Die Longborough Festival Opera – das „englische Bayreuth“ glänzt mit Wagners „Siegfried“

Richard Wagner, Siegfried  Longborough Festival Opera, 7. Juni 2022

Mitten in den malerischen Cotswolds gelegen, in einem typisch englischen Landhaus mit herrlichen Gärten und Dinner in der verlängerten Pause, präsentiert die Longborough Festival Opera ein beeindruckend breites Spektrum – von „Siegfried“ über „Die Tote Stadt“ bis zu „Carmen“. Wagner ist unverkennbar die Spezialität dieser Spielstätte, die lebhaft an Bayreuth erinnert und sich den Spitznamen (oder eher: Ehrentitel) des „englischen  Bayreuth“ erwarb – und dies mit gutem Grund.


Richard Wagner, Siegfried,

Longborough Festival Opera, 7. Juni 2022

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)

Den Giebel des schmucken Landhauses beim Dorf Longborough, in den Cotswolds (Grafschaft Gloucestershire) krönen drei überlebensgroße Skulpturen: Links Mozart, rechts Verdi, doch in der Mitte Wagner. Das ist Programm. Denn seit der Gründung des Festivals als „Banks Fee Opera“ – benannt nach einer kleinen mobilen Operngruppe, die im Jahr 1991 zwei Vorstellungen auf einer improvisierten Bretterbühne in einer Scheune auf dem malerischen Landgut Longborough gab, hat sich dieses winzige Opernhaus äußerst erfolgreich auf Wagners Ring, gewissermaßen im Taschenformat, spezialisiert. Nicht nur das Gebäude erinnert an Bayreuth – auch die Platzierung des Orchester, das größtenteils unterhalb der Bühne spielt, ist den Instruktionen des Meisters nachempfunden…

Die Londoner Royal Opera stiftete ausgediente Sitzreihen, als das berühmte Gebäude in Covent Garden in den späten 1990er Jahren generalsaniert wurde. Ursprünglich von manchen vornehmen Besuchern, die hier ein „zweites Glyndebourne“ vermuteten, als „Hühnerstall“ tituliert, entwickelt sich die Longborough Festival Opera kontinuierlich und erfreulich weiter: Seit meinem letzten Besuch wurden die Zuschauerränge mit neuen Holzgeländern ausgestattet und das Ganze erhält auch innen einen immer vornehmeren Touch…

Was hier, mitten auf der grünen Wiese, in diesem winzigen Zuschauerraum mit seinen 500 Sitzplätzen geboten wird, ist wirklich äußerst bemerkenswert – kein Wunder, dass das Publikum aus einer meist gehobenen Gesellschaftsschicht inzwischen per Bentley und Jaguar mit eleganten Picnic-Körben anreist: Auf der kleinen Bühne wird jeden Juni und Juli mit hohem Anspruch und beachtlichen Niveau Wagner (und manch anderes) gesungen – und dies mit erstklassigen, wenn auch nicht phänomenalem Personal. Immerhin sitzt man hier, was nicht allen Besuchern bewusst ist, auf Original-Sesseln der Royal Opera – wenn das nicht eine inspirierende Aura schafft, was denn sonst?

Die sängerischen Leistungen in diesem „Siegfried“ waren durchwegs erstklassig. Der Titelheld, verkörpert vom australischen Tenor Bradley Daley begeisterte mit kraftvoller, wunderbar patinierter Stimme und variatonsreichem, subtil humorvollem Spiel. Sein Gegenüber als Mime (Adrian Dwyer) parodierte eine „weibische“ Tenorstimme, nicht unangenehm anzuhören aber absichtlich nicht wohlklingend. Dies hingegen sehr der „Wanderer“/Wotan (interpretiert vom namhaften irisch-walisischen Bass-Bariton Paul Carey Jones) mit sonor-warmen Klängen und würdevoller Bühnenpräsenz. Fafner, ein Drache zum Fürchten, hervorragend interpretiert vom bekannten englischen Bass Simon Wilding. Subtil mit meisterhaft kontrollierter Altstimme die Erda von Mae Herydorn. Die Sopranistin Lee Bisset glänzte in der Marathon-Partei der Brünnhilde – sehr bemerkenswert, doch, wie oft diese Figur, bisweilen stimmlich ins Schrille ausufernd.

Doch der Liebling des Publikums war die Figur, welche buchstäblich den Vogel abgeschossen hat: Der Waldvogel der kolumbianischen Sopranistin Julieth Lozano. Jubelnd, und raumfüllend, zugleich mit gewinnendem Charme. Die erste weibliche nach drei Stunden Männerstimmen – ein köstlich-heiterer Kontrapunkt zu den negativen Figuren Alberich, Mime und Fafner.

Das Bühnenbild wirkte, besonders im ersten Aufzug, hoffnungslos überladen – ein scharfer Kontrast zu den aktuellen, minimalistischen Ring-Inszenierungen in Covent Garden oder an der Wiener Staatsoper. Die Video-Einspielungen (Tim Baxter) von malerischen Berglandschaften vor dramatischen Wolkentürmen und epischen Sonnenuntergängen wurden allzu bald gar repetitiv, doch zugleich gelang es dem Video-Team in enger Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin (Rhiannon Newman Brown) magische Momente zu schaffen, insbesondere bei den Auftritten des „Wanderers“ im Dialog mit Erda. Das Longborough Festival Orchestra unter Anthony Negus, vom Publikum mit besonderem Jubel bedacht, wirkte in seinem weitgehend von der Bühne überdeckten Orchestergraben als großartiger Klangkörper, den großen Häusern mit ihren kostspieligen Ring-Inszenierungen durchaus vergleichbar.

Denn: was dieses kleine Opernhaus mit minimalem Aufwand auf die bescheidene Bühne bringt, ist beachtlich: Dass diese Aufführungen inmitten einer bukolisch-englischen Landschaft von weither ein ganz offensichtlich sehr musik-affines Publikum anziehen und für ausverkaufte Häuser sorgen, ist angesichts der scharfen Konkurrenz einer immer größeren Anzahl von Opern-Festivals in der englischen Countryside nach rund drei Jahrzehnten ein mehr als respektabler Erfolg !

Dr. Charles E. Ritterband, 8. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Anthony Negus
Regie: Amy Lane
Bühne: Rhiannon Newman Brown
Kostüme: Emma Ryott
Video: Tim Baxter

Siegfried: Bradley Daley
Waldvogel: Julieth Lozano
Brünnhilde: Lee Bisset
Mime: Adrian Dwyer
Der Wanderer (Wotan): Paul Carey Jones
Alberich: Mark Stone
Fafner: Simon Wilding
Erda: Mae Herydorn

Longborough Festival Orchestra

Richard Wagner, Siegfried Deutsche Oper Berlin, Premiere am 12. November 2021

Richard Wagner, Siegfried-Idyll, Die Walküre, Wiener Symphoniker Stephen Gould, Jennifer Holloway, Hans-Peter König, Joana Mallwitz Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 5. November 2019

Richard Wagner, „Die Walküre“, Longborough Festival Opera, 10. Juni 2021

 

 

 

 

 

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