ARD-Musikwettbewerb 2016, Finale Harfe – Anaïs Gaudemard, Frankreich, 2. Preis; C. Reinecke, Konzert für Harfe und Orchester e-Moll, op. 182.
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Die Klangmagie der Harfe übt auf mich eine einzigartige Faszination aus und ich begeistere mich immer wieder für die Vielfalt an Ausdruck und Wirkung, die auf diesem Instrument möglich ist. Das Auge hört mit, indem es gebannt die Fingerfertigkeit bewundert, durch die funkelnde Klanggebilde oder gedeckte Flageoletttöne entstehen, während zwischendurch noch die Saiten abgedämpft werden müssen. Nicht zu sehen ist dabei die Bedienung der sieben Pedale, die bei der Konzertharfe jeweils drei Positionen einnehmen können und bei jedem Harmonie- und Tonwartwechsel geräuschlos verstellt werden müssen, ohne den Fluss des Spiels zu stören. Wer mit diesem anspruchsvollen Instrument die Konzertsäle erobert, kann also auf jeden Fall als Rising Star gelten!
Die 1991 in Frankreich geborene Anaïs Gaudemard hat sich dieses Prädikat spätestens 2016 mit einem zweiten Preis beim ARD-Musikwettbewerb verdient. Zwei Solo-CDs hat sie seitdem bei namhaften Labels veröffentlicht und bei einigen Tonträgerprojekten anderer Künstler mitgewirkt. Mit einem guten Dutzend Videos, die man von ihr in YouTube finden kann, zeigt sie, dass sie ihr Instrument nicht nur in aller technischen Finesse beherrscht, sondern auch mit jedem Werk eine bewegende Geschichte erzählt. Das gelingt ihr mit Musik des 18. Jahrhunderts ebenso wie mit zeitgenössischen Kompositionen. So ist sie auch genau die Richtige, um mit atemberaubendem Spiel das Vorurteil zu widerlegen, die Musik von Gabriel Fauré sei langweilig:
Gabriel Fauré | „Impromptu Op. 86“ gespielt von Anaïs Gaudemard
Anaïs Gaudemard spielt seit dem Alter von acht Jahren Harfe parallel zum Klavier und studierte am Konservatorium von Marseille, danach am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Lyon, wo sie 2013 ihren Abschluss mit Auszeichnung erzielte. Anschließend vervollkommnete sie sich an der Haute École de Musique de Lausanne und erlangte dort 2015 das Solistenexamen, wobei sie ebenfalls beste Bewertungen erhielt. Die langfristige Investition von Fleiß und Geduld in die Beherrschung des diffizilen Instruments zahlte sich in Wettbewerbserfolgen aus, wobei ihr vor allem der 1. Preis beim Internationalen Harfenwettbewerb in Israel 2012 und der 2. Preis beim ARD-Musikwettbewerb 2016 Auftritte als Solistin mit namhaften Orchestern und auch Solorecitals in bekannten Konzertsälen bis hin zur Elbphilharmonie ermöglichten. So kam sie in einer höheren Liga an als die meisten Kolleginnen und Kollegen, die sich am Ende ihrer Ausbildung schon glücklich preisen, wenn sie eine Orchesterstelle besetzen können.
Anaïs Gaudemard: „Introduction et variations sur des airs de la NORMA de BELLINI“ op 36 von Elias Parish-Alvars
Anaïs Gaudemard zählt also zu dem Privilegierten, die eine Solokarriere auf diesem leider zu selten in den Konzertprogrammen vertretenen, dafür umso faszinierenderen Instrument verfolgen können. Eine Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten in der Kammermusik wird erst heute allmählich erschlossen, wobei sich die Harfe ebenso gut wie das Klavier als Duopartner für Melodieinstrumente oder Singstimmen eignet. So hat die Cellistin Raphaela Gromes für ihr neuestes Album „Imagination“ auch mit Anaïs Gaudemard zusammengearbeitet, um beispielsweise Rimski-Korssakovs „Hummelflug“ in einem ungewöhnlichen Klanggewand einzuspielen.
Auch für zeitgenössische Komponisten ist die kammermusikalische Verwendung der Harfe eine Quelle der Inspiration und einige von ihnen haben solche Werke eigens für Anaïs Gaudemard geschrieben. So setzt sie sich dafür ein, dass die Kunst auf einem der ältesten Instrumente der Menschheit jetzt auf der Höhe unserer Zeit ankommt. Gerne lasse ich mich von ihr auf eine zauberhafte Reise durch die Musikgeschichte mitnehmen und hoffe, dies auch bald und des Öfteren live zu erleben!
Septuor: „Sous la constellation de l’homme oiseau“ – Esteban BENZECRY (Uraufführung Sep. 2017)
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Lorenz Kerscher, 27. Januar 2022, für
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Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
Dr. Lorenz Kerscher„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 23: Anna El-Khashem, Sopran, klassik-begeistert.de
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