Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis schreibt: „Mozarts Humor ist Punk-Humor“ – was von vielen Mozart-Verehrern nicht wirklich wahrgenommen werde.
von Charles E. Ritterband
Mozarts Humor hatte viele Nuancen: Kindisch (etwa der vierstimmige Kanon „Bona nox! Bist a rechta Ox“ KV 561), mal maliziös, mal selbstironisch. Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis schreibt: „Mozarts Humor ist Punk-Humor“ – was von vielen Mozart-Verehrern nicht wirklich wahrgenommen werde. Mozarts Verhalten sei immer exzentrisch gewesen. Die berühmten Bäsle-Briefe („allerliebstes bäsle häsle“) beispielsweise enthalten groben Schabernack und Nonsens bis hin zu derben Fäkalscherzen.
Lorenzo da Ponte war Mozarts begnadeter Librettist für die Trilogie seiner vielleicht besten Opern (Figaros Hochzeit, Così fan tutte, Don Giovanni), die ihm zu Ehren oft als die „Da Ponte Opern“ bezeichnet werden. Da Ponte, ursprünglich jüdischer Abstammung, hatte zwar im Jahr 1773 in der venezianischen Kleinstadt Portogruaro die Priesterweihen empfangen – nichtsdestoweniger, wie damals keineswegs unüblich, hatte er eine Geliebte. Mozart hasste diese Frau, doch da Ponte schrieb für sie eine der Hauptrollen in „Così“ – jene der, zumindest bis auf weiteres, standhaften Fiordiligi „Come scolgio immoto resta“ (ich bleibe unverrückbar wie ein Fels).
Mozart spielte dieser Sängerin übel mit – er schrieb für sie eine Partitur, in der sie in raschem Tempo von tiefsten Tiefen in schwindelnde Höhen zu springen hatte. Dies, um Mozart selbst zu zitieren, ihren Kopf hoch und nieder gehen zu lassen wie den Kopf eines dummen Huhnes – und sie so der Lächerlichkeit preiszugeben. Wie sein Librettist da Ponte auf diesen bösen Streich reagiert hat, ist nicht überliefert. Und wie Mozart, während er diese wunderschöne Arie dirigierte, in sich hineingekichert haben muss, können wir uns nur in unserer Phantasie ausmalen…
Eine der humorvollsten Stellen jeglicher Mozart-Opern ist für mich die letzte Szene in „Don Giovanni“, in der das Bankett für den „Steinernen Gast“, die Statue des von Don Giovanni zu Anfang der Oper erstochenen Commendatore (Komtur), vorbereitet wird. Die Bühnenmusik spielt drei Stücke – zuerst das heute völlig unbekannte „Una cosa rara“ von Vicente Martín y Soler (1786), dann eine Melodie aus der Oper „Fra i due litiganti il terzo gode“ (von Giuseppe Sarti, 1782) – wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Diese wie auch die vorhergehende Melodie ist ziemlich simpel, ja geradezu einfältig.
Dass Mozart diese beiden wenig großartigen Stücke in diese letzte Szene eingebaut hatte, war wohl kein Zufall – denn mit dem dritten von der Bühnenmusik als Background-Music für das Diner mit dem Gespenst intonierten Stück zitiert Mozart niemand anderen als sich selbst: Es ist die Arie „Non più andrai, farfallone amoroso“, mit der im „Figaro“ der junge Cherubino aus dem Weg geschafft und ins Militär geschickt wurde. Der „Figaro“, einige Jahre vor dem „Don Giovanni“ am 1. Mai 1786 im Wiener Burgtheater uraufgeführt, war ein Riesenerfolg. Begeistert schrieb Mozart aus Prag an seinen Vater, dass jeder hier seine Melodien aus dem Figaro nachsinge. Zweifellos handelte es sich dabei insbesondere um das eingängige „Non più andrai“, einen rechten Gassenhauer, den gleichsam die Spatzen von den Dächern pfiffen. Nicht nur zitiert sich Mozart in dieser Szene des „Don Giovanni“ selbst – er lässt den Diener Leporello diese Melodie sofort erkennen: „Questa poi la conosco purtroppo“ – diese Melodie kommt mir purtroppo, also leider, bekannt vor: Mozarts Selbtironie. Aber der Spass geht noch weiter: Der hungrige Leporello, der die ganzen leckeren Speisen an sich vorbeigetragen sieht, singt zur Melodie aus dem „Figaro“ den Text „Euer Koch ist derart vortrefflich, da mag ich auch probieren“.
Ich vermute, dass Mozart seinen Wurf, den genialen Gassenhauer aus dem „Figaro“, ziemlich malziös den beiden banalen, mediokren Melodien gegenüberstellt, die er zuvor erklingen lässt. Und die Vermutung liegt nahe, dass er damit seinem Kollegen und Rivalen Salieri eins auswischen, ihm also musikalisch eine lange Nase zeigen wollte – falls Salieri tatsächlich jene lapidare Melodie komponiert hatte.
Jedenfalls ist dieser gelungene Scherz in der Shakespeare’schen Traditon des „comic relief“, also der Spannungs-Erleichterung, in einem besonders dramatischen oder brutalen Moment eines Stückes – und die kurz darauf folgende Höllenfahrt Don Giovannis ist ja, handlungsmäßig und musikalisch, einer der dramatischsten Vorgänge jeglicher Oper der Musikgeschichte. Da hörte selbst bei Mozart der Spaß in diesem „dramma giocoso“ auf, und es setzte der moralische Ernst ein.
Dr. Charles E. Ritterband, Wien, 3. November 2019,
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Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 66, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin.