Schweitzers Klassikwelt 143: Wir erzählen von einem unserer liebsten Opernhäuser

Schweitzers Klassikwelt 143: Gran Teatro La Fenice di Venezia  klassik-begeistert.de, 5. August 2025

Fotos: Lothar Schweitzer

In unsrer Klassikwelt „Eine Stadt – eine Oper“ sind wir auf das Gran Teatro La Fenice im Sestiere San Marco nicht eingegangen, weil uns mit dieser Kunststätte Venedigs, ähnlich wie mit dem Tiroler Landestheater und den Berliner Opernhäusern, zu viele Opernerlebnisse verbinden. Das wollen wir jetzt nachholen.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Schon rein äußerlich beeindruckt uns die Mittelloge, die im Vergleich zu unsrer zumindest früher so genannten „Regierungsloge“ in der Wiener Staatsoper eine Augenweide besonderer Art darstellt.

Foto: Lothar Schweitzer

Als wir für Sinopolis „Lou Salomé“ Plätze reservieren wollten, wurden wir lange Zeit hingehalten. Während der Aufführung verstehen wir: Die beengende Bühne wird zugunsten eines weiteren Raums aufgegeben, was Lou Salomés seelischen Erlebnissen besser entspricht.

Ihr Leben spielt sich im Parkett ab. Das Orchester begleitet auf der Bühne, wir Zuschauer leben mit im Halbrund der Logen und Galerien und auf den seitlich verbliebenen Parkettsitzen. Die Vergänglichkeit eines Schneemanns reißt das Kind Lou Salomé aus ihrem Gottvertrauen. Heranwachsend um Erkenntnis ringend gelangt sie in einen Irrgarten, der im Parkett mit einer Unzahl von ungeordnet sich stapelnden und versandenden Büchern dargestellt wird.

Foto: Lothar Schweitzer

Ursprünglich dachte der studierte Psychiater an eine Trilogie. Nach der „Lou Salomé“ hätten „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ folgen sollen. Die Titelpartie wäre, um die Persönlichkeitsspaltung zu spiegeln, von einem Chor verkörpert worden. Den Abschluss sollte ein Werk über das aufregende und komplizierte Leben der russischen Dichterin Marina Zwetajewa bilden. Doch es kam nicht dazu. Sinopoli verlor zu den neuen Strömungen in der Musik das Vertrauen und machte die Interpretation anderer Werke zu seiner Lebensaufgabe. Er hätte sonst „Lou Salomé“ noch einmal überarbeitet. Daher bleibt Sinopolis einzige Oper ein Fragment. Aus dringenden beruflichen Gründen versäumte ich 1981 die Münchner Uraufführung. Ich ahnte damals nicht, dass dreißig Jahre später meine Frau Sylvia und ich die italienische Erstaufführung als erst zweite Inszenierung miterleben werden.

Die Aufführung hat uns zwei gewaltige Eindrücke hinterlassen. Beklemmend die abschließende Lichtprojektion eines brennenden Infernos auf die Logen und Ränge. Ist doch dieses Haus nach zwei Bränden wie Phoenix aus der Asche wieder belebt worden. In dieser posthumen Premiere auf italienischem Boden tritt zum Schluss eine Person auf die Bühne, die täuschend dem Meister gleicht. „Sinopoli“ schreitet nachdenklich durch den weiten Spielraum.

Venedig wird nicht selten mit dem Tod in Verbindung gesetzt. Wir zitieren Thomas Mann aus seiner Novelle „Tod in Venedig“: „Wer hätte nicht einen flüchtigen Schauder, eine geheime Scheu und Beklommenheit zu bekämpfen gehabt, wenn es zum ersten Mal galt, eine venezianische Gondel zu besteigen.“ Filmtitel wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ zielen in dieselbe Richtung.

„Morte a Venezia“, Stagione 2008 Gran Teatro La Fenice di Venezia – Marlin Miller als Gustav Aschenbach und Scott Hendricks als Vecchio Gondoliere, Regie und Bühne: Pier Luigi Pizzi (Programmheft Teatro La Fenice)

Aber nicht nur Benjamin Brittens „Death in Venice“ fand in dieser Atmosphäre einen besonders geeigneten Ort, sondern auch Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“, ähnelt doch Brügge mit seinen Kanälen ein wenig Venedig.

Brügge – Bild von Fernand Khnopff

Im Januar des folgenden Jahrs 2009 nahmen wir wieder Quartier im Sestiere San Marco in Venedig. Wir merkten wieder die Handschrift von Pier Luigi Pizzi, der wieder wie bei „Death in Venice“ für „regia, scene e costumi“ zeichnete:

Bild aus dem Programmheft vom Teatro La Fenice

Stefan Vinke, der das gesamte dramatische Repertoire Richard Wagners sang, war der Witwer Paul. Für manche Leserinnen und Leser mag unsere Ansicht überspitzt erscheinen. Als einmal ein Sänger als Paul für einen verdienten Heldentenor einspringen musste, war unser spontaner Gedanke: Diese Rolle passt für ihn. Denn gerade wegen der hörbaren Tücken der Partie konnten wir die Nöte Pauls tiefer nachempfinden. Bei dem Siegfried Bayreuths im Teatro la Fenice war das nicht der Fall. Die Ariadne und Capriccio-Gräfin Solveig Kringlebotn, international ist die Norwegerin als Kringelborn bekannt, war eine gute Wahl, wenn es auch für uns nach sieben Erfahrungen mit diesem Werk den Anschein hat, als läge den US-Amerikanerinnen (Karan Armstrong, Susan Anthony) die Marietta / Erscheinung der Marie besonders. Aufgefallen ist auch Christa Mayer als Haushälterin Pauls. Den Sommer vorher debütierte sie bei den Bayreuther Festspielen als Erda und Waltraute im „Ring des Nibelungen“. Es war ein netter Zufall, dass wir nach der Premiere in unserem Stammlokal A Beccafico noch einmal Solveig Kringelborn und Christa Mayer trafen.

Solveig Kringelborn © Badisches Staatstheater Karlsruhe
Christa Mayer © Klaus Gigga

Im Teatro La Fenice „besuchten“ wir außerdem noch die beliebte österreichische Sopranistin Martina Serafin in Puccinis „Manon Lescaut“, die mit dem Bassisten Alessandro Guerzoni in Italien eine neue Heimat gefunden hat. Im Stück spielte ihr Mann Geronte de Ravois, den reichen Verehrer Manons, der sich an Manons Wankelmut rächt.

Von links nach rechts: Alessandro Guerzoni, Sylvia Schweitzer, Martina Serafin  Foto: Lothar Schweitzer

Manches Mal waren die gewählten Vorstellungen im Dezember oder Jänner. So erlebten wir Venedig mit verschneiten Dächern. Die vorgelagerte, den Winden ausgesetzte Insel Giudecca nennt man das Sibirien Venedigs. Dort sind wir zweimal auf Eisplatten ausgerutscht.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 5. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Schweitzers Klassikwelt 142: Heimweh nach Oper klassik-begeistert.de, 23. Juli 2025

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