Jean-Christophe Maillots Choreographie zeigt, wie aus einem funkelnden Rubin ein glitzernder Glasstein wird

Romeo und Julia Ballett von Jean-Christophe Maillot, Musik von Sergej Prokofjew  Ballett Dortmund, Theater Dortmund, 20. November 2022

Man sieht ihnen die Erschöpfung an: Filip Kvačák und Sae Tamura als Romeo und Julia unmittelbar nach Ende der Vorstellung (Foto: RW)

Wenn der Choreograph Jean-Christoph Maillot die Tragödie um Romeo und Julias Liebe aller äußeren Einflüsse entkleidet und sie auf die Zweierbeziehung reduziert, mag das einem jüngeren Publikum gefallen. Ihnen wird das Glitzern des Glassteins vielleicht reichen, von funkelnden Rubinen halten sie offenbar nichts mehr.

Romeo und Julia
Ballett von Jean-Christophe Maillot

Musik von Sergej Prokofjew

Ballett Dortmund, Theater Dortmund, 20. November 2022

von Dr. Ralf Wegner

William Shakespeare schuf mit Romeo und Julia die wohl bekannteste Liebesgeschichte der Welt. Darauf basierend komponierte Charles Gounod eine Oper und Sergej Prokofjew ein 1938 uraufgeführtes Ballett; herausragende Choreographien zu Prokofjews Musik entstanden außerdem von John Cranko (1962) und John Neumeier (1971). Auch filmisch wurde der Stoff mehrfach umgesetzt, so 1996 visuell überbordend von Baz Luhrmann mit Leonardo di Caprio in der Rolle des Romeo.

Wie ein schnell geschnittener Film läuft auch Jean-Christoph Maillots Ballett nach Prokofjews Musik ab, mit kurzen, eingelegten Kunstpausen zwischen den Szenen, vor allem im ersten Akt. Auf ein irgendwie erkenn- und identifizierbares Bühnenbild verzichtet Maillot allerdings. Bis auf eine leicht ansteigende Schräge, die als Julias Balkon und als Romeos Fluchtweg dienen, standen auf der Bühne mehrere tonnenförmig gewölbte, Wände imitierende weiße Segmente, die mittels farbiger Anstrahlung zum Beispiel in Rot den Ballsaal des ersten Aktes oder in Lila die Liebe zwischen Romeo und Julia charakterisierten.

Durch Weglassen jeglicher gesellschaftlich-hierarchischer Bezüge reduzierte der Choreograph aber auch den Aspekt der ausweglosen Liebe zwischen den Mitgliedern verfeindeter Parteien, hier den Veroneser Familien Montague und Capulet, auf irgendeine alltägliche Liebe. Außer Acht bleibt in Maillots Interpretation, dass sich Julia einem gesellschaftlichen Zwang widersetzt, der ihre Liebe zu Romeo so unausweichlich und endgültig erscheinen lässt. Die zum tragischen Ende führende Ausweglosigkeit beider Liebenden basiert wesentlich auf ihrem familiären und gesellschaftlichen Umfeld. Der Verzicht auf deren Darstellung mindert die emotionale Beteiligung und tiefer gehender Empathie seitens des Publikums.

Ganz abgesehen davon muss man den zugrunde liegenden Text schon sehr genau kennen, um der choreographischen Dramaturgie folgen zu können. Maillot verzichtet nicht nur auf die Eltern Romeos, sondern auch auf die wichtige Vaterrolle des Grafen Capulet. Dass Julia sich nicht gegen ihre Mutter durchsetzen kann, ist wenig glaubhaft. Eine Vierzehnjährige, nur mit der Mutter Aufgewachsene lässt sich in Liebesdingen nicht so hineinreden, dass der Tod ihr unausweichlich erscheinen muss. Zumindest nicht in einer eher in das Heute zu versetzenden Zeit, wie sie Kostüme suggerieren.

Maillot wertet die Rolle des Pater Lorenzo (Simon Jones) als Erzähler deutlich auf, ordnet ihm sogar zwei Messdiener bei. Zum Verständnis der Handlung dient diese Erweiterung nicht. Der Schluss wirkt merkwürdig banal. Julia liegt betäubt auf ihrem Bett, die Amme ist kurz entsetzt, ebenso die Gräfin Capulet, die nicht lange um ihre Tochter trauert und dem Sarg des getöteten Tybalt folgt. Lorenzo erscheint, ebenso Romeo, der diesen nicht erkennt, sich ob der vermeintlich toten Julia entleibt, worauf diese erwacht, freudig Lorenzo erblickt, aber trotzdem Romeo in den Tod folgt.

Sae Tamura und Filip Kvačák gaben als Julia und Romeo ein schönes Paar ab. Tänzerisch-technisch beeindruckte, um nur einen herauszugreifen, der junge Márcio Barros Mota als Mercutio. Manuela Souza und Paulina Bidzińska überzeugten als Gräfin Capulet und Julias Amme, ebenso Francesco Nigro als Tybalt. Paris wurde von Maksym Palamarchuk getanzt, Benvolio von Joshua Green. Für alle auftretenden Tänzerinnen und Tänzer galt, dass sie ihre Rollen von innen heraus zum Leben erweckten und nie den Eindruck hinterließen, sie würden einer erlernten Rolle folgen, fabelhaft.

Matheus Vaz (Messdiener), Maksym Palamarchuk (Paris), Amanda Vieira (Rosalinde), Francesco Nigro (Tybalt), Manuela Souza (Lady Capulet), Filip Kvačák (Romeo), Sae Tamura (Julia), Simon Jones (Pater Lorenzo), Paulina Bidzińska (Die Amme), Márcio Barros Mota (Mercutio), Joshua Green (Benvolio), Alessandro Ciotta (Messdiener)

Resümee: Wenn der Choreograph Jean-Christoph Maillot die Tragödie um Romeo und Julias Liebe aller äußeren Einflüsse entkleidet und sie auf die Zweierbeziehung reduziert, mag das einem jüngeren Publikum gefallen. Ihnen wird das Glitzern des Glassteins vielleicht reichen, von funkelnden Rubinen halten sie offenbar nichts mehr. Das Publikum war am Ende begeistert, mit stehenden Ovationen feierten die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Recht ihre fabelhaften Tänzerinnen und Tänzer.

Dr. Ralf Wegner, 22. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Romeo und Julia, Ballett von John Cranko, Stuttgarter Ballett Arte, 14. Februar 2021

Sergei Prokofjew, Romeo und Julia, Staatsoper Berlin, 5. Mai 2018

Mariinsky Ballett, Sergei Prokofjew, Romeo und Julia, Festspielhaus Baden-Baden

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