Fotos: Dr. Andreas Ströbl
Jukka-Pekka Saraste & Daniel Müller-Schott
Esa-Pekka Salonen, Fog
Édouard Lalo, Konzert für Violoncello und Orchester d-Moll
Jean Sibelius, Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43
Jukka-Pekka Saraste, Dirigent
Daniel Müller-Schott, Cello
NDR Elbphilharmonie Orchester
Konzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle, 24. März 2023
von Dr. Andreas Ströbl
Drei sehr unterschiedliche Stücke und eine phantastische Zugabe prägten einen beeindruckenden Konzertabend an einem frühlingshaften 24. März in der Lübecker Musik- und Kongresshalle.
Zumindest vom Titel her nebelig ist das nur 10-minütige Stück „Fog“ von Esa-Pekka Salonen, das er zum 90. Geburtstag des Architekten Frank Gehry geschrieben hatte. In der Version für Orchester 2021 uraufgeführt, ist die Komposition ausgesprochen zugänglich und besticht mitunter durch eine fast spätromantische Tonsprache, die allerdings durch eine eigensinnige Instrumentierung und Rhythmik gebrochen wird.
Dieser Nebel ist nicht grau, sondern wird von goldenen Lichtstrahlen durchflutet – die Assoziation an einige von William Turners Gemälden liegt nahe. Abgesetzte Klangtropfen wirken wie nasse Tupfer im lichtvollen Flirren der hohen Streicher. Rhythmus-Wechsel und vor allem zwei übereinander gelagerte Rhythmen erinnern an ein Stolpern im feuchten Dunst, verschiedene Schlagwerk-Instrumente bilden strukturierende Elemente. Roland Greutters Erste Violine perlt leicht durch die diesige Atmosphäre, während unregelmäßige, reduzierte Trommelschläge an Tropfen aus der Dachrinne in die Regentonne gemahnen. Streicher-Glissandi lassen den Wind in die Szenerie blasen, Pauke und Harfe leiten das Finale ein, dessen letzte Klänge auch um 1900 hätten entstanden sein könnten.
Ein sympathisches, charaktervolles Stück, das gerne länger dauern dürfte! Jukka-Pekka Saraste leitet diese Impression mit klaren, reduzierten Bewegungen, den Musikerinnen und Musikern ist die Spielfreude an vielen frohen Gesichtern abzulesen.
„Daniel Müller-Schott – Klavier“ stand im Programmheft, aber der Weltstar hatte glücklicherweise sein Cello dabei. Auf dem zauberte er mit samtigem Strich und größter Virtuosität seinen Part in Édouard Lalos Konzert für Violoncello und Orchester. Der Mann ist ein echter Schwiegermutter-Traum; bescheiden stellt er sein großes Können ganz in den Dienst der Musik und des orchestralen Miteinander – trotz all der glanzvollen Solo-Abschnitte in Lalos bekanntem Konzert.
Zu Beginn schafft er sich erst einmal umsichtig Platz, um den Ersten und Zweiten Geiger nicht mit ausgreifendem Bogen zu stechen. Der erste Satz ist von feierlichem Ernst geprägt, in die energischen Akkorde schmiegt sich das Cello weich und unprätentiös, sehr sinnlich gestaltet Müller-Schott den melancholischen Vortrag. Er lässt sein Instrument singen und hält trotz aller Konzentration auf sein Spiel stets sehr freundlichen Kontakt zum Ersten Geiger und zum Dirigenten, der sich mit gemessener Körpersprache auf das Wesentliche fokussiert.
Zart setzt der zweite Satz an, der mit einem Wechsel aus wehmütig-würdevollen Passagen und leichten tänzerischen Abschnitten spielt. Hier zitiert Lalo deutlich spanische Folklore, durch Violinen-Pizzicati und Flöte mit entsprechender Leichtigkeit versehen.
Dem steht eine schwermütige Klage zu Beginn des Finalsatzes entgegen, die aber bald von einem lebhaften Saltarello-artigen Tanzmotiv abgelöst wird. Hörner bringen einen nördlichen Naturklang in die mediterrane Atmosphäre – hier verrät der Komponist seine Einflüsse durch die deutsche Romantik. Der Cellist besticht durch rasante Läufe und mit der ihm eigenen, zurückgenommen Art dominiert er kaum merklich den markanten Ausklang des Werks.
Ein begeisterter Applaus nötigt ihm eine Zugabe ab, die glücklicherweise vorbereitet ist – mit einer Überraschung. Gemeinsam mit dem Konzertmeister Roland Greutter spielt Müller-Schott die Passacaglia von Johan Halvorsen und das tun die beiden mit bewundernswerter Virtuosität, Spielfreude und sichtbarer gegenseitiger Sympathie. Dafür ernten sie nochmal soviel Beifall, zu Recht!
Hatte sich Jukka-Pekka Saraste im ersten Teil der Veranstaltung eher zurückgehalten, so zeigte er bei Sibelius´ zweiter Symphonie mit Leidenschaft, wo seine musikalische Heimat liegt.
Diese Symphonie ist für die Finnen von besonderer Bedeutung, gilt sie doch als ein Symbol nationaler Befreiung vom russischen Joch. Finnland war zwar autonomes Großfürstentum innerhalb des russischen Reiches, das seit 1808 den westlichen Nachbarn besetzt hatte, aber Zar Nikolaus II. hob 1899 die Autonomie auf, finnische Sprache und Kultur wurden unterdrückt. So musste Sibelius’ „Finlandia“, die heimliche Nationalhymne des besetzten Landes, bei einer Aufführung „Impromptu“ genannt werden.
Der Dirigent Robert Kajanus nannte die 2. Symphonie „den herzblutigsten Protest gegen alle Ungerechtigkeiten, die uns gegenwärtig bedrohen“, was ihr eine bedrückende Aktualität verleiht. Wenngleich sich Sibelius nicht widerspruchslos vereinnahmen lassen wollte, war er doch im Herzen patriotisch-freiheitlich gesinnt; Opus 43 geriet zum ersten Werk des 20. Jahrhunderts mit politischer Botschaft.
Die Liebe zu seinem Land spiegelt sich in der Naturschilderung des ersten Satzes wider, mit dem Wechsel aus beschaulichem, fast Wagner’schen Waldweben, Donnergrollen und spitzen Stakkato-Reihen der Streicher; tiefe Blechbläser tragen ein feierliches Motiv.
Wie ein Tasten im dunklen Wald wirkt nach einem Paukenwirbel das Pizzicato der Celli und Bässe, das Fagott stellt das charakteristische Thema vor. Dieser Satz ist geprägt von einer Zerrissenheit zwischen Zweifel und Hoffnung, die dann in trotzige Selbstbehauptung mündet. Das dürften die Zeitgenossen entsprechend verstanden haben. Lyrische Elegie wächst zu hoffnungsfrohem Aufschwung empor, das Ende setzt ein Fragezeichen.
Umso schneller lässt sich der Folgesatz an, der ohne Unterbrechung in den Finalsatz übergeht. Flirrende Streicher hasten vorwärts wie ein gehetztes Reh durch den Wald; energiegeladen, ja nervös ist diese hochdynamische Musik, bis ein Strahlen der Trompeten und ein Wummern der tiefen Blechbläser einen anderen Ton anschlägt. Saraste ist anzusehen, wie er in dieser Musik aufgeht, denn sein Dirigat wird immer entschiedener. Das ohnehin brillant spielende Orchester lässt sich davon weiter anstecken; das reizvolle Spiel mit Dur- und Moll-Wechseln bringt eine großartige Bewegung in den Ablauf. Intime Inseln mit reduzierter Lautstärke und Besetzung sowie Tonartwechsel verzögern den Lauf zum Finale, das endlich triumphierend aufblüht.
Frenetischer Beifall in der leider nicht ausverkauften „MuK“ belohnt eine eindrucksvolle Gesamtleistung. Es scheint, als ob ein finnischer Dirigent Sibelius erst die wahre Authentizität verleihen kann.
Dr. Andreas Ströbl, 25. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 3 d-Moll Musik- und Kongresshalle Lübeck, 20. März 2023
Ich teile die positive Sicht des Kritikers auf das Konzert. Leider hat Corona in Lübeck zu einem erheblichen Kahlschlag bei den Besuchern geführt. Der Saal war nicht nur „nicht ausverkauft“, sondern halbleer. Das trübt die Atmosphäre und läßt die Frage aufkommen, wie der NDR sein Angebot künftig gestalten wird.
J. Capriolo