von Lothar Schweitzer
Das Interesse an Opern nimmt ab. Das Fehlen von Nachwuchs an Opernfans wird bedauert. Fehlt es an Stimmenfetischisten? Liegt es an den Inhalten der Stücke? Oder wie sie gebracht werden? Unser heutiges Feuilleton beschränkt sich auf die Verpackung – und da nicht auf die Werbeplakate und CD-Designs, was sicher sehr interessant wäre, sondern auf die Namensfindung für Opernwerke.
Größtenteils stoßen wir bei den Operntiteln auf Eigennamen, manchmal mythologischer Art, hin und wieder sind es Berufsbezeichnungen. Beide machen selten neugierig. Ob es sich nun um einen Barbier in Sevilla, um einen Barbier in Bagdad, um einen Waffenschmied, einen Postillon oder um einen Konsul handelt, was soll’s. Wenn natürlich einmal bekannt ist, welch herrliche Musik hinter den Titeln steckt, dann ist es im süddeutschen Sprachgebrauch „a gmahde Wies’n“ (eine gemähte Wiese = bildlich für etwas, das nicht schief gehen kann).
Rossinis „La Cenerentola“ führt den sinnvollen, wenn auch moralisierenden Alternativ-Titel „La bontà in trionfo“. Aber der Bezug auf das Märchen bleibt – müssen wir in dem Fall eingestehen – konkurrenzlos.
Mozarts „Le nozze di Figaro“ hat als Vorlage Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais’ Komödie, dessen Haupttitel noch „La folle journée“ (Der tolle Tag) heißt, was uns für ein noch nicht bekanntes Werk publikumswirksamer, weil neugierig machend, erscheint.
„Così fan tutte“ wird mit „So machen’s alle“ ungenau übertragen. Die richtige Übersetzung „So machen es alle Frauen“ scheint heute als zu frauenfeindlich nicht mehr angemessen.
Es braucht viel Sprachtalent, um ähnlich einem Werbetexter zündende Titel zu finden. Neue Akzente der Regie könnten da mitspielen, wenn zum Beispiel die Gilda als von ihrem Vater zu behütet und eingesperrt dargestellt wird. Die herkömmlichen Namenstitel haben natürlich den Vorteil, dass sie in allen Sprachen gleich lauten. Wenn heute die Originalsprache bevorzugt wird, so ist nicht sicher, ob bei neuen Titeln das Emotionale für der Originalsprache Unkundige erhalten bleibt. Eine wortgetreue Übersetzung kann einen anderen Gefühlswert bekommen. Bestes Beispiel dafür ist „Adriana Lecouvreur“. Da wird ein Womanizer als Dilettant in der Liebe vorgestellt, was beim Publikum in der Wiener Volksoper regelmäßig Lachsalven auslöste. Man hat geglaubt das italienische Dilettare nicht übertragen zu müssen.
Manchmal bringen Unter- und Zwischentitel von Rezensionen den Angelpunkt oder den springenden Punkt eines Werks zur Sprache. „Così fan tutte“ wird zu „Mozarts Wahlverwandtschaften“. Im „neuen Merker“ betitelt Susanne Lukas Verdis „Macbeth“ mit „die mörderische Ehe mit einem grandiosen Paar“ und Wolfgang Habermann zitiert für dieselbe Oper treffend die Dreigroschenoper: „Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht …“ Die Mezzosopranistin Maria Altmann-Althausen, selbst Carmen, charakterisiert Bizets Oper als „Die Liebe ist ein rebellischer Vogel…“.
Blicken wir auf die eher surrealistischen Opern, so lässt Korngolds „Die tote Stadt“ auf einen Thriller schließen, während wir bei Martinůs „Julietta“ nicht ahnen können, wie hier ein Mann verzweifelt darum kämpft, etwas Stabiles zu finden, worauf er sich stützen kann. So die Kernaussage der Oper vom Komponisten selbst formuliert. „Der Faden der Erinnerung im Netzwerk der Überraschungen“ als Titel? Martinůs eigene Erläuterung hier von fünfzehn auf acht Wörter verdichtet. Noch immer sehr lang. „Die Welt der zerschnittenen Erinnerung“. Jetzt nur mehr fünf Wörter, doch sprachlich nicht sehr elegant. Vielleicht: „Welt ohne Gedächtnis“? Die literarische Vorlage fand Martinů in Georges Neveux’ Drama „ Juliette, ou La clé des songes“, was kryptisch „Der Schlüssel zu Träumen“ heißt.
Ein überraschendes Erlebnis hatten wir bei unsrem „Klassik begeistert“ – Bericht über die Salome-Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf. Die Regisseurin Tatjana Gürbaca kann sich beachtenswert in die Prinzessin hineinfühlen. Da ihr Verlangen nach Jochanaan unerfüllt bleiben muss, kompensiert sie das, indem sie sich ausersehen sieht zur Vollstreckerin seiner apokalyptischen Visionen unter den Party-Gästen. Wir staunten, der Lektor wählte als Überschrift unsrer Rezension der Oper „Die Göttin des Gemetzels“, in Anlehnung an ein Theaterstück von Yasmina Reza.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 21. September 2021, für
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“