Richard Strauss, Der Rosenkavalier
Foto: Marlis Petersen, Feldmarschallin, © W. Hösl
Bayerische Staatsoper, München, um 90 Minuten zeitversetzter Live-Stream, 21. März 2021
von Sandra Grohmann
Der uralte Amor, der hat was. In die Jahre gekommen, der Gute, aber doch noch recht kraft- und wirkungsvoll und bei aller Gebrechlichkeit so verspielt wie eh und je. Konfetti! Im neuen Münchener Rosenkavalier bietet er als im Libretto so nicht vorgesehene Figur doch das stärkste Bild für das Hauptthema des Abends – die Zeit. Die Zeit, das „sonderbar Ding“. Marlis Petersen im Rollendebüt als Marschallin besingt sie zauberhaft mit ihrer klaren, gleichwohl vollen und außerdem makellos geführten Stimme, in der neben der Melancholie ein Augenzwinkern aufblitzt. In jedem Moment lässt sie uns hören, was dieser Fürstin durch Herz und Kopf geht, färbt sie den Ton übermütig, nachdenklich, strahlend. Und ihr Spiel passt dazu: sinnlich, etwas naiv, sehr frisch trotz der ersten Alterszeichen. Nicht zu vergessen ihr unwiderstehliches Lachen – wer schmölze bei diesen so effektvoll eingesetzten Grübchen nicht dahin!
Bleiben wir bei den Stimmen an diesem herausragend besetzten Abend, der klanglich nur eins vermissen ließ: Alles live zu erleben. Arien lassen sich ja noch einigermaßen gut hören am heimischen Gerät, aber spätestens beim Terzett ist es mit meiner Langmut jedenfalls vorbei. Diese drei wundervollen und zudem klangfarblich hervorragend harmonierenden Frauenstimmen – neben Petersen Samantha Hankey in jeder Hinsicht überzeugend als Oktavian/Mariandl und Katharina Konradi als wunderbar eigensinnige, vollstimmige Sophie – die drei also ohne ein vor Ort lauschendes Publikum (ver)klingen zu wissen, treibt mir schon das eine oder andere Tränchen ins Auge. Dazu Christof Fischesser als routinierter und trotzdem sehr präsenter Ochs – ach, wie gern hätte ich dessen sonore, geradezu genüsslich ausgebadete Basstöne ohne technische Vermittlung in mein Ohr gelassen. Und wie gut, natürlich, dass es dank Technik überhaupt möglich war.
Der Freude an den Stimmen gesellte sich die Freude daran, dass alle Figuren ganz konzentriert verkörpert wurden, hinzu – auch wenn die Inszenierung bei mir gemischte Gefühle auslöste. Die Erwartungen, die Barrie Kosky mit seiner Ankündigung bei mir geweckt hatte, erfüllte der Abend jedenfalls nicht vollständig. Es hatte ja nichts weniger in Aussicht gestanden, als die inzwischen als museal empfundene Schenk-Einrichtung durch eine völlig neu gelesene Fassung abzulösen. Nun ist dafür vielleicht nicht mehr zu tun als überhaupt eine zeitgemäße Inszenierung auf die Beine zu stellen. Dazu gehört nicht viel, aber doch immerhin, treffende und eingängige Bilder für das Thema Zeit zu finden. Das sollen hier insbesondere der erwähnte alternde Amor und eine Reihe von Uhren auf der Bühne (sorry: gähn) leisten, aber auch die Lesart des Stückes nach Erzähljahrhundert (Rokoko), Entstehungsjahrhundert (frühes 20.) und Wirkjahrhundert (späteres 20.). Es ist, muss man sagen, bis auf den mit seinen ca. 2500 Lebensjahren über die Bühne schlurfenden Liebesgott nichts Neues dabei. Auch das Theater im Theater kennen wir schon. Hübsch anzuschauen ist das alles aber trotzdem – und vor allem sehr verständlich durchgeführt. Rätselraten, wie der Regisseur den einen oder anderen Einfall gemeint haben könnte, ist nicht nötig. Die Zuordnungen auch zu den drei weiblichen Hauptrollen werden augenfällig: Kosky widmet den ersten Akt der Fürstin, den zweiten Akt Sophie, den dritten Oktavian.
Überhaupt Verständlichkeit: Untertitel waren fast gänzlich überflüssig, und die Figuren verkauften sich nicht zu billig. Balsamisch wirkte, dass Ochs zwar mit seiner erotischen Kraft prahlte, dann aber doch derjenige war, der sich der zupackenden Jugendlichkeit Oktavians (Mariandls) nicht gewachsen zeigte – eine schöne Ausleuchtung auch des Umstands, dass Ochs letztlich das Charisma der Marschallin als überlegen anerkennt und sich als der Unterlegene trollt. Dass es bei aller Intensität Momente gab, in denen die eine oder andere Figur doch etwas verloren wirkte, die eine oder andere Geste ein wenig oft wiederholt wurde (man hätte Mariandl zurufen mögen: So lass’ Sie doch den Staubwedel endlich ruhen!), möchte ich gnädig vergessen. Noch nicht vollständig gelungen, wie man sieht.
Von großer, nachgerade luzider Transparenz schließlich das Orchester. Die Verkleinerung tat schon wegen der Übertragung gut, die Hinzunahme des Klaviers war ein Segen auch wegen des starken Kontrasts hin zum Kammermusikalischen. Dabei verstopften auch die Tutti nie die Leitungen zum Lautsprecher. Was für ein Gestaltungspotential, und Jurowski nutzte es aus. Die große Freiheit, die er den Sängern dabei stets lässt, wird von Marlis Petersen im Interview dankbar betont. Alles in allem ein Zusammenspiel, das keine Wünsche offen ließ: Was für eine verlockende, ja unwiderstehliche Einladung, die Oper endlich wieder zu besuchen. Möge es uns bald vergönnt sein.
Sandra Grohmann, 22. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at