Francesca da Rimini © Barbara Aumüller
Diese Musik hat es verdient, wiedergehört und -gesehen zu werden, zumal in derart trefflicher Besetzung.
Francesca da Rimini
Saverio Mercandante (1795–1870)
Dramma per musica in zwei Akten
Text von Felice Romani
Uraufführung 2016, Palazzo Ducale, Martina Franca
Kooperation mit den Tiroler Festspielen Erl
Musikalische Leitung: Ramón Tebar
Inszenierung: Hans Walter Richter
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Raphaela Rose
Francesca: Jessica Pratt
Paolo: Kelsey Lauritano
Lanciotto: Theo Lebow
Guido: Erik van Heyningen
Isaura: Karolina Bengtsson
Oper Frankfurt, 25.März 2023
von Kirsten Liese
Die wenigsten kannten den Komponisten Saverio Mercadante (1795- 1870) wohl vor dieser Ausgrabung. Mit knapp 60 Opern war der Neapolitaner ungemein produktiv, aber sie alle sind längst vergessen, nur vereinzelte Raritäten darunter gelangen hier und da zur Aufführung.
Ich hatte das Glück, 2011 schon seine Buffo-Oper I due Figaro zu erleben, die weiland Riccardo Muti auf seinen Salzburger Pfingstfestspielen und beim Ravenna Festival herausbrachte. Die erinnert sowohl seitens des Stoffes als auch stilistisch an Mozarts Figaro und Rossinis Barbier von Sevilla.
Francesca da Rimini, 1830 komponiert, aber erst 2016 vom Festival della Valle d’Itria verspätet uraufgeführt und nun in der Oper Frankfurt in einer Koproduktion mit den Tiroler Festspielen Erl zu erleben, erscheint dagegen wie ein Vorläufer zu Donizettis fünf Jahre später entstandener Oper Lucia di Lammermoor. Zwar schrieb Mercadante für seine Heldin keine so lange, hoch virtuose Wahnsinnsszene wie Donizetti für seine Lucia, dafür aber in Kette gleich mehrere aufwühlende, hoch emotionale Szenen.
Die Handlung rankt sich um die reale Francesca da Rimini, Zeitgenossin des Dichters Dante Alighieri und Figur in dessen Göttlicher Komödie, die von ihrem Ehemann wegen Ehebruchs mit seinem jüngeren Stiefbruder ermordet wurde. Wie in Boccaccios Decamerone findet sich in Felice Romanis Libretto jene Vorgeschichte, nach der Francesca von ihrem Vater arg getäuscht wurde: Weil der Mann, den sie aus politischen Gründen heiraten sollte, missgebildet und hässlich gewesen sein soll, wurde ihr zunächst dessen Bruder Paolo als ihr Bräutigam untergeschoben, in den sich Francesca sofort verliebte. Erst in der Hochzeitsnacht musste sie feststellen, wer ihr eigentlicher rechtmäßiger Ehemann ist. – Ein sicherlich nicht unwesentliches Detail im Hinblick darauf, dass sich Mercadante empathisch auf die Seite seiner Heldin schlägt und trotz des Ehebruchs Mitgefühl für sie weckt.
Die Australierin Jessica Pratt ist in Frankfurt die mutige Heldin, die sich selbstbewusst zu ihrer Liebe zu ihrem Schwager bekennt, den Besitzansprüchen ihres Mannes Lanciotto trotzt und sich schließlich entscheidet, in ein Kloster zu gehen, um dem grenzenlos Eifersüchtigen zu entkommen.
Ihr Sopran ist von eindrucksvoller Durchschlagskraft, mit schlafwandlerischer Sicherheit meistert sie die hoch virtuosen Koloraturen, und wenn sich im Spitzenregister bis hin zum Schrei so manche Schärfen einstellen, harmoniert das durchaus mit dem unbändigen Schmerz, den diese Geplagte erdulden muss. Es vergeht schließlich kaum eine Minute, in der sie der abstoßend empfundene Gatte seit seiner Rückkehr aus dem Krieg nicht bedrängt, sich nicht bei seinem Schwiegervater über sie beschwert, sie an den Haaren zieht, sie coram publicum erniedrigt und schließlich gar vergewaltigt. Aber sie erscheint trotz der auf ihr lastenden Schuld als eine starke Frau, die sich wehrt so gut sie kann, ihn einmal sogar ohrfeigt.
Und wiewohl dieser Lanciotto in stattlicher Gestalt von Theo Lebow den Konflikt so drastisch eskalieren lässt, hat auch er zusammen mit seinem Regisseur Hans Walter Richter ein psychologisch sehr komplexes Rollenporträt geschaffen. Mit großem Strahl singt er den kraftstrotzenden, Lorbeer-bekränzten Helden, der als Sieger aus dem Krieg in seine Heimatstadt Rimini heimkehrt und seinem Zorn über Francescas Zurückweisung in Gewalt entlädt. Gleichwohl erscheint er weniger als ein Unmensch als vielmehr ein Unglücklicher, der darunter leidet, dass sein Begehren keine Erwiderung erfährt. Zum Glück hat Francesca zumindest ihren Vater Guido alias Erik van Heyningen auf ihrer Seite, der es nicht zulässt, dass Lanciotto sie vergiftet und den Kämpfen zwischen den Rivalen Einhalt mit seinem kräftigen, profunden Bariton Einhalt gebietet.
Der oder vielmehr die Dritte im Bunde des Kammerspiels, das sich spannungsvoll zuspitzt, als Paolo alles dransetzt, die im Kloster gelandete Geliebte zur Flucht zu überreden, ist die japanisch-amerikanische Sängerin Kelsey Lauritano in dieser Hosenrolle, ein warm strömender, prächtiger, glutvoller Mezzo von großer Sinnlichkeit und wie van Heyningen noch neu im Ensemble der Oper Frankfurt.
Wie die drei Protagonisten im letzten Akt bis aufs Blut vor einer Klosterruine um ihre Leidenschaften und ihre Fassung ringen, inszeniert Hans Walter Richter ungemein packend mit Sängerdarstellern, die ihre Gefühle mit der denkbar größten Hingabe durchleben. Die Musik scheint dabei regelrecht verrückt zu spielen, besonders in Francescas und Paolos Arien und Duetten spult sie sich im wahrsten Sinne des Wortes zum schieren Wahnsinn hoch. Fast schon fürchtet man, die Titelheldin könnte sich bis zur Heiserkeit verausgaben, so wuchtig schleudert sie ihre Spitzentöne heraus. Ein Mann in der Reihe hinter mir kriegt sich jedenfalls kaum noch ein: „Wahnsinn, einfach nur Wahnsinn“ höre ich ihn mehrfach im Fortlauf des Abends sagen.
Bei alledem tut es gut, dass Richter nicht den Versuch unternommen hat, das Stück in die Gegenwart zu verpflanzen, die sparsame Ausstattung von Johannes Leiacker mit wenigen Requisiten und die von Raphaela Rose entworfenen Kostüme wirken historisch und zugleich auch irgendwie zeitlos.
Die entscheidenden Impulse kommen freilich aus dem Graben. Da steht in dieser Produktion Ramón Tebar am Pult der Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, der die Partitur zwischen Dramatik, ornamentreichen virtuosen Szenen und Ensembles und schwermütigen Momenten kontrastreich auslotet. Und damit atmosphärisch den Boden bereitet für diese nervenaufreibende Tragödie.
Diese Musik hat es verdient, wiedergehört und -gesehen zu werden, zumal in derart trefflicher Besetzung.
Hoffentlich müssen nicht erst weitere fünf, sechs Jahre vergehen, bevor sich ein Haus an ein weiteres Werk von Mercadante heranmacht. Nach diesem Abend ist man jedenfalls ganz hungrig auf mehr von diesem Komponisten! Muti hatte Recht, man kann ihn auf eine Stufe mit Rossini und Donizetti stellen. Also nichts wie ran!
Kirsten Liese, 28. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Saverio Mercadante, Francesca da Rimini Frankfurt, Oper, 26. Februar 2023
DVD-Rezension: Riccardo Zandonai, Francesca da Rimini, Deutsche Oper Berlin, März 2021
Riccardo Zandonai Francesca da Rimini Livestream aus der Deutschen Oper Berlin, 14. März 2021