Lieses Klassikwelt 47: Violoncello

Lieses Klassikwelt 47: Violoncello

Foto: Die Cellistin Sigrid Succo (1903-1984)

„Auch in meiner Familie gab es eine professionelle Cellistin, Sigrid Succo, die Cousine meiner Großmutter, zu deren Andenken ich meine heutige Klassikwelt schreibe.“

von Kirsten Liese

In das Cello verliebte ich mich mit 15. Die tiefen Register und sein warmer Klang schmeicheln meinem Ohr. Zudem existiert nur für wenige andere Instrumente so viel herrliche Musik in den unterschiedlichsten Besetzungen. Bis zu Brahms‘ Doppelkonzert und den großen Konzerten von Elgar, Dvořák, Schumann oder Saint-Saëns, deren langsame Sätze mich in ihrem Ausdrucksspektrum zwischen Schwermütigkeit und Trost sehr ergreifen, habe ich es zwar nicht gebracht. Aber so manche Kostbarkeiten der Kammermusik wie Sonaten von Brahms, Strauss oder Schostakowitsch und vor allen Dingen natürlich die ersten drei leichteren Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach habe ich mal studiert.

Meine Liebe zu dem Instrument steht aber auch in Verbindung mit cellospielenden Menschen, die mir viel bedeuteten. Die meisten darunter leben leider nicht mehr.

Auch in meiner Familie gab es eine professionelle Cellistin, Sigrid Succo, die Cousine meiner Großmutter, zu deren Andenken ich meine heutige Klassikwelt schreibe. Sie wurde 1903 in Riga geboren und hatte unter anderem bei zwei Größen ihrer Zeit studiert: bei Julius Klengel in Leipzig, auch vielen als Komponist des „Hymnus für zwölf Celli“ ein Begriff, und bei Emanuel Feuermann, der an der Berliner Hochschule für Musik wirkte und 1942 viel zu früh starb. Als Mitglied des Pozniak-Trios konzertierte sie in den 1940er Jahren mit dem polnischen Pianisten Bronislaw von Pozniak und dem Geiger Hans Bastiaan von den Berliner Philharmonikern in Berlin.

Nach dem Krieg lebte Sigrid in Wien und war dort Cellistin am „Theater an der Wien“. Als ich sie Ende der 1970er Jahre dort besuchte und kennenlernte, waren ihre Hände krankheitsbedingt so deformiert, dass sie selber nicht mehr spielen konnte. Das macht mich sehr traurig, leider gibt es auch keine Aufnahmen von ihr.

Bei unserem damaligen Besuch wurde ich zum ersten Mal auch mit der Wiener Kulturszene vertraut. Sigrid führte uns in Vorstellungen der Wiener Staatsoper, in den Musikverein, ins Burgtheater  und natürlich ins Theater an der Wien. Und einmal trafen wir uns mit Sigrid und drei alten Damen aus ihrem Bekanntenkreis im berühmten Café Landmann. Bei der Gelegenheit lernte ich auch einiges über die Österreicher.

Theater an der Wien, Papagenotor. Foto: Peter M. Mayr

Sigrid redete die drei alten Damen mit Frau Professor und Frau Doktor an, und als wir sie später fragten, worüber die denn promoviert hätten, sagte sie, die hätten gar nicht promoviert, nur ihre Männer. Aber das sei in Wien Usus, die Ehefrauen auch mit Titel anzureden. Wegen solcher Schwächen der Eitelkeit lassen sich die Wiener wohl auch ihre Titel auf den Grabstein setzen, wovon ich mich auf dem Zentralfriedhof überzeugen konnte. Jedes Mal wenn ich heute nach Wien komme, mache ich einen Spaziergang durch die Garnisongasse nahe der Votivkirche, wo sie wohnte.

Auch heute denke ich unweigerlich sehr oft an Sigrid, allein schon, weil ich ihr herrliches Bergonzi- Cello spiele, das sie meiner Mutter vermachte, weil es ihr sehr wichtig war, dass das Instrument in der Familie blieb. Als vermögender Zahnarzt konnte Sigrids Vater das kostbare Instrument einst in Riga erwerben. Es hat einen so hohen Wert, dass ich oder meine Mutter es nie hätten kaufen können und dank seines ungewöhnlich bauchigen Resonanzkörpers einen sagenhaft großen Klang. Oft wird davon ausgegangen, dass nur berühmte Künstler ein solch exklusives Instrument benötigten, für einen Laien reicht auch eine Pappschachtel. Aber dem möchte ich widersprechen. Gerade, wenn das Spielvermögen bescheidener ist, macht die Qualität eines Instruments viel aus.

Mstislaw Rostropowitsch, der das kleine Taunusstädtchen Kronberg zur Welthauptstadt des Violoncellos erklärte, wo ich früher auch die Cellofestivals besuchte, schrieb als einer der berühmtesten  Cellisten Geschichte. Sein Markenzeichen war ein großer markiger Ton, er spielte stets mit viel Vibrato. Viele seiner Interpretationen wie allen voran das Dvořák-Cellokonzert sind unübertroffen, aber mir persönlich gefällt der introvertiertere, edle Klang der Franzosen André Navarra und Pierre Fournier noch besser.

Wo ich das hier so schreibe: Warum existiert eigentlich nur ein Buch über berühmte Cellisten? Es gibt doch so viele vorzügliche Cellistinnen, angefangen von Guilhermina Suggia über Zara Nelsova, Jacqueline du Pré und Natalia Gutman bis hin zu den heutigen Stars Alisa Weilerstein, Sol Gabetta und Marie-Elisabeth Hecker. Ein solches Projekt sollte man mal angehen. Sigrid Succo ist übrigens 1984 in Wien gestorben.

Kirsten Liese, 8. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lieses Klassikwelt 46: Neue Musik

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© Kirsten Liese

Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

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