Foto: © Álfheiður Guðmundsdóttir (Einverständnis der Fotografin liegt vor)
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt und von fast 30 Millionen Menschen bewohnt. Und trotzdem ist mir bis vor kurzem nichts von einer dort bestehenden musikalischen Kultur bekannt geworden. Das änderte sich Anfang 2019, als beim Heidelberger Wettbewerb „Das Lied“ ein junger Madagasse mit einer hervorragenden Leistung den 3. Preis gewann. Michael Rakotoarivony, der inzwischen einen abgekürzten und damit weniger sperrigen Künstlernamen benutzt, überzeugte dabei nicht nur mit ausnehmend schöner Stimme und musikalischer Gestaltungskraft, sondern auch durch hervorragende Textverständlichkeit in dem geforderten mehrsprachigen Repertoire.
DAS LIED 2019 Finale | Michael Rakotoarivony & Teodora Oprișor
Im Vergleich mit dem Überflieger Konstantin Krimmel, der bei demselben Wettbewerb einen 2. Preis und den Publikumspreis gewann, tritt mit ihm ein ganz anderes Naturell vor das Publikum. Krimmel kann dem Zuhörer kalte Schauer über den Rücken jagen, wenn er die Dämonie von Balladen dramatisch zuspitzt.
Arivony umgarnt das Publikum mit einer Heiterkeit, die seinem Gesang eine elegante Leichtigkeit verleiht. Das schließt nicht aus, dass er auch ernstere Töne überzeugend anschlagen kann, doch wählt er bevorzugt ein Repertoire, das zur Gestaltung mit feinem Humor einlädt. Seine Stimme läuft mühelos in allen Schattierungen bis in die höchste Lage, er kann sie strahlen lassen, nimmt sie auch gerne zu geheimnisvoll leisen Tönen zurück. Französischer Impressionismus aus der Hand von Debussy und Ravel kommt ihm dabei sehr entgegen, doch auch unter deutschen und englischen Liedern findet er reichlich Material für seine feinsinnige Art, Lyrik zu gestalten.
Schubert, Liebesbotschaft (Michael Rakotoarivony & Teodora Oprisor)
In Madagaskar, wo er 1993 geboren wurde, nahm er zuerst an örtlichen Musikschulen Unterricht, bevor ihm Sponsoren ein Gesangsstudium an der Royal Academy of Music in London ermöglichten. Parallel dazu studierte er auch Orchesterdirigat und leitete zwei Jahre lang ein Kammerorchester. 2018 erwarb er in London den Bachelorgrad mit Auszeichnung und setzte seine Studien an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar fort. Dort wählte er Liedgestaltung als Schwerpunkt und bildete mit der Pianistin Teodora Oprișor ein Liedduo, das auch in Wettbewerben erfolgreich war. Auch bei ihrem Konzertexamen im Juni 2020 wirkte er mit einem vielseitigen und ansprechenden Repertoire mit. Zu diesem Zeitpunkt war er schon auf dem Absprung in Richtung auf die vielleicht bedeutendste Musikmetropole der Welt.
Die Aufnahme in das Opernstudio der Wiener Staatsoper ermöglichte ihm 2020 einen exzellenten Einstieg in das Wirken auf der Bühne. Er schildert dies als einen Schock aufgrund so vieler und hoher Anforderungen, auf die ihn seine Studien nicht vorbereitet hatten. Doch der Rat erfahrener Kollegen half ihm, die Kräfte richtig einzuteilen. So wirkte er in kleineren Rollen wie Dancaïre in Carmen und auch als Figaro an einer Kinderproduktion des Barbier von Sevilla mit. Und er bewährte sich bestens, so dass er zur Spielzeit 2022/23 ins Ensemble dieser bedeutenden Bühne übernommen wurde.
Mein Sehnen, mein Wähnen (Korngold, Die tote Stadt)
Michael Arivony hat sich mit seinem Engagement in Wien in die erste Liga eingereiht und damit viel mehr erreicht, als ihm in seinem armen Heimatland in die Wiege gelegt war. Und doch träumt sich sein Sehnen, sein Wähnen nach Madagaskar zurück, das er beim Aufbau einer eigenen klassischen Musikwelt unterstützen möchte. So findet sich in YouTube ein Videoporträt, das seine Verwurzelung in der Heimat sehr deutlich werden lässt. Da sieht man ihn privat im Kreise seiner Familie und als Sänger oder Dirigent im Zusammenwirken mit Nachwuchskünstlern. 2017 hat er dort auch eine Initiative für die Unterstützung der Musikerziehung gegründet. Eine rege Reisetätigkeit zwischen den unterschiedlichen Welten bleibt da nicht aus, doch die selbstgestellte Aufgabe als Kulturbotschafter ist ihm das offensichtlich wert.
Ich hoffe, es gelingt ihm, sich auf seine erfolgversprechende Karriere in Mitteleuropa zu konzentrieren und diese vielleicht auf die ganze Welt auszudehnen, ohne seinen Idealismus für die musikalische Entwicklungshilfe in seinem Heimatland aufgeben zu müssen. Im Moment kann sich das Publikum auf schöne Rollendebüts an der Wiener Staatsoper freuen. Da stehen jetzt u. a. Dandini in Rossinis Cenerentola, Lescaut in Massenets Manon und Dottor Malatesta in Donizettis Don Pasquale auf seiner Agenda und ich bin sicher, er wird damit überzeugen können.
Dr. Lorenz Kerscher, 29. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
Dr. Lorenz Kerscher„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
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