Pinchas Zukermans Geige singt, klagt, berührt − ein junger Lahav Shani ohne Zauber in der Elbphilharmonie

Rotterdams Philharmonisch Orkest, Pinchas Zukerman, Lahav Shani,  Elbphilharmonie Hamburg

Das „Flawless, but without magic.“ Das Ganze ist fehlerfrei, aber ohne Zauber.

Foto: wikipedia.de
Elbphilharmonie Hamburg
, 22. Oktober 2018
Rotterdams Philharmonisch Orkest
Pinchas Zukerman, Violine
Lahav Shani, Dirigent
Ernest Bloch, Hiver-Printemps
Max Bruch, Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 26
Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

von Sebastian Koik

Die Rotterdamer sind wieder da! Und sie haben ihren neuen Chefdirigenten mitgebracht, am 22. Oktober 2018 in die Elbphilharmonie. Gerade erst im September dieses Jahres löste der noch jüngere Lahav Shani, Alter 29, den jungen Yannick Nézet-Séguin als Chefdirigent des renommierten Orchesters ab.

Das Konzert beginnt mit dem sehr selten gespielten „Hiver-Printemps“ von Ernest Bloch. Der weltweit gefeierte Lahav Shani dirigiert mit sehr viel wunderbarer Ruhe. Es gibt hier nichts, überhaupt nichts an dieser Darbietung der Rotterdamer unter ihrer neuen Führung zu bemäkeln.

Im zweiten Stück des Abends betritt eine lebende Legende das Parkett: der Star-Geiger Pinchas Zukerman, Alter: 70. Und dieser Mann kommt nicht als Name der Vergangenheit, sondern als Künstler, der nach Jahrzehnten im Klassik-Betrieb in der Gegenwart immer noch Geigenkunst auf Weltklasse-Niveau bietet. Zukerman spielt Max Bruchs Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 26 in Perfektion und auf den Punkt. Ausdrucksstark, voller Tiefe und Innerlichkeit. Seine Geige singt, klagt berührt. Der Vortrag des Altmeisters ist absolut makellos.

Unter dem Vorgänger Yannick Nézet-Séguin begeisterte das Orchester mehr, musizierte stärker und präziser im Detail. Das sind Details, und eigentlich gibt es kaum etwas zu kritisieren. Wer das Orchester ein paar Monate zuvor jedoch unter seinem alten Dirigenten erleben durfte, wird feststellen, dass ein wenig Zauber fehlt, dass der junge Lahav Shani das Potential des ihm neu anvertrauten Klangkörpers noch nicht ganz ausschöpft.

Das gilt noch mehr für die 4. Sinfonie des Hamburger Komponisten Johannes Brahms, ein Stück, dass man in Hamburg vermutlich häufiger hören kann als anderswo. Der Zuhörer darf im zweiten Satz wunderbar sanftes und zärtliches Musizieren des niederländischen Spitzen-Orchesters erleben, ebenso ein kraftvoll-zupackendes Finale im vierten Satz, das begeistert. Insgesamt fehlt es allerdings an musikalischer Spannung. Man wünscht sich viele Passagen zupackender und zwingender.

Man hätte es vor dem Abend nie erwartet: Für anspruchsvolle Ohren ist die zweite Hälfte des Konzertabends mit der Brahms-Sinfonie über weite Strecken sogar langweilig. Das breite Publikum ist begeistert und spendet riesigen Applaus, ein paar verwöhnte Musikliebhaber verlassen allerdings entgegen ihrer Gewohnheit mit dem letzten verklungenen Ton den Saal. Der Mut, den die Gäste hatten, in Hamburg Brahms zu spielen, fehlt ihnen leider in der Interpretation. „Flawless, but without magic.“ Das Ganze ist fehlerfrei, aber ohne Zauber.

Sebastian Koik, 2. November 2018, für
klassik-begeistert.de

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