Foto: Louis Musin und Azul Ardizzone als Romeo und Julia
Bei der gestrigen Aufführung übertrafen nicht nur die solistischen Leistungen von Azul Ardizzone als Julia und von Louis Musin als Romeo, sondern auch deren Pas de deux die Erwartungen. Beide, Musin und Ardizzone, wurden am Ende der Vorstellung für ihre brillante Leistung mit stehenden Ovationen und zahlreich vom Publikum über den Orchestergraben geworfenen Blumensträußen gefeiert.
Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme am 11. Juni 2023
Romeo und Julia, Choreographie und Inszenierung von John Neumeier
Musik von Sergej Prokofjew
Bühnenbild und Kostüme von Jürgen Rose
von Dr. Ralf Wegner (Text und Fotos)
Die letzte Romeo und Julia Aufführung in Hamburg sah ich vor 7 Jahren mit der damals 21-jährigen, herausragend tanzenden Emilie Mazon, die das Gefühlsleben einer 14-jährigen mit großer innerer Spannung tänzerisch umsetzte (erstmals hatte sie die Julia mit 19 Jahren auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper getanzt). Wie es allerdings möglich ist, dass bereits eine Fünfzehnjährige den wahrlich großen Part der Julia technisch überzeugend meistern und darstellerisch tief in ihre Gefühlswelt einsteigen kann, grenzt fast an ein Wunder. Die noch zur Ballettschule gehörenden Azul Ardizzone brachte Julias Unsicherheit im gesellschaftlichen Umgang, ihre Ängstlichkeit vor der bevorstehenden Verlobung mit Paris (Florian Pohl) und auch ihre zarten und später wilder werdenden Liebesempfindungen sowie ihr nachfolgendes tiefes Leiden sowohl tänzerisch als auch darstellerisch überzeugend zum Ausdruck.
Bei der gestrigen Aufführung übertrafen aber nicht nur die solistischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller, sondern auch deren Pas de deux die Erwartungen. So partnerte der erst 21-jährige Gruppentänzer Louis Musin als Romeo mit einem hervorragenden Hebe- Halte- und Standvermögen; niemals hatte man die Befürchtung, seine Julia sei bei ihm nicht sicher aufgehoben. Auch mit seiner Sprungtechnik überzeugte Musin. Beide, Musin und Ardizzone, wurden am Ende der Vorstellung für ihre brillante Leistung mit stehenden Ovationen und zahlreich vom Publikum über den Orchestergraben geworfenen Blumensträußen gefeiert.
John Neumeier muss etwas haben, was im gärtnerischen Bereich ein grüner Daumen genannt wird. Denn immer wieder entsprießen seiner Schule herausragende Talente, weitere werden zusätzlich angezogen. Auch andere Hauptpartien der Aufführung waren diesmal mit jüngeren Talenten besetzt. So tanzte Alessandro Frola, 22 Jahre alt, einen brillanten Mercutio, mich beeindruckte mit seiner Sprungtechnik auch der erst 20-jährige Francesco Cortese als Benvolio. Tybalt war mit Artem Prokopchuk ebenfalls hervorragend besetzt. Zahlreiche Solisten, das zeichnet auch das Hamburger Ballett aus, begnügten sich mit Nebenrollen wie Emilie Mazon, Yun-Su Park und Lizhong Wang als Mitglieder der Schauspieltruppe oder Yaiza Coll mit Kurzauftritten als Prostituierte.
Kurzauftritte hatten auch die jetzt als Ballettmeister wirkenden ehemaligen Ersten Solisten Laura Cazzaniga (Gräfin Montague) und Ivan Urban (Graf Montague). Priscilla Tselikova und Matias Oberlin füllten die Rollen von Julias Eltern voll aus. Warum allerdings Lennard Giesenberg als Pater Lorenzo ein von einer Bauchkordel gehaltenes schulterfreies, Sommerkleid-ähnliches Gewand und nicht wie früher eine der Rolle angemessene Kutte trug, erschloss sich nicht. In den Massenszenen nahm dieses zudem geflickt aussehende Kleidungsstück Lorenzo die für seinen Auftritt notwendige Autorität.
Der Beifall galt am Ende natürlich auch John Neumeier, außerdem holte er den mittlerweile 85-jährigen Jürgen Rose mit nach vorn. Rose hat offenbar noch einmal sein kongeniales Bühnenbild und die Kostüme begutachtet. Die musikalische Leitung des Philharmonischen Staatsorchesters hatte Simon Hewett. Es war die 188. Vorstellung seit dem 6. Januar 1974.
Weitere Vorstellungen gibt es, aber erst in der neuen Saison ab Oktober 2023.
Dr. Ralf Wegner, 12. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Romeo und Julia, Ballett von John Cranko, Stuttgarter Ballett Arte, 14. Februar 2021
Sergei Prokofjew, Romeo und Julia, Staatsoper Berlin, 5. Mai 2018
John Cranko, Sergei Prokofjew, Romeo und Julia, Bayerisches Nationaltheater