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Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
LE NOZZE DI FIGARO: Federica Lombardi singt „Dove sono“; Bayerische Staatsoper, Okt. 2017
Die Chancen, die 1989 in Norditalien geborene Federica Lombardi im Internet zu entdecken, sind gering, denn sie hat weder einen Kanal in YouTube, noch eine Facebookseite und postet auch nur selten etwas in Instagram. Auch eine Homepage von ihr sucht man vergebens, es gibt nur ein Agenturprofil, dem biografische Informationen, ein Videobeispiel und einige Bilder zu entnehmen sind. Und der Eintrag in Wikipedia wurde erst kürzlich von mir angelegt. So konnte ich sie nur live entdecken und das geschah, als meine Frau und ich uns Mitte 2017 den teuren Luxus zweier Eintrittskarten der Mailänder Scala leisteten. Sonya Yoncheva als Mimì in La Bohème ließ uns das gerechtfertigt erscheinen und umso mehr freuten wir uns, dass zudem auch die Musetta mit Federica Lombardi erstklassig besetzt war. An diesem Haus hatte sie vorher schon die „Accademia di Perfezionamento per Cantanti Lirici“ absolviert, was den Opernstudios deutschsprachiger Musiktheater entspricht, und die Titelrolle in Donizettis Anna Bolena dargestellt. Auch Bande nach Salzburg hatte sie schon 2015 durch die Teilnahme am Young Singers Project der Salzburger Festspiele geknüpft.
Als sie dann vier Monate später auf der Besetzungsliste der Neuproduktion von Figaros Hochzeit an der Bayerischen Staatsoper stand, war mir klar, dass man hohe Erwartungen hegen konnte. Zu erleben war dann eine großgewachsene junge Frau in einem opulenten weißen Kleid, die der Gräfin eine wahrhaft majestätische Erscheinung verlieh. Ihren Bühnenpartner Christian Gerhaher überragte sie nahezu um Haupteslänge und beeindruckte außerdem mit einer warmen und klaren, ihrer Rolle bestens gerecht werdenden Stimme. Das war ganz im Sinne des Regiekonzepts, das auch anhand des Bühnenbilds aufzeigen wollte, wie dem Grafen seine eigene Intrige immer mehr über den Kopf wächst und seine Frau am Ende einen eindrucksvollen Sieg erringt. Zweifellos konnte Federica Lombardi in dieser Produktion einen großen Erfolg feiern und ist seitdem vor allem als Mozartsängerin international sehr begehrt.
LE NOZZE DI FIGARO: Schlussszene, Bayerische Staatsoper 2017 mit Federica Lombardi als Gräfin
Vor allem mit Rollen, die zu einer respektablen Bühnenpräsenz auch eine gut grundierte, substanzreiche, „goldene“ Stimme erfordern, erobert sie die bedeutendsten Opernbühnen der Welt. Das ist insbesondere die Donna Elvira in Don Giovanni, mit der sie schon 2014 an den Bühnen des oberitalienischen Circuito lirico Lombardo debütiert hatte und seither an der Metropolitan Opera New York, an der Wiener Staatsoper und im Sommer 2021 bei den Salzburger Festspielen Erfolge feierte. Als starke Gegenspielerin des skrupellosen Frauenhelden lässt ihre Donna Elvira eine dramatische Spannung entstehen, die dessen Niedergang ganz folgerichtig erscheinen lässt. Und eine solche Wirkung erzielt man gerne an den großen Opernhäusern und verpflichtet gerne Darstellerinnen, denen diese Interpretation der Rolle gelingt.
Don Giovanni: “Mi tradì quell’alma ingrata” (Donna Elvira); Federica Lombardi, Metropolitan Opera, 2019
Ebenso gut wie Donna Elvira passen zu ihr die schon oben erwähnte Figaro-Gräfin und die Elettra in Idomeneo, doch auch als Donna Anna in Don Giovanni und als Fiordiligi in Così fan tutte kann sie überzeugen. Die letztere Rolle wurde 2017 unverhofft zu ihrem Debüt an der Bayerischen Staatsoper, als sie gerade für die Figaro-Premiere probte und kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einsprang. Sie beherrschte diese Partie aus dem Stand, nachdem sie sie kurz vorher in Rom dargestellt hatte. Ich konnte mich ein Jahr später daran erfreuen, als das dann regulär auf den Spielplan kam. Auch der Palau de les Arts in Valencia und die Berliner Staatsoper verpflichteten sie kürzlich als Fiordiligi.
Federica Lombardi singt „Come scoglio“ aus Mozart’s Così fan tutte; Berliner Staatsoper, Okt. 2021
Rollen in Mozartopern sind sicher ideal, um eine Stimme gefahrlos weiterzuentwickeln, und Federica Lombardi tut zweifellos gut daran, solche Engagements anzunehmen. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass sie ein breiteres Repertoire insbesondere im italienischen Fach abdecken kann. Als man 2019 Verdis Otello mit Jonas Kaufmann als CD einspielte, hat man das auch schon erkannt und sie als Desdemona engagiert. Zwischen Norma und Tosca gibt es viele interessante Partien, mit denen sie sich (so erwarte ich) künftig bewähren und ziemlich sicher das Publikum begeistern wird.
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Federica Lombardi in Wikipedia
Lorenz Kerscher, 4. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 17: Lucienne Renaudin Vary – die mit der Trompete tanzt