© Tam Lan Truong
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Den Namen María Dueñas sieht man in letzter Zeit häufig auf Konzertankündigungen bedeutender Orchester und renommierter Spielstätten und stellt erstaunt fest, dass sie erst 21 Jahre alt ist. Eine offensichtlich sehr geradlinige Entwicklung ließ die talentierte Spanierin die Stufen zum Erfolg in Windeseile erklimmen, so dass sie schon in jungen Jahren als Publikumsmagnet wirkt.
Im Dezember 2002 wurde María Dueñas Fernández in Granada geboren. Ihre Eltern waren keine Berufsmusiker, doch hörten sie mit Begeisterung klassische Musik und nahmen das Kind auch schon früh in Konzerte mit. So kam es, dass sie das Angebot, ab dem 6. Lebensjahr Geigenunterricht zu nehmen, begeistert aufnahm und schon mit 7 Jahren am Konservatorium ihrer Heimatstadt ihre Ausbildung fortsetzen konnte.
Ein Stipendium von Juventudes Musicales de Madrid ermöglichte ihr, ab 2014 an der Musikhochschule Carl Maria von Weber in Dresden zu studieren. Schon in diesem Stadium ihres Werdegangs konnte sie mit technisch einwandfreiem wie auch energiegeladenem und spannungsreichem Geigenspiel überzeugen.
A+música.com A. Vivaldi „La primavera“ María Dueñas (2015)
2016 übersiedelte sie mir ihrer Familie nach Wien, studierte dort bei Boris Kuschnir und absolvierte das Musikgymnasium, wodurch sie auch hervorragende deutsche Sprachkenntnisse erwarb. Wettbewerbserfolge, insbesondere der 2021 gewonnene 1. Preis und Publikumspreis beim Menuhin-Wettbewerb, öffneten ihr sehr schnell die Türen großer und international bedeutender Konzertsäle. Meisterviolinen von Gagliano und Stradivari wurden ihr von Stiftungen zur Verfügung gestellt und die Deutsche Grammophon nahm sie 2022 als Exklusivkünstlerin unter Vertrag.
Und während ich an diesem Artikel schreibe, erreicht mich die Nachricht, dass sie für ihre bei diesem Label erschienen Doppel-CD Beethoven and beyond bei Opus Klassik mit einem Preis als Nachwuchskünstlerin des Jahres ausgezeichnet wurde. So ist die Biografie der jungen Geigerin schnell erzählt, denn Zeit für verschlungene Pfade ließ ihr der kometenhafte Aufstieg nicht.
Nun kann man der Frage nachgehen, wie nahe sie schon ihrem eigenen Anspruch gekommen ist: einen persönlichen Klang mit Wiederkennungswert zu entwickeln. Ca. hundert Konzertvideos, die man von ihr in YouTube findet, bieten reichlich Material, um nach der Antwort zu suchen. Etliche Werke aus dem Kernrepertoire an Violinkonzerten sind darunter, diese hat man als langjähriger Musikfreund schon von zahlreichen großen Künstlerinnen und Künstlern gehört und legt unwillkürlich eine hohe Messlatte an.
Nehmen wir z.B. das Konzert von Max Bruch, das sie als 18-Jährige in der Elbphilharmonie spielte.
Max Bruch: Violinkonzert Nr. 1 g-Moll mit María Dueñas | NDR Elbphilharmonie Orchester (2021)
Dass sie wegen der Coronamaßnahmen vor leeren Stuhlreihen spielen muss, lässt sie unbeeindruckt. Auch in anderen Aufnahmen ist sie weniger der Typ, der während des Spiels mit dem Publikum Kontakt aufnimmt, sondern eher in sich ruhend und voll konzentriert auf ihre Interpretation.
Und hier fällt schon gleich die energiegeladene Attacke auf, mit der sie das Hauptthema vorstellt. Zarte Farben stellen dann die lyrischen Themen des Werks in einen deutlichen Kontrast und so wird sie dem in der klassischen Sonatenhauptsatzform angelegten Wechselspiel der Gegensätze sehr überzeugend gerecht. Die Kantilenen des langsamen Satzes beginnt sie sehr leise und hält sich damit die starke Wirkung der bald auch mit vollem und warmem Ton ausgespielten Steigerungen offen.
Sie verlässt sich dabei auf den versierten Dirigenten Manfred Honeck, der in allen Schattierungen die erforderliche Balance herstellt und ihr Raum gibt, den eigenen Klang zu entfalten. Am Ende entfacht sie dann mit größtem Elan das einem Finalsatz angemessene virtuose Feuerwerk, das sich nur bei dem mit warmem G-Saitenton angestimmten Seitenthema kurz beruhigt, um dann zielsicher der krönenden Schlusssteigerung entgegen zu eilen. Und mit einer Caprice von Paganini als Zugabe weist sie nochmals nach, dass ihrem technischen Können keinerlei Grenzen gesetzt sind.
Eine ebensolche Faszination bewirkte sie auch mit dem Ende 2023 in Paris aufgeführten Violinkonzert von Mendelssohn: zupackende Dramatik bei der Entwicklung des Hauptthemas, leise angestimmte Kantilenen, die sich dann zu größter Intensität steigern, eine makellose Technik, mit der melodische Feinheiten aufs Überzeugendste herausgearbeitet werden. Auch die weiträumigere Form des Violinkonzerts von Brahms kann sie mit kontrastreicher Gestaltung ausfüllen und dabei noch mit einer mir bislang nicht bekannten (ich vermute selbst komponierten) und äußerst anspruchsvollen Kadenz glänzen. Und gehen wir noch etwas weiter voran in der Musikgeschichte, so treffen wir mit dem Konzert von Korngold auf ein weniger bekanntes Juwel. Hier ist die junge Ausnahmegeigerin genau die Richtige, um es dem Publikum nahezubringen!
María Dueñas, Korngold, Violinkonzert (Prag, 2023)
In diesem Werk gibt es viel Melodie, teils im spätromantischen Klanggewand, manchmal nach Wesensart des Expressionismus an die Grenzen der Tonalität gehend. Die weiten Bögen versteht María Dueñas von Anfang an mit Spannung zu füllen, ebenso gelingt ihr, wo immer gefordert, die dramatische Attacke. Diese liegt vor allem im Wesen des an einen urwüchsigen Volkstanz gemahnenden Finalsatzes und lässt sie mit dem gebührenden Elan zum krönenden Abschluss kommen.
Da bleibt die junge Künstlerin dem Publikum des Prager Rudolfinums nichts an Leidenschaft schuldig! Bewundernswert sauber und klangintensiv beherrscht sie das oftmals gefordert Spiel in höchster Lage und stimmt sich dabei auch bestens mit dem facettenreichen Orchesterklang ab. Dass sich die Konzertveranstalter um sie reißen, wird einmal mehr verständlich.
Im nächsten halben Jahr wird sie, wie die Vorschau auf ihrer Homepage zeigt, die Welt zwischen Tokio und New York bereisen und mit einer Vielzahl hervorragender Orchester zusammenwirken. Es ist abzusehen, dass sich ihr Höhenflug als Interpretin von Violinkonzerten weiter fortsetzen wird. Für klavierbegleitete Soloauftritte, von denen man in YouTube zahlreiche Beispiele findet, bleibt ihr vorerst wenig Zeit. Ich denke aber, dass sie auf längere Frist mit ihrem differenzierten Spiel auch im reichen Repertoire kammermusikalischer Formen viel zu sagen haben wird. Möge es dabei bleiben, dass alles, was sie anpackt, ihr auf das Beste geling!
María Dueñas, Wiener Symphoniker, Manfred Honeck – Beethoven, Violinkonzert: II. Larghetto
Dr. Lorenz Kerscher, 4. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in YouTube
Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 48: Guido Sant’Anna, Violine klassik-begeistert.de, 2. November 2023
Rising Stars 45: Ana de la Vega, Flöte – ein Naturkind von der Farm erobert die Konzertsäle