beherrscht, was nicht heißen soll, dass sie weniger leidenschaftlich verführt. Im Gegenteil, sie beherrscht die Bühne in den umwerfenden Minuten mit Andreas Schager und weiß vor allem mit ihrer Stimme die in ihr lodernde Leidenschaft auszudrücken. Sie beeindruckt vor allem mit ihren phänomenalen Höhen und weiß die Spitzentöne, mit denen sich viele andere Sängerinnen abmühen, bombensicher und strahlend zu platzieren. Ihr tiefes Register ist, Erda-gleich, eine Offenbarung mit Gänsehautcharakter. Allein an ihrer Wortdeutlichkeit möge Frau Garanča noch etwas arbeiten, eigentlich spricht sie ja seit fast 30 Jahren sehr gut Deutsch.
Das Festspielorchester spielte unter der Leitung des Spaniers Pablo Heras-Casado, einem Novizen im Wagner-Geschäft mit der Kernkompetenz für historisch informierte Aufführungspraxis, wie von einem anderen Stern – in jeder Lage, vom Pianissimo bis zum dreifachen Forte.
Bayreuth bringt einen „Parsifal“ der Extraklasse: Dieser Abend gleicht einer Referenzaufnahme.
Und Mensch, lieber Herr Eberhard Friedrich (wir sprachen jüngst länger in der Hamburgischen Staatsoper, wo Sie den Staatsopernchor formen), was SIE aus diesem Festspielchor herauskitzeln, bei Frauen wie Männern, ist einsame Weltklasse… Dieser Chor allein war vom Pianissimo bis zum dreifachen Forte den Eintritt wert. Da waren Glanz und Zärtlichkeit, alles in
erhabener Güte.
Der Applaus für fast alle Beteiligten ist enorm, die Kundry unserer Tage bekommt noch etwas mehr als Andreas Schager und Georg Zeppenfeld.
Das Regie-Team erntet Applaus mit zahlreichen, lauten, wütenden Buh-Rufen. Zu unrecht.
Mit dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ von Richard Wagner ist es wie mit einem guten Rotwein: Es wird besser, je öfter man es hört. „Parsifal“ ist gigantisch schöne Musik, das Lebensabschiedswerk eines Jahrtausendkomponisten. Parsifal betört die Sinne und macht süchtig, je länger man die Oper hört. „Parsifal“ beseelt. Es ist die Mega-Oper schlechthin.
Auch an diesem Abend auf dem Grünen Hügel: Was für eine großartige Musik! Was für eine Ouvertüre! Von den ersten Takten an entführt Richard Wagner in einzigartige und zauberhafte Klangräume. Sphärische, weihevolle Musik wie nicht von dieser Welt!
Wagner strebte eine Verschmelzung von Kunst und Religion an, würdevoll und sakral ist die Musik, christliche Motive und Themen sind der Kern des Stückes. Kreuzweg, Hoffnung, das Blut Christi, Auferstehung, Erlösung. Schöner und dichter als Wagner das mit seinem finalen großen Werk getan hat, kann man diese Motive wohl nicht zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.
Das hier ist „Parsifal“ und nicht „Das Rheingold“. Und der „Parsifal“ ist schon in ganz andere – zum Teil abstruse Zeiten und Räume – verlegt worden.
Die Presse schrieb einst trefflich: „Klangfarbe ist im ‚Parsifal’ vielleicht Wagners wichtigstes Ausdrucksmittel, zaubert Stimmungen, Seelenbilder, sorgt für eine fortwährende Verwandlung. Denn kaum eine der Instrumentations-Nuancen wiederholt sich. Die musikalische Erzählung ist in stetem Fluss, selbst Erinnerungen an Gewesenes erscheinen stets in neuem Licht. Auch die exzellent realisierten Chorpassagen – in vielfacher Mischung mit Stimmen aus der Ferne, vielfach geteilten Solostimmen (Blumenmädchen, Knappen) und einem besonders beeindruckenden Glockengeläute – haben ihren Anteil an dieser fein verästelten Klangmalerei.“
„Die instrumental und klanglich homogenen, dicht gesteigerten Vorspiele und die Verwandlungsmusiken der Eckakte sind die schönsten Beispiele dieser altersreifen, klar strukturierten, gleichmäßig feierlichen wie sinnlich strömenden Musik“, bilanziert der Musikkritiker Rolf Fath.
Andreas Schmidt, 26. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de
Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2022 (Eröffnung)
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2021
Schon die eingangs gewagte Behauptung ist grundfalsch! Bayreuth bietet mitnichten „wie immer“ einen fantastischen Abend…
Auch dieser Parsifal ist differenziert zu betrachten: Gurnemanz und Kundry einsame Klasse, Amfortas sehr stark, alle drei: sängerisch und darstellerisch top. Klingsor akzeptabel. Parsifal selbst stolpert mit gleichbleibend „torenhaft tumber“ Miene durch den Abend. Von Erkenntnis und Reifung hin zum Gralskönig keine Spur. Das übliche Fortissimo diesmal zum Glück an einigen Stellen gemildert, ja ab und zu sogar Piano; doch die Entwicklung der Figur sucht man vergeblich.
Der ehemalige Haus- und Hofdirigent wird nicht vermisst, Chor und Orchester machten Freude.
Über das „Bühnengeschehen“ schweigt man besser, ist unbedeutend.
Andernorts gibts dieselbe Qualität, oft noch bessere Interpretationen mit zum Teil denselben Sängern.
Waltraud Becker