Dr. med. Birgit Meyer, Foto © Paul Leclaire
Wie ein Lauffeuer geht es durch die Medien, dass wir von der Kölner Intendantin bald Abschied nehmen müssen. Als naive Outsider aus Wien dazu einige Gedanken.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Prinzipiell stellt sich die Frage, wie lange die Intendanz einer anerkannten Persönlichkeit währen soll. Entgegen der Wiener konservativen Mentalität und dadurch sicher ins Kreuzfeuer der Kritik geratend ist unsre Meinung zwei bis drei ordentliche Vertragsperioden (je vier bis fünf Spielzeiten), auf keinen Fall viel länger als insgesamt fünfzehn Jahre, denn die Theater- und Opernliebhaber sollen im Laufe ihres kulturinteressierten Lebens mehrere „Handschriften“ kennen lernen. Jeder mit Sorgfalt ausgewählte Intendant oder Direktor hat seine besonderen Fähigkeiten und Talente und setzt andere Akzente, mit denen er der hoffentlich immerwährenden, „ewigen“ Institution des jeweiligen Theaters dienen kann. Keine Regel ohne Ausnahme: Uns störte die fünfundzwanzigjährige Intendanz von Helmut Wlasak am Tiroler Landestheater keinesfalls.
Als im Jahre 1992 nach Helmut Wlasak Dominique Mentha die Leitung des Tiroler Landestheaters, eines Mehrspartentheaters, übernahm, kam Birgit Meyer als Dramaturgin ans Haus und stieg zur leitenden Dramaturgin auf. Nach sieben Jahren verließ Mentha Innsbruck und übernahm die Direktion der Wiener Volksoper. Für die Dramaturgin bedeutete es sicher eine Ehre, von ihrem Chef nach Wien mitgenommen zu werden. Sie überdauerte die kurze Wiener Karriere Menthas und blieb Chefdramaturgin unter Rudolf Berger (2003 – 2007) und noch zwei Jahre unter Robert Meyer. Anschließend zog sie als stellvertretende Intendantin der Oper Köln ins Rheinland.
Unter großem Theaterdonner wurde Intendant Uwe Eric Laufenberg wegen Budgetüberschreitung 2012 zunächst „fristlos gekündigt“. Dies wurde letzten Endes in eine einvernehmliche Kündigung per 31.08.2012 umgewandelt. Seither steht Dr. Birgit Meyer als Intendantin an vorderster Front. Mit Juni 2012 haben im denkmalgeschützten Opernhaus, einer typischen Architektur der Fünfzigerjahre, die Sanierungsarbeiten begonnen.
Unsere Intendantin kennt während ihrer hauptverantwortlichen Direktionszeit nur Ausweichspielstätten. Hier ihre Odyssee: Am 7. November 2015 hätte die feierliche Wiedereröffnung stattfinden sollen. Am 23. Juli 2015 waren die Programmhefte bereits gedruckt, die Abos verkauft, die Verträge mit den Ersatzspielstätten schon gekündigt. Baumängel und die Insolvenz einer Baufirma waren der Grund, auf Herbst 2016 vertrösten zu müssen. Aber bereits am 27. November 2015 stand fest, dass auch die Saison 2017/18 nicht wieder im traditionellen Riphahn-Gebäude stattfinden kann. Auf einer Pressekonferenz im Juli 2017 wurde als Fertigstellungstermin das Jahresende 2022 genannt. Ein Rückbau der installierten Haustechnik war notwendig geworden. Durch Baustopp und Neuplanung bedingt soll nach Einschätzung Ende 2019 die Wiedereröffnung, „wenn es gut läuft“, 2024 erfolgen.
Birgit Meyers Vertrag galt ursprünglich für drei Interimsspielzeiten bis zur Wiedereröffnung des Stammhauses am Offenbachplatz. Doch schon im Dezember 2013 kam die Vertragsverlängerung bis 30.08.2017 und im Februar 2016 eine weitere Verlängerung bis 31.08.2020 zuzüglich zweier voller Spielzeiten im modernisierten alten Haus. Sollte das Bauvorhaben bis dahin nicht abgeschlossen sein, würde eine automatische Verlängerung bis zum 31.08. des Jahres erfolgen, in dem die zweite volle Spielzeit realisiert würde, längstens jedoch bis 31.08.2022. Damit ist vorauszusehen, dass ihre aufopfernde, nervenaufreibende Intendanz nicht mit einer Leitung im neu erstrahlenden alten Haus bedankt wird.
Anlässlich unsrer Opernreise im April 2018 zur Kölner Erstaufführung der selten gespielten Rossini-Oper „Mosè in Egitto“, einer Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen, konnten wir uns vor Ort vom rein künstlerischen Blickwinkel aus ein Bild machen.
Birgit Meyer musste über Nacht die Spielzeit 2015/16 neu organisieren und vor allem eine neue geeignete Bleibe finden. Das gelang ihr mit dem „Staatenhaus“, einer früheren Messehalle am Rheinpark, einem denkmalgeschützten Gebäude aus den 1920er-Jahren.
Den Nachteil einer nicht im Zentrum liegenden Ersatzbühne bekamen wir am eigenen Leib zu spüren, als die Karte meiner erkrankten Cousine frei wurde und keine Spätentschlossenen nach Karten Ausschau hielten. Sind die Orchester meistens mehr oder weniger tiefer als die Bühne positioniert oder aus besonderen Gründen hinter der Szene in Aufstellung gebracht, so spielte das Orchester in diesem Saal neben der Bühne.
Birgit Meyers Wahlspruch könnte nach ihren eigenen Worten lauten: „Kunst muss… in erster Linie mal sein!“, und sie kann selbst erklärend ergänzen: „Denn die Kunst bietet die Möglichkeit unser Dasein zu betrachten und zu reflektieren.“ Das wird ihr in den vergangenen aufreibenden Jahren Kraft gegeben haben.
Wir hatten Gelegenheit, uns in den Unterlagen die vorhergehende Saison 2016/17 näher anzuschauen und entdeckten Preziosen wie „Die Kluge“ von Carl Orff und Udo Zimmermanns „Weiße Rose“.
Die ehemalige Ärztin führte in einem Projekt „Oper für Jung und Alt“ auch demente Patienten in Opernaufführungen, die diese Menschen noch Tage danach emotional ungemein berührten.
Sie ist übrigens auch als Lehrbeauftragte sehr gefragt. An der von August Everding gegründeten und nach ihm benannten Bayerischen Theaterakademie im Prinzregententheater leitete sie Seminare mit den Themen aus der Praxis wie Spielplan- und Programmheftgestaltung.
Es tut uns leid, dass wir uns über Jeanne d’Arc (ohne Nobilitierungsversuch richtiger Darc, Tarc oder gar Dart) nicht genügend literarisch vorbilden konnten und deshalb auf einen neuerlichen Besuch der Oper Köln verzichteten. Nach der Lektüre von Jean Anouilhs „Die Lerche“ fehlte uns die Zeit für George Bernard Shaws „Saint Joan“ und die Uraufführung von Sebestién Györgys „Agnes und Johanna“ im Wiener Volkstheater lag auch schon fast ein halbes Jahrhundert zurück. Schillers „Jungfrau von Orleans“ wäre von weniger Interesse gewesen, weil sie zu sehr von der historischen Realität abweicht. Hätten wir gewusst, dass die Intendantin an einem Werk über Walter Braunfels arbeitet, wäre das Grund genug gewesen, diese Rarität in der Oper Köln nicht zu versäumen.
Regie führte bei „Mosè in Egitto“ übrigens Lotte de Beer. Ihre Inszenierung erhielt von uns nur teilweise Zustimmung. Ihre Sichtweise des biblischen Stoffs war, wie heute auch bei anderen Regisseuren biblischer Themen zu beobachten, eindeutig als säkular zu bezeichnen, was die vielzitierte Rede von einer europäisch-christlichen Kultur fragwürdig erscheinen lässt.
De Beer erhielt jetzt den Zuschlag bei der Bewerbung für die Leitung der Wiener Volksoper. Wir sind überzeugt, dass mit ihr eine interessante Zeit anbrechen wird. Doch unser Herz schlug für Birgit Meyer, die sich ebenfalls beworben hatte, das Haus sehr gut kennt und zu unsrer großen Enttäuschung nicht ausgewählt wurde. Ein Wiedersehen in unsrer Heimatstadt hätte uns Freude bereitet, wo auch seit Januar 2006 eine Zusammenarbeit mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien stattfand.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 22. März 2021, für
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
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