Das Durchschnittsalter der Opernbesucher steigt! Zumindest an der Wiener Staatsoper. Der neue Direktor Bogdan Roščić stellt sich der Aufgabe die Gliederung des Publikums nicht einseitig werden zu lassen. Im Künstlerhaus wird eine neue Bühne entstehen. Zweck: Die Pflege der Kinder- und Jugendoper für die erträumten Opernfans von morgen.
Der große österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl, Begründer der Logotherapie, war ein passionierter Bergsteiger. Er kam einmal auf einem Gipfel mit einem anderen Gebirgsfreund in ein Gespräch, in dem sich herausstellte, dass die beiden unter ganz anderen Voraussetzungen die Liebe zu den Bergen gewannen.
Wiener Staatsoper, Foto: Michael Pöhn
von Lothar und Sylvia Schweitzer
So sehen wir in der Heranführung unsrer Jüngsten durch dieses an sich begrüßenswerte Projekt auch nur eine beschränkte Möglichkeit und einen schmalen Weg zu einer dauerhaften, beständigen Begeisterung.
Im Mittelpunkt stehen Action und eine gute Optik, bunte, auffallende Kostüme und fantasievolle Bilder. Musik im Unterbewusstsein? Bei den Heranwachsenden werden bald andere Arten von Musik in Konkurrenz treten. Pop- und andere Typen von Stars werden wegen ihres Charismas bejubelt werden. Und die Jugend liebt einmal die Ausschließlichkeit.
Meine plötzliche, unvermutete Liebe zur Oper ist sicher nicht symptomatisch, aber trotzdem möchte ich sie in einem Absatz erzählen. In der Unterstufe des Gymnasiums wurden wir als Zwölfjährige durch die Schule mit dieser Kunstform in Berührung gebracht. Ganz blass kann ich mich an eine beschränkt szenische „Entführung“ im Wiener Konzerthaus erinnern und an „Hänsel und Gretel“ in der Wiener Volksoper als typische Einstimmung für Weihnachten. Aber anscheinend haben das meine Eltern und ich nicht als Opernbesuch wahrgenommen. Denn im Frühjahr 1956 – ich war eben dreizehn Jahre alt geworden – wurde mein erster Opernbesuch („Die Zauberflöte“ natürlich) „zelebriert“. Für diesen Abend war für Eltern, Tante und Großmutter zur Feier des Anlasses eine ganze Loge reserviert, während ein Klassenkollege von mir, schon öfters Gast in der Oper, lässig an demselben Abend auf Stehplatz dabei war. Wir besprachen zwar die Aufführung nachher zuhause, aber ein Bedürfnis einen solchen Abend zu wiederholen äußerte ich meinen Eltern gegenüber nicht.
Als ich über ein Jahr später zu Weihnachten 1957 einen Plattenspieler geschenkt bekam, wählte ich gleichsam als schmückendes Beiwerk neben Schlagerplatten auch einen „Querschnitt“ der Oper „Carmen“, aber mehr wegen der mich damals begeisternden spanischen Folklore. Angehört habe ich sie nur einmal. Was mich zu den Weihnachtsfeiertagen überraschend für Opern neugierig machte, war eine Single. „Granada“ mit Mario Lanza. Der Komponist Agustín Lara schrieb Lieder über spanische Städte in opernhaftem Stil.
Meine Frau Sylvia wiederum ist über die Operette, in die sie als Kind von ihren Eltern regelmäßig in die Wiener Volksoper mitgenommen wurde, zur Oper gekommen und ist später durch mich sogar zum Wagner-Fan geworden. Es gibt hunderte Variationen, wie man zum Opernnarren werden kann. Man sollte darüber eine Sammelbiografie herausgeben. Bei Marketingseminaren für Apotheker habe ich immer widersprochen, wenn vom „Kunden“ in der repräsentativen Einzahl gesprochen wurde. Es gibt nicht d e n Kunden. Der Kunde war für mich immer ein individuelles, einzigartiges Wesen. Deshalb sehe ich nicht allzu viel Hoffnung durch kollektive Maßnahmen bei Kindern große dauerhafte Erfolge zu erzielen. Bei Teenagern und Twens sehen wir schon größere Chancen, und zwar im Crossover.
Sind meine Frau und ich wirklich uneingeschränkte Opernliebhaber? Die Vorlieben haben sich im Laufe der Jahre bei uns stark verändert. Ein Donizetti und ein Bellini könnten uns heute für die Oper nicht mehr begeistern. Rossini ist mit Fragezeichen zu versehen. Bei Richard Wagner und bei Richard Strauss schwelgen wir. Wir sind geradezu verunsichert, wie viele Opern wir heute mit größerer Distanz – man kann schon nicht mehr sagen – erleben.
Wir befürchten, es wird sich vieles ändern. Man merkt das bei den beliebten Freiluftaufführungen im Bodensee oder im Steinbruch mit ihrer Technik. Auf das Raumfüllende der menschlichen Stimme in einem gedeckten Theatersaal wird von den uns nachfolgenden Generationen vielleicht kein Wert mehr gelegt werden. Vielleicht ist unsere Generation noch zu sehr auf das Sportliche im Gesang fixiert.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 8. Februar 2022 für
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Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 54: Lieblingssängerinnen, klassik-begeistert.de