Martin Studer, Philkonzert mit Nzo Berliner Philharmonie 3.10.21
„Romantische Sehnsucht 3.0“
Sergej Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18
Anton Bruckner: Sinfonie Nr.4 Es-Dur „Romantische“
Aristotelis Papadimitriou Klavier
Martin Studer Dirigent
Swiss Philharmonic Academy
ALSO Alumni- & Sinfonie-Orchester der Universität Bern
NZO Neues Zürcher Orchester
Bremer Konzerthaus, Die Glocke, Großer Saal, 10. Mai 2024
von Gerd Klingeberg
Die Bremer Glocke ist die zweite Station für die Tournee der Swiss Philharmonic Academy mit ihren Projektpartnern Neues Zürcher Orchester sowie Alumni- & Sinfonie-Orchester der Uni Bern. Unter der bewährten Leitung von Martin Studer hat das Ensemble zwei romantische Hochkaräter auf dem Programm.
Die anfangs noch stimmungsvoll düsteren, dann zunehmend wuchtigen Glockenakkorde aus Sergej Rachmaninows bekanntem Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll fluten eingangs durch den Saal. Das Orchestertutti bildet dazu eine dickflauschige Unterlage aus kompaktem Gesamtklang, den der griechische Pianist Aristotelis Papadimitriou mit perlenden Arpeggien und rasanten Läufen gut überstrahlt. Die anspruchsvollen Partien gehen dem Solisten in spieltechnischer Perfektion locker von der Hand. Vom Pathos des Werkes ist indes nur wenig zu spüren. Den Adagio-Mittelsatz startet das Orchester sehr feinfühlig. Auch hier bleibt der Klavierpart indes eher im Vordergründigen. Um einiges verhaltener hätte man es sich gewünscht, hier und da ein deutlicheres Rubato, vielleicht ein kurzes Innehalten, ein ausgeprägteres Pianissimo: Die Ausführungen vermitteln lediglich eine Ahnung des riesigen romantischen Potenzials, das dieses Werk beinhaltet und populär gemacht hat.
Straff geht es in den Finalsatz. Das klappt hervorragend, swingt geradezu. Die Sehnsuchtsmelodik kommt jedoch auch hier eher trocken und abgeklärt. Nichts, um den Zuhörern Tränen der Rührung in die Augen zu treiben. Im zunehmend rasanten Schlusslauf hat Studer mit seinem engagierten Dirigat gar einiges zu tun, um das Orchester mit dem übermütig forschen Tempo des Solisten zu koordinieren. Doch im Bombast der Schlusssequenz gehen derlei Feinheiten ohnehin nahezu unter.
Auch bei seiner Zugabe, dem Nocturne op.9/1 von Frédéric Chopin, bleibt Papadimitriou bei seiner anschlagperfekten, aber eben doch nur ansatzweise romantisch-emotionalen Interpretation.
Anton Bruckners Sinfonie Nr.4, vom Komponisten selbst als „Romantische“ tituliert, startet mit einem einigermaßen heiklen – und prompt etwas missglückten – Quintmotiv des Horns, dem Lieblingsinstrument des Komponisten. Der Kopfsatz gerät insgesamt weitestgehend ausgewogen. Ein kontrastierender Wechsel zwischen donnernden Blechbläsern und melodiös lieblich aufspielenden Streichern bestimmt den Ablauf. Immer neue bildhafte Assoziationen werden hervorgerufen, vor allem auch durch die Naturlaute, die die Hörer in eine heiter gemütvolle Stimmung versetzen. Der Satz klingt aus mit dem erneut emphatisch dargebotenen Quintmotiv.
Die Melancholie des folgenden Andante kommt vor allem in der schönen Bratschenmelodie zum Ausdruck. Aber allein eine zurückgenommene Dynamik reicht eben nicht aus, um einen stabilen, dauerhaften Spannungsbogen entstehen zu lassen. Mehr und mehr fehlt es der Interpretation an Konsistenz; die Sinfonie wirkt zunehmend wie eine eher willkürliche, leider auch ermüdend anmutende Aneinanderreihung einzelner Segmente, deren Zusammengehörigkeit schwerlich nachvollziehbar ist. Aufmunternd und vorwärtsdrängender wirken kurzfristig die zackigen Jagdhornfanfaren des Scherzos. Dagegen fühlt sich der Finalsatz schier unendlich lang an. Dass im Programmheft eine völlig falsche Aufführungsdauer der gesamten Sinfonie von lediglich 36 Minuten angegeben ist, unterstreicht eher noch die gefühlte (und tatsächliche) Länge.
Da hat sich das Orchester mit der Werksauswahl wohl etwas verhoben, hat in Bruckners sinfonischem Matterhorn die beschwerlichen Anstiege, in denen Schweizer sich eigentlich gut auskennen müssten, offenbar unterschätzt.
Die „romantische Sehnsucht“ wird damit allenfalls in Ansätzen gestillt. Dennoch ist es irgendwann geschafft – auf beiden Seiten. Und für den unermüdlichen orchestralen Einsatz gibt es selbstverständlich auch gebührenden Beifall.
Dr. Gerd Klingeberg, 11. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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