© Bühnen Halle, Fotos: Falk Wenzel
Das Publikum tobte am Ende mit Recht vor Begeisterung und ohne Einschränkungen.
Opernhaus Halle, 6. Januar 2022 (Szenische PREMIERE)
Richard Wagner, Tristan und Isolde, Handlung in drei Aufzügen
Von Dr. Guido Müller
Die Isolde der Magdalena Anna Hofmann als Gast in der Premiere an der Oper Halle war fantastisch! Eine SENSATION!
Schon am Theater Hagen hatte sie diese Rolle 2019 gestaltet und gesungen in der nun noch auf Veranlassung der vormaligen Intendanz an der Oper Halle von Florian Lutz durch die Oper Halle unter dem neuen Intendanten Walter Sutcliffe aufgenommenen und etwas überarbeiteten Inszenierung von Jochen Biganzoli. Diese Produktion kam nun erst nach vielen Hindernissen am Dreikönigstag auch szenisch zur Premiere. Dafür hatte Frau Hofmann schon in Hagen viel Lob und Preisnominierungen erhalten.
Frau Hofmann bezeichnet die Isolde als ihre Lieblingsrolle, obwohl sie jetzt im „Ring“ in Klagenfurt mit großem Erfolg schon die Brünnhilde in der „Walküre“ singt und auch als Sieglinde im „Ring“ in Minden großen Zuspruch von Kritik und Publikum erfuhr. Doch nach diesem Abend versteht man, warum für sie die Isolde eine wirkliche Herzensangelegenheit ist.Kaum wird in einer Aufführung dieser Oper einmal so deutlich wie an diesem Abend wie perfekt und einfach genial Musik und Dichtung bei Richard Wagner bei jedem Wort zusammen passen. Seiner Geliebten Mathilde Wesendonck übersandte Richard Wagner zuerst als Geschenk ihrer Liebe die Dichtung, die ihm immer besonders wichtig war und hier vielleicht noch wichtiger als beim „Ring“, den „Meistersingern“ oder dem späten „Parsifal“.
Traumhaft trifft Magdalena Anna Hofmann mit ihrem Gesang eine enorme Nuancenvielfalt, der polychrome Farbenreichtum in ihrer Stimme ist ein Ereignis und diese ergreifende, zutiefst differenzierende Gestaltungskraft über die ganze Oper hinweg raubt oft den Atem und ergreift zutiefst. Manchmal hat der Hörer das Gefühl es mit verschiedenen Sängerinnen zu tun zu haben, so phänomenal breit ist das Spektrum ihrer Stimme, die aber nicht auseinander fällt.
Dabei entspricht sie nicht nur stimmlich sondern auch äußerlich eher dem jugendlichen Typus als dem reifen weiblichen oder mütterlichen oder gar den dunklen Timbres der teilweise sehr berühmten Mezzosopranistinnen, die sich dieser Rolle auch angenommen haben.
Und ihre Kollegen und Kolleginnen – voran als in Gesang und Spiel äußerst packender, berührender und bewährter Tristan (als Gast) Heiko Börner, der die Rolle bereits an fünf Opernhäusern gesungen hat – standen ihr in der Qualität des Gesangs und der Darstellung kaum nach.
Das Ensemblemitglied Ki-Hyun Park gestaltet die tragische Rolle des Königs Marke auch im stummen Spiel sehr glaubwürdig. Er spielt die ganze Oper über in seinem klaustrophobisch engen, miefig eingerichteten Kabuff mit Bett und Garderobenhaken unterm Dach (Bühnenbild nach Wolf Gutjahr) den einsam zurück gelassenen Freund Tristans – oft im Bett oder sich in verschiedene Gewänder kleidend – und dann den von ihm betrogenen Ehemann Isoldes.
Er zieht sich nach der Aufdeckung des Verrats Tristans, der ihm die Frau gestohlen hat, eine Perücke und ein Kleid über, um seiner Trauer über den Betrug des Freundes, der ihn mehr zu schmerzen scheint als der Verlust Isoldes, Ausdruck zu verleihen. (Kostüme Katharina Weissenborn).
Dezent wird hier nachvollziehbar die mögliche homoerotische Komponente der Beziehung Markes zu Tristan angedeutet, die ja auch in den anderen Beziehungen in dieser Oper verdeckt eine Rolle spielt und die Einsamkeit der Personen in den abgeschlossenen Räumen noch verstärkt.
Die Stimme Parks vermag uns besonders in seinem großen verzweifelten Monolog nach dem Aufdecken des Betrugs zu berühren und gerade im Frauenkleid wirkt er besonders tragisch und nicht lächerlich. Herr Park hat insgesamt in den Rollen an der Oper Halle besonders in dieser Spielzeit sehr an starkem schauspielerischen Gestaltungsvermögen gewonnen, während seine Stimme schon immer überzeugte.
Isolde harrt die ganze Oper über darunter in ihrem grauen Raum, nur mit einem Ledersessel möbliert, und beschreibt immer wieder mit Kreide die Wände mit Sätzen, die ihren Wünschen, Leiden und ihrer Vereinsamung Ausdruck verleihen. Und dann zeichnet sie mit Kreide erst ihre Umrisse, dann die von Tristan und schließlich dazwischen ein Herz, über das am Ende ein blutrotes Kreuz für Tristans Sterben geklebt wird aus dem I für Isolde und dem T für Tristan. Vorher hatten Tristan und Isolde diese roten Anfangsbuchstaben des Geliebten noch auf ihrer Brust. Es sind diese stummen und bildmächtigen symbolkräftigen Momente, die in Biganzolis Inszenierung besonders eindringlich wirken.
Tristan ist in dem Gebäude oben auf der Ebene Markes in dem am weitesten von Isolde entfernten weiß getünchten Raum an der linken Seite eingesperrt. Auch hier entsteht eine klaustrophobische Wirkung.
Unter ihm auf der Ebene Isoldes in einem Raum voller geheimnisvoller Wandschränke (die nicht nur die verschiedenen Tränke sondern auch die Möglichkeit zum Verschwinden bieten) haust Isoldes Vertraute Bangräne im wahrsten Sinne, denn sie scheint mit der Verantwortung der von ihr ausgelösten Tragödie des von ihr an Isolde und dann an Tristan ausgeschenkten Liebestranks statt des Todestranks nicht fertig zu werden und verzweifelt immer mehr. Sie wird von Marlene Lichtenberg (Gast)! mit dramatischen Ausdruck gesungen und gespielt – mit den wenigen ihr von der Rolle zugestandenen lyrisch-zarten Momenten wie in ihrem Ruf vor allem im Zweiten Aufzug in der Liebesnacht Tristans und Isoldes von der Hinterbühne.
Deren großes Liebesduett singen Hofmann und Börner trotz der weiten räumlichen Trennung auf der Bühne mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit, einer sensationellen Abstimmung der Stimmen und dem notwendigen großen Zauber. Sie passen dabei stimmlich ideal zusammen!
Und dann ist auch noch die Wortverständlichkeit bei allen Sängern über die ganze Oper hinweg von exemplarischer Deutlichkeit. Da wirken die oft geixten Übertitel oft überflüssig bis ärgerlich. Apropos ärgerlich: der Chor wird vom Band eingespielt und klingt auch so.
Kurwenal, der bis in den Tod in geradezu militärischer Gefolgschaft in Flecktarn Getreue von Tristan haust am Rande des Bühnengebäudes in einem mit Fotos und Zeitungsausschnitten beklebten Erinnerungsraum über mehrere Etagen und hütet so die Erinnerung an seinen Helden Tristan. Das bewährte Ensemblemitglied Gerd Vogel singt die Rolle oft in balsamisch schöner Ergebenheit und dann wieder zackig männlich.
Daniel Blumenschein (Gast) verkörpert den Freund und Verräter Melot distanziert im Frack, aber stimmlich präsent in dem schmalen Zwischengang in der Mitte des Bühnenhauses. Dort haben auch Robert Sellier als Hirte und Stimme eines jungen Seemanns und Andruck Chakov als Steuermann ihre kurzen tadellos gesungenen Auftritte.
Dieser Zwischenraum lässt auch den Durchblick zur auf der Hinterbühne vorzüglich transparent musizierenden Staatskapelle Halle zu.
Und jeweils zu Beginn jeden Aufzugs wird der Dirigent Michael Wendeberg durch eine Videoeinspielung (Iwo Kurze) als wichtiger Teil der Inszenierung gezeigt. So integriert Biganzoli auf intelligente optische und nicht aufdringliche Weise die enorme Bedeutung des Tristan-Orchesters als Akteur in die Handlung.
Denn die Staatskapelle Halle spielt in herausragender Form sowohl in den Details wie in den musikalischen Höhepunkten und in den großen Bögen – vom leisen ganz ruhigen Beginn des Vorspiel bis zum großartigen Liebestod – unter souveräner und äußerst sicherer Leitung des kommissarischen Chefdirigenten Michael Wendeberg (er wäre ein grandioser GMD), der die riesige Partitur auswendig dirigierte.
Dabei ist die Inszenierung von Jochen Biganzoli klug, spannend und sinnlich. Dies wird vor allem in den dramatischen Höhepunkten deutlich, an denen die Beleuchtung (Leitung Peter Erlenkötter) mit Hell-und-Dunkel-Effekten magische Momente in diesem Gebäude auf der zunächst minimalistisch wirkenden Bühne schafft. Oder wenn Tristan in seinem Raum während des Dritten Aufzugs mit der roten Farbe auf den Wänden und an sich für dramatische Wirkungen sorgt.
Es sei aber nicht zu viel von diesen überwältigenden optischen Effekten verraten – zu denen zum Ende hin auch die Öffnung der Wände und einige Schattenrisse gehören.
Dadurch dass alle Protagonisten mehr oder weniger die ganze Zeit während der fünfstündigen „Handlung“ anwesend sind und die in ihren abgeschlossenen Räume entweder die Handlung oder Mitdarsteller spiegeln oder ruhig kontemplativ in sich agieren, ist eine allerdings nie unruhig oder zu sehr ablenkende Bewegung der Akteure auf mehreren Ebenen gegeben: eben eine „Handlung“ – wie Wagner sein Werk titulierte.
Wenn in so einer klugen und sinnlichen Inszenierung wie der von Jochen Biganzoli Sänger wissen, was sie singen, die Textverständlichkeit gegeben ist, alle Künstler mit dem Herzen dabei sind und das Orchester in Bestform musiziert, dann entsteht das Wunder von Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Das Publikum tobte am Ende mit Recht vor Begeisterung und ohne Einschränkungen.
Dr. Guido Müller, 6. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Eine der beiden nächsten und zugleich letzten Vorstellungen am 27.2.2022 und 18.4.2022 sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Die Vorstellung am Ostermontag eignet sich auch gut für auswärtige Besucher etwa aus Berlin oder Mitteldeutschland.