Rising Stars 4: Raphaela Gromes – mit dem Cello auf Entdeckungsreise

Rising Stars 4: Raphaela Gromes – mit dem Cello auf Entdeckungsreise

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

von Lorenz Kerscher

Max Reger: 2. Sonate für Violoncello und Pianoforte in g-Moll Op. 28; Raphaela Gromes, Violoncello, Julian Riem, Klavier.

Raphaela Gromes, geboren 1991 in München als Tochter zweier Cellisten, sollte nach dem Wunsch ihrer Eltern eigentlich Geige lernen. Da die Mutter auch Klavier spielte, hätten sie ein Klaviertrio bilden und sich die reiche Literatur für diese Besetzung erschließen können. Doch der kindliche Dickkopf war vom Cello nicht abzubringen und so bekam sie als Vierjährige ein Zweiunddreißigstel-Instrument, so etwas wie eine größere Geige, wie sie im Interview meinte. Begeisterung und Talent brachten sie schnell voran: als Siebenjährige bereicherte sie erstmals ein Konzert ihrer Eltern, die regelmäßig als Celloduo auftraten.

Ihr Debüt als Solistin gab sie als 14-Jährige mit dem Konzert für Cello und Blasorchester von Friedrich Gulda und zeigte damit schon vom Start weg ihr Interesse an ungewöhnlichen Werken. Natürlich eignete sie sich während ihres Jungstudiums bei Peter Bruns an der Musikhochschule Leipzig, dann bei Wen-Sinn Yang an der Musikhochschule München und bei Reinhard Latzko in Wien die bekannte Konzertliteratur an und trat oftmals mit den „Dauerbrennern“ von Haydn, Boccherini, Schumann, Dvořák, Brahms, Tchaikowsky und Elgar auf. Doch auch zeitgenössische Werke, wie z.B. das Doppelkonzert für zwei Celli und symphonisches Blasorchester des Schweizers Mario Bürki, brachte sie zur Uraufführung.

Eine wichtige Konstante in ihrem Wirken ist seit 2012 die Zusammenarbeit mit dem Pianisten Julian Riem, der in diesem Jahr offizieller Begleiter beim Richard-Strauss-Wettbewerb in München war. Wie er berichtete, hatte er dabei meist mit nervösen Teilnehmern zu tun, die ihn mit Sonderwünschen für die Gestaltung ihrer Beiträge bedrängten. Die große Ausnahme war Raphaela Gromes, die ohne Worte neben ihm Platz nahm und vom ersten Takt an in idealer Weise mit ihm harmonierte. Am Ende gewann sie den ersten Preis, und ihr Programm im Preisträgerkonzert mit Sonaten von Felix Mendelssohn Bartholdy und Richard Strauss wurde mitgeschnitten und als CD veröffentlicht. Das war die Weichenstellung für die gemeinsame Eroberung von so manchem musikalischem Neuland. Hierbei bewährte sich Julian Riem sogar als Mitspieler in turbulenten Szenen ihrer Musikvideos.

Cello nightmare,
Gioachino Rossini – Mario Castelnuovo Tedesco, Largo al factotum aus dem Barbier von Sevilla. Raphaela Gromes (Violoncello), Julian Riem (Piano).

Raphaela Gromes ist immer bestrebt, ihr Repertoire um weniger bekannte Werke zu ergänzen, die ihrem Temperament, ihrem Können und ihrer Musikalität Genüge tun und sich auch dafür eignen, eine Beziehung zum Publikum aufzubauen. Scherzhaft hat sie sich einmal als „Trüffelschwein“ bezeichnet, denn jedes ihrer bereits fünf Alben als Exklusivkünstlerin bei Sony Classical enthält auch Neuentdeckungen, für die zum Teil erst noch verschollenes Notenmaterial aufgespürt werden musste. So kann man sich als ihr Fan nicht nur über ihr mitreißendes Cellospiel freuen, sondern darf sie auch auf ihren Entdeckungsreisen in unbekannte musikalische Gefilde begleiten.

Bei der ersten CD dieser Serie, „Serenata Italiana“, werden die eingespielten wenig bekannten Werke im Begleitheft auch als „Trüffel“ bezeichnet. Man kennt bei uns kaum Kammermusik aus Italien und ist deshalb angenehm überrascht, welch ein melodiöses Werk von romantischer Stimmungsvielfalt etwa Giuseppe Martucci mit seiner Cellosonate F-Dur geschaffen hat. Um Italien treu zu bleiben, ist ihre nächste CD eine „Hommage à Rossini“. Dieser Meister des Belcanto komponierte in seiner zweiten Lebenshälfte nur noch für den Hausgebrauch und hinterließ mit „Une larme“ eine einzige Komposition für Cello. Zu wenig ist das für eine CD, so kam noch ein Variationszyklus von Bohuslav Martinů hinzu und einige von Julian Riem angefertigte Transkriptionen. Und noch Jacques Offenbachs „Hommage à Rossini“, ein Werk für Cello und Orchester, das zunächst nur als Verzeichniseintrag bekannt war, denn die Originalnoten waren beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs verlorengegangen.

In zwei Jahren Fahndungsarbeit u. a. bei drei Nachfahren-Familien konnte schließlich das Material zusammengetragen werden, um die komplette Partitur zu rekonstruieren und als titelgebendes Stück der CD einzuspielen. Damit war wohl auch die Idee geboren, das nächste Album ganz Jacques Offenbach zu widmen, der in jungen Jahren vor allem als herausragender Cellovirtuose berühmt war und viele Werke für seine eigene Konzerttätigkeit oder auch für Unterrichtszwecke schuf. Von diesen gelang eine überzeugende Zusammenstellung, die dann im Jahr 2020 die Auszeichnung mit dem Opus Klassik als beste Kammermusikeinspielung erhielt.

Eine weitere Entdeckung war, dass zu der bekannten Cellosonate von Richard Strauss ein Vorläuferwerk existiert, das der 17-Jährige bei einem Wettbewerb eingereicht hatte. Vielleicht aus Enttäuschung, dass er dafür keine Auszeichnung erhielt, verwendete er für die Endfassung lediglich Material des Kopfsatzes und komponierte den Rest völlig neu. Da sich nun Musikwissenschaftler fanden, die den Vorläufer rekonstruierten und herausgaben, nutzte Raphaela Gromes dies für eine hochinteressante Gegenüberstellung der beiden Werke, die sie auch in einer Serie von „Behind the Scenes“-Videos erläutert.

Behind The Scenes II: Vergleich der ersten Sätze der beiden Cellosonaten von R. Strauss (1881/1883)

Damit nicht genug, wurde für die neueste, 2020 erschienene CD ein Cellokonzert von Julius Klengel (1859 – 1933) ausgegraben. Dieser war ein Cellovirtuose, der für eigene Auftritte komponierte und an der Herausgabe seiner Werke wenig interessiert war. Auch hier musste deshalb Notenmaterial gesucht werden, um die Partitur zu rekonstruieren und das im romantischen Stil gehaltene Werk voller origineller Ideen einzuspielen und dem bekannten Cellokonzert von Robert Schumann gegenüberzustellen.

So hat sich Raphaela Gromes ein umfangreiches und vielseitiges Repertoire erschlossen, das sie mit Julian Riem, mit namhaften Orchestern oder auch mit ungewöhnlichen Besetzungen darbietet. Auch mit dem immer an innovativen Partnerschaften interessierten Arcis Saxophon Quartett gestaltet sie gemeinsame Konzertabende, für die Julian Riem wirkungsvolle Arrangements geschrieben hat. Hierbei übernimmt diese vielseitige Kammermusikgruppe sehr klangfarbenreich den Orchesterpart des ersten Cellokonzerts von Saint-Saëns sowie von Ravels Rhapsodie Espagnole und ermöglicht schließlich dem Pianisten in Gershwins Rhapsody in Blue einen solistischen Auftritt.

ASQ und Duo Gromes/Riem /Arcis Saxophon Quartett – Trailer zum gemeinsamen Programm

Bei einer Aufführung dieses Programms lernte ich ihren Vater kennen, der leider kurz darauf an einer schweren Form von Leukämie erkrankte und trotz einer Knochenmarktransplantation verstarb. Aus diesem traurigen Anlass wurde sie Botschafterin der José-Carreras-Leukämiestiftung und unterstützt diese seither mit Wohltätigkeitskonzerten sowie durch Spende der Einnahmen aus ihren CDs. Mit einem Video zu dem von ihrem Vater sehr geliebten Lied „Morgen“ von Richard Strauss gedachte sie seiner und führt auch gerne das von ihm komponierte Solostück „Memories“ auf.

Raphaela Gromes – Richard Strauss: Morgen!

Das Medium Musikvideo nutzt Raphaela Gromes häufig und sehr professionell, wie etwa auch für eine lebhafte Tanzeinlage zu Rossinis La Danza. Gewiss ist dies ein erfolgversprechender Weg, um neues Publikum zu gewinnen. Den Kontakt zu jungen Menschen sucht sie auch mit Wohltätigkeitsprojekten zugunsten der SOS-Kinderdörfer und reist dafür auch mal in Krisengebiete wie den Libanon. Ein schier unerschöpflicher Elan zeichnet sie aus, so dass im Rahmen dieses Artikels gar nicht alle ihre Betätigungsfelder Erwähnung finden können. Deshalb lohnt es sich, der im persönlichen Kontakt sehr herzlichen Künstlerin ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ich gehe davon aus, dass sie ihre überregionale Konzerttätigkeit bald wieder aufnehmen kann und zahlreiche Musikfreunde nur darauf warten, sie mit ihrem herausragenden Können und ihrer unerschöpflichen Begeisterung wieder live zu erleben.

Schon am Sa, den 17. April spielt sie mit den Nürnberger Symphonikern Tchaikowkys Rokoko-Variationen. Leider noch ohne Publikum, aber im über diesen Link zugänglichen Livestream, der danach noch vier Wochen verfügbar bleibt.

Lorenz Kerscher, 15. April 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Information:

Webtalkshow – Raphaela Gromes: „Bei meinem Wutanfall ging ein Cello zu Bruch!“

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Offizielle Webseite

Raphaela Gromes in Wikipedia

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher

„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

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