Andreas Schager: der Sänger, der das Fürchten nie gelernt

Richard Wagner, Siegfried  Bayreuther Festspiele, 3. August 2022

Andreas Schager (Siegfried), Wilhelm Schwinghammer (Fafner). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 3. August 2022

Siegfried
Musik und Libretto von Richard Wagner

Andreas Schager scheint ebenso wenig Furcht vor seiner musikalischen Konkurrenz zu haben wie Siegfried vor dem Drachen Fafner. Kein Orchester ist ihm zu laut, kein Festspielhaus zu groß, kein Sänger zu stark für ihn. Mimes Stimme ringt er lachend nieder wie ein Riese einen Zwerg, auch ein Tomasz Konieczny muss sich warm anziehen, wenn diese Stahl-Stimmbänder anfangen zu schwingen.

von Peter Walter

Wie ein 20-jähriger Laufbursche hopst der Heldentenor über die Bühne, das von Mime „schändlich stümperhaft“ geschmiedete Stahlschwert zerschmettert er mit links. Ein wahrhaftig komödiantischer Auftritt des Niederösterreichers, aus dem Publikum kommt Gelächter – sehr unüblich für eine Siegfried-Aufführung. Schager ist DER Siegfried dieser Tage, besser gesagt DER junge Siegfried. Man fragt sich glatt, ob es nicht besser wäre, für diese Aufführung Wagners Originaltitel dieser Oper – Der junge Siegfried – zu restaurieren.

Die Interpretation des dritten Ring-Werks als Scherzo der Tetralogie scheint gar nicht mehr aus dem Hut gezaubert. Einziger Kritikpunkt: Schager singt mit solch einer schieren Lautstärke, dass das für so manche Ohren in den vorderen Reihen nicht gerade angenehm sein mag. Da muss man sich richtig gut vorbereiten – am besten alle Motive auswendig kennen – und festhalten, um von diesen Schallwellen nicht an die Wand geblasen zu werden. Lieber Herr Schager: Auch Richard Wagner dürfte sie in seinem Wahnfried-Grab mittlerweile gehört haben. Legen sie lieber eine kleine Kräfte-Reserve für ihren nächsten Tristan zurück! Oder fürchtet Siegfried, sonst in der Galerie nicht mehr gehört zu werden?

Doch halt, da war doch was. Richtig, Brünnhilde ist’s, die ihm das Fürchten gelehrt. Und Daniela Köhler ist die Einzige, die Schager stimmlich etwas zu bieten hat. Dem mächtig gestalteten Erwachen der Braut – nach dem eher unspektakulärem Donner-Golfschlag im Rheingold ein willkommener Regiewechsel – ein triumphaler Auftritt der jungen Sopranistin. Wotan hat ihr die Gottheit entzogen, ihre gottgleiche Stimme kann er ihr nicht entziehen. Von diesem Gesang ist jeder nur hin- und weggerissen. Das war um Welten besser als Theorins kriegerisch forcierte Walküre-Brünnhilde! Strahlender, kräftiger, fesselnder.

Andreas Schager (Siegfried), Igor Schwab (Grane), Daniela Köhler (Brünnhilde). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Tomasz Konieczny scheint sich von seinem Walküre-Unfall wieder erholt zu haben. Mit starker Stimme meisterte er die – gar nicht so kleine – Rolle des Wanderers. Nein, in Höchstform war er noch nicht wieder, etwas angestrengt, etwas gedämpft war das noch. Der Wandel in die fast schon operettenhaft inszenierte Komödie schien ihm aber keine Schwierigkeiten zu bieten. Für einen Sänger, der meist einen türmenden, mächtigen Göttervater singt eine ganz besondere Leistung. Und liebes Publikum: Buh-Rufen gehört in Bayreuth dazu. Aber bitte lasst einen Sänger, der vor zwei Tagen verletzt während der Pause abbrechen musste, in Ruh.

Er ist rechtzeitig wieder genesen: Tomasz Konieczny (Wanderer). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Ólafur Sigurdarson setzte seinen Alberich-Siegeszug aus dem Rheingold fort, bekam dafür auch mächtig Applaus. Auch wenn er – im Vergleich zu den anderen – nicht so viele Zeilen zu singen hat: Mit dieser Leistung meldet er sich klar zum Haupt-Antagonisten der Oper. Vielleicht singt er auch bald mal den Wotan? Würde ich ihm zutrauen, Konieczny hat auch mal beim Alberich angefangen…

Eine äußerst positive Überraschung war Alexandra Steiner in der Rolle des Waldvogels. Vom flatternden Vogel ist in der Inszenierung nicht viel übrig geblieben – stattdessen spielt sie eine junge Frau, an der Siegfried seine ersten Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht versucht –  wohl aber in Alexandra Steiners Stimme. Mit luftiger, fröhlicher Stimme verbreitet diese Sängerin viel Freude, für einen sonst so ernsten Opernzyklus eine gern gesehene Abwechslung. Auch Erda (Okka von der Damerau) mit ihrem tiefen, warmen Mezzo war sehr überzeugend. Eine etwas mysteriöse Gestalt, die sie verkörpert.

Alexandra Steiner (Waldvogel), Andreas Schager (Siegfried), Arnold Bezuyen (Mime), Branko Buchberger (der junge Hagen). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Nicht ganz mithalten mit den anderen konnte leider Arnold Bezuyens Mime. Schauspielerisch war das alles ganz fein, keine Frage. Von Valentin Schwarz in einen bösen Zauberer, der seinen Ziehsohn nur als Instrument zur Eroberung des Rings und der damit verbundenen Macht aufzieht, transformiert, war das eine fabelhafte Darstellung dieser äußerst bösartigen – und ja, von Wagner auch sehr problematisch gestalteten – Figur. „Aus Liebe erzog ich dich Lästigen nicht“, da muss man kein Wort des Librettos verstehen, um das zu kapieren.

Daniela Köhler (Brünnhilde). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Leider wirkte Bezuyen – vor allem gegenüber Schager – sehr gefordert, wenn nicht gar überfordert. Er musste kämpfen, sonst hätte ihn Nothung musikalisch in einem Nuh erledigt. Im zweiten Aufzug kam er dann besser mit seiner Mammutaufgabe zurecht. Ja, mit einem Andreas Schager auf einer Bühne zu stehen, muss für jeden Sänger ein furchterregender Gedanke sein. Trotzdem musste sich der Zwergsbruder mit einigen Buh-Rufen zufrieden gaben. Hart, aber sängerisch nachvollziehbar.

Buh-Rufe gab es auch für die Inszenierung, zum ersten Mal in diesem Ring so richtig laut. Ich gehöre zu den Fans dieser Inszenierung, so macht auch das künstlerisch schwächste Wagner-Werk Spaß! Endlich mal was zum Lachen in Bayreuth, nicht nur zum Staunen. Und zehnmal lieber dieser Siegfried als eine halbwegs-in-Ordnung-Meistersinger!  Bei Wagner – wie bei  Richard Strauss – ist es erstmal wurst, was gespielt wird, viel wichtiger wer und vor allem wie. Und Inszenierungen, bei denen nicht Buh gerufen wird, taugen nix, was nicht beim Publikum resoniert, ist in der Regel eh langweilig. Endlich war wieder richtig aufgedrehte Stimmung beim Applaus.

So richtig aufdrehen konnte auch das Orchester, bei Schager muss wohl niemand Furcht haben, ihn zu übertönen. Energetisch, kräftig, mitreißend, so muss Wagner klingen, so kam das endlich auch mal aus dem Graben. Die forte-stellen richtig krachen lassen, der gedeckelte Graben dämpft das schon auf singbares Niveau ab, und Schager braucht eh keine Bayreuth-Akustik, um gehört zu werden. Die beste Leistung dieses Orchesters in der bisherigen Spielzeit! Gerne weiter so!

Man sei gespannt auf das große Premieren-Finale, wenn sich auch der Regisseur vor den Vorhang traut.

Peter Walter, 4. August 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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