Rudolf Buchbinder © Julia Wesely
Rudolf Buchbinder schenkte uns zwei Stunden mit Schubert. Sein virtuoses Spiel faszinierte mit perfekter Artikulation und bezauberndem Klang. Die tieferen melancholischen, ja tragischen Schichten der Impromptus erschloss er nicht immer. Schuberts letzte Sonate hinterließ dagegen einen starken Eindruck.
Franz Schubert
Vier Impromptus für Klavier, D 935
Sonate für Klavier B-Dur, D 960
Zugaben:
Impromptu Nr. 2 in Es-Dur, D. 899
Impromptu Nr. 4 in As-Dur, D. 899
Rudolf Buchbinder, Klavier
Musikverein, Wien, 26. Februar 2025
von Dr. Rudi Frühwirth
Kürzlich hat Rudolf Buchbinder seinen Rücktritt als Intendant des Grafenegg Festivals bekanntgegeben; als Pianist ist der bald achtzigjährige Künstler noch immer und hoffentlich noch lange aktiv! Die Wiener Klassik war stets einer der Schwerpunkte seines Repertoires. Und Schubert wurde anders als Mozart, Haydn und Beethoven tatsächlich in Wien geboren und ist dort auch – viel zu früh! – gestorben. Für mich ist er daher neben Johann Strauß der wienerischste aller großen Komponisten.
Buchbinder hat Schubert über viele Jahrzehnte immer wieder studiert, gespielt und aufgezeichnet. Es war also ein berührender Abend im Musikverein zu erwarten. Und wir wurden nicht enttäuscht, obgleich ich einigen wenigen Punkten leise Kritik anmelden muss. Das Konzert begann mit den vier Impromptus des op. 144, D 935. Im ersten Impromptu in f-Moll muss der Pianist die vielfältigen Themen fein differenzieren und doch zu einem organischen Ganzen zusammenfassen. Buchbinder gelang das vorzüglich. Allerdings waren mir die Passagen, in denen die linke Hand übergreifend zarte Terzen zu spielen hat, etwas zu leblos geraten.
Das zweite Impromptu in As-Dur nahm Buchbinder recht rasch, formulierte das Thema schlicht und gesanglich, und mit einem bezaubernden Rubato, das an diesem Abend noch öfter zu hören war: ein fast unmerklich verzögerter Anschlag der zweiten, schwach betonten Note des Taktes. Mit dem Pedal ging er recht großzügig um. Dadurch wurde zum Beispiel im zweiten Teil des Trios die exquisite Modulation von A-Dur nach Des-Dur über dem Basstriller auf Fis zur Unkenntlichkeit verwischt.
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Das dritte Impromptu ist eine Folge von Variationen, die vom Pianisten wieder höchste Anschlagkultur verlangen. Unter weniger kundigen Händen kann ein Steinway im hohen Register spröde oder trocken klingen; Buchbinder entlockte dem perfekt intonierten Instrument in der zweiten Variation, wie auch in vielen folgenden Stellen, silbrig glänzende, perlende, exquisite Klangketten. In der letzten Variation brachte er seine Virtuosität glänzend zur Geltung, ehe er das Stück sehr zart und delikat beendete.
Das vierte Impromptu beginnt mit einem widerborstigen, unerwartet synkopierten Thema, das sich zu einem rastlosen Perpetuum Mobile auswächst und schließlich mit einer rasanten Coda dem Ende zustrebt. Rauschender Beifall begleitete den Pianisten in die Pause.
Nach der Pause folgte Schuberts Sonate in B-Dur, D 960. Wie Beethovens op. 111 ist sie vom Hauch des Mythos „Letzte Sonate“ umweht. Noch stärker als in den Impromptus sind die vier Sätze durch auffallende Kontraste geprägt; im Fall der Sonate auch in der Wahl der Tonarten. Während der erste Satz von B-Dur dominiert ist, steht der zweite Satz in cis-Moll, dessen Paralleltonart E-Dur von B-Dur so weit wie möglich, in der Distanz des Tritonus entfernt ist. Auch darf man nicht vergessen, dass zur Zeit Schuberts die heute übliche gleichschwebende Stimmung keineswegs angewendet wurde. Die Tonart cis-Moll hatte daher einen ganz anderen Charakter als etwa das dem B-Dur näherstehende c-moll.
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Buchbinders Interpretation hinterließ einen tiefen Eindruck, er erschloss die melancholischen, tragischen Untertöne des Werks überzeugender als in den Impromptus. Nur ein Beispiel: die typisch wienerische Terzenseligkeit im 2. Satz, so süß und doch so unendlich traurig. Weiter ging es mit dem spielfreudigen Scherzo, dem Buchbinder sehr aparte Überraschungseffekte abzugewinnen wusste, und schließlich dem Finale, dessen kontrastierenden Episoden der Pianist souverän zu einer Einheit verband. Der großartige Gesamteindruck wurde unterstützt durch Buchbinders vom Respekt vor dem Kunstwerk durchdrungene, von jeder Allüre freie Spielweise.
Das Publikum forderte mit stürmischem Beifall Zugaben; die beiden Encores waren nicht unerwartet das zweite und das vierte Impromptu aus der früher entstandenen Sammlung mit der Opuszahl 90. Noch einmal zeigte Buchbinder seine bewundernswerte Kunst des Anschlags, der Artikulation und der Phrasierung.
Wir hätten auch die beiden anderen Stücke aus op. 90 nur zu gerne gehört, aber nach etlichen weiteren dankenden Verbeugungen verließ Buchbinder endgültig das Podium. Es war das Ende eines beeindruckenden Abends mit nur winzigen Schönheitsfehlern.
Dr. Rudi Frühwirth, 28. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rudolf Buchbinder und die Geschwister Capuçon Philharmonie Berlin, 9. November 2024