Standing Ovations für den neuen "Tristan" in Linz

Richard Wagner, TRISTAN UND ISOLDE, Premiere,  Musiktheater des Landestheaters Linz

Foto: Reinhard Winkler (c)
Richard Wagner, TRISTAN UND ISOLDE – Premiere Musiktheater des Landestheaters, Linz, Großer Saal, 15. September 2018

von Petra und Helmut Huber (onlinemerker.com)

Wagner zu seinem revolutionärsten und intimsten Werk: „nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen“.

Der Schriftsteller Heiner Müller (1929 – 1995 hatte für 1993 im Gefolge seiner Regie- und Konzeptarbeiten wie „Hamlet/Maschine“ Wolfgang Wagners Einladung für eine „Tristan“-Produktion erhalten, was Müller selbst „so absurd und verblüffend“ fand, „daß er es probieren“ müsse. Eckhard Roelcke lobte in der „Zeit“ die Produktion als gelungene „Geometrie des Todes“. Der „Spiegel“ (Klaus Umbach) zitierte Müller, die Oper „nicht als lineare Lustkurve, sondern als verzögerten Orgasmus“ inszenieren zu wollen, und hämte dann, „es hätte den Neo-Regisseur aus der Lustkurve getragen“ – beziehungsbefreites Stehtheater, postmoderne Beliebigkeit. Joachim Kaiser stellte sich szenebezogen gar die bange Frage, ob denn Tristan die Isolde nie geliebt habe, fand aber, daß „der Orgasmus wenigstens im Orchester“ stattfände und die Inszenierung mit der Zeit Verständnis finden würde. Auf youtube kann man sich jederzeit selbst ein Bild machen.

Sein Assistent damals und Regisseur heute ist aktuell Schauspielchef des Landestheaters: Stephan Suschke: Ersthändiger kann eine Rekonstruktion eine Generation später, in Koproduktion mit der Opéra de Lyon (2017), kaum sein! Dramaturgie (und einige sehr gute Aufsätze im Programmheft) Christoph Blitt.

Erich Wonder, heute anwesend, hatte Müllers Entfremdungsszenario, inspiriert von Wieland Wagner und Mark Rothko abstrakt auf die Bühne des grünen Hügels gestellt; die Rekonstruktion leitete Kaspar Glarner. Das Licht spielte hier an vorderer Stelle mit (Manfred Voss), Neueinrichtung Ulrich Niepel. Die 16 m breite Bühne des Linzer Musiktheaters wird nicht voll genutzt – den schmäleren Bühnen von Lyon und Bayreuth angepaßt. Alles läuft hinter einem Gazeschleier ab, wobei im ersten und zweiten Akt die Bühne leicht aufgekantet wird, wodurch der Fußpunkt des bespielbaren Raumes nach hinten rückt; dies ergibt trotz des nach abgeschlossenen Bühnenraumes eine benachteiligte Sängerposition.

Die Kostüme hatte Yōhji Yamamoto geschaffen – die Figuren des 1. Aktes in ihrer Verfeindung und ihrem Mißtrauen panzerhaft abweisend (Marke und Melot auch im 2. Akt), sonst leichter, fließender gestaltet; in Kareol entspricht die Kleidung etwa der Handlungszeit.

Wir denken, daß Joachim Kaiser recht behalten hat: das durchaus auf Inneres, Erzählungen und kaum auf „action“ fußende Wagnersche Drama kommt in dieser Inszenierung in eindrucksvollem Einklang mit der Musik daher – Musiktheater als Kunst-Form, als künstliche Form, als Metaebene. Die Personenführung erinnert mitunter an Robert Wilson: weitab von Realismus, oft zeremonienhaft oder rituell, so aber der stets schwebenden, im Konjunktiv und der Unsicherheit verharrenden, jede Affirmation meidenden Musik wie selbstverständlich entsprechend. Allenfalls befremdlich, daß sowohl die letztendlich tödliche Verletzung von Tristan im 2. und die von Kurwenal im 3. Akt selbstbestimmt erfolgt, also beide sichtlich absichtlich ins Schwert des Gegners laufen.

Das Schiff des 1. Aktes ist eine schiefe Ebene, in Brauntönen mit gelben Akzenten gehalten; zwei Personengruppen (Brangäne/Isolde und Tristan/Kurwenal) bleiben die meiste Zeit sehr distanziert und daher, bis knapp vor Aktschluß, fremd. Der zweite Akt ist blau getönte Nacht im militarisierten Land Markes, wo sich die Protagonisten ihren Weg durch ein Labyrinth an Brustpanzern suchen müssen. Nun kommen sich hier die Titelfiguren schließlich doch nahe, und das „O sink hernieder“ gerät zutiefst bewegend, noch verstärkt durch Brangänes Warnungen. Das grau getönte Kareol im Finale ist nicht klar konturiert wie die Vorakte, sondern eine Schotterwüste, ein hoffnungsloses Land. Nur in den letzten Minuten, der Verklärung Isoldes, leuchtet Gold auf – an den Wänden und auch als Gewand der Prinzessin.

Tristan ist Heiko Börner; im ersten Akt noch etwas zurückhaltend – vielleicht angesichts der riesigen Aufgaben im 2. und 3. Akt – erbringt er eine insgesamt hervorragende Leistung, mit tragfähiger und fein geführter Stimme in allen Höhenlagen und Lautstärken und natürlich im zweiten Akt mit wunderbar erfühlter Lyrik. Isolde Annemarie Kremer ist ihm eine gleichwertige Partnerin, selten mit einem Hauch Metall in der Stimme; auch sie in allen Registern perfekt, einschließlich ihrer tiefen Töne im 1. Akt, die sie vorzüglich zum Klingen bringt, besonders groß im zweiten Akt und schließlich im exponierten Finale.
Eine zu ihrer Herrin und Freundin passend erstklassige Brangäne war bei der Premiere Dshamilja Kaiser, Besuchern z. B. der Grazer Oper bestens aufgrund ihrer Leistungen beispielsweise in der „Toten Stadt“ bekannt: samtige, tragfähige Stimme, lyrisch wie nachdrücklich immer perfekt abgestimmt; die Folgeaufführungen wird das heute gesundheitlich verhinderte Ensemblemitglied Katherine Lerner singen, die vorige Saison ja einen großartigen Einstand mit der ähnlichen Figur der „Amme“ hatte.

Profund und sehr gut definiert: der König Marke von Dominik Nekel. Martin Achrainer als Kurwenal hatte im 1. Akt mit einer ungünstigen Positionierung sehr weit hinten im Bühnenraum und einigen sehr tiefen Tönen zu kämpfen, zeigte aber im dritten Akt die gewohnte Souveränität und Intensität, gesanglich wie als Schauspieler. Matthäus Schmidlechner prägte den Melot mit seinen erstklassigen Fähigkeiten als Charaktertenor, und Mathias Frey (Hirt, junger Seemann) wie Philipp Kranjc als Steuermann fügten sich auch mit der Gestaltung ihrer kleinen Rollen in das hervorragende Ensemble.

Der Herrenchor des Landestheaters wurde von Csaba Grünfelder perfekt einstudiert.

Der eigentliche Star des Abends war das Bruckner Orchester: angefangen von den bis in den feinsten Hauch sicheren pianissimi über den außerordentlich seidigen Klang und generell das wunderbare Singen der Streicher bis zur perfekten Gestaltung der Schalmeisoli im dritten Akt hielt das Orchester das Publikum in Bann und lieferte den Protagonisten die optimale Basis für ihre Gestaltung. Offensichtlich minutiösest erarbeitet, und – ohne Partitur am Pult! – dirigiert wurde die Aufführung von Markus Poschner; es passte die Abstimmung von Graben und Bühne in Tempo und Lautstärke, Spannung wurde an lyrischen Stellen, vor allem der Liebesnacht im 2. Akt, nicht nur gehalten, sondern steigerte sich jeweils sogar.

Lautstarke Begeisterung bis zu standing ovations; im Sinne Wagners eigener Einschätzung der Gefahren seines Werkes sind wir dem Schicksal Napoleons XIV. („they’re coming to take me away, ha-haa!“) nur knapp entgangen!

Petra und Helmut Huber, 16. September 2018

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