Foto: M. Pöhn ©
In der Online-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ lautet die Überschrift der Rezension in dicken und großen Lettern Was ist der Gral? Und gleich anschließend triumphierend des Rätsels Lösung: Die Freiheit!
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Wir können der liberalen Linie des Blatts in dem Punkt beipflichten, wenn drei Absätze darunter Frau Christine Lemke-Matwey schreibt, dass Wagners letzte Oper „von Kunstreligiösem und Pseudo-Liturgischem umwölkt“ ist. Ähnlich Joachim Lange, der in der renommierten Neuen Musikzeitung von einem pseudoreligiösen Stück spricht.
Selbst wenn die „Archäologie“ der Wahrheit entspräche und es sich wirklich um den Kelch des Letzten Abendmahls gehandelt hätte, wäre das im Hinblick auf den kostbaren Inhalt des Kelches, das Blut Christi, gegenstandslos und ohne jegliche vertiefende Bedeutung. Jede Abendmahlsfeier außerhalb der Mauern von Monsalvat beinhaltet dasselbe Mysterium.
Richard Wagner musste als revertierter evangelischer Christ den Auftrag Christi, das „Tun zu meinem Gedächtnis“, nicht unbedingt tridentinisch als Vergegenwärtigung des Letzten Abendmahls sehen. Das allmähliche Rotglühen des Kelches, das mich bei Parsifal-Inszenierungen in der Jugend noch sehr beeindruckte, sehe ich heute in Verbindung zu legendären Berichten von Blutwundern bei Hostien. Diesen liegt das aristotelische Denksystem zugrunde, welches vom Wesen einer Sache und seinen äußeren Erscheinungsweisen ausgeht. Jenseits altgriechischer philosophischer Begrifflichkeit hat der Segen über Brot und Wein seine Wurzel im jüdischen Sederabend, der zeremoniellen Mahlzeit als Einleitung des Pessachfests, wo eines der ungesäuerten, sorgfältig gebackenen Fladenbrote dem Volk Israel gewidmet ist. Damit ist bei der Feier ganz Israel und im Kreis der Christen der Messias wirklich und nicht nur in der Vorstellung anwesend. („Bruder Jesus, der Nazarener in jüdischer Sicht“ von Schalom Ben-Chorin)
Unter orf.at/stories lasen meine Frau und ich: „Am Ende kein Gral. Sondern offene Gefängnistüren und der Weg ins Licht.“ Und später noch einmal erklärend: „Die Aufforderung den Gral zu zeigen, führt zum Öffnen der Gittertüren.“ Wir waren Zeugen der zweistündigen werkbetrachtenden Kompaktversion im ORF. Dass Wagners Bühnenweihfestspiel nicht in gewohnter, beschaulicher Weise abschließt, hießen wir gut. Spontan fiel uns das Buch „Theologie auf dem Weg nach Emmaus“ ein, in dem Nicholas Lash die Abendmahlsfeier als Aufforderung sieht, als neue, verwandelte Menschen hinaus ins Leben zu treten.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 4. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 11. April 2021 (Stream bei ARTE Concert vom 18. April)