Foto: Richard Wagner Scherenschnitt Quelle: akpool (Ansichtskartenpool) GmbH
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Es ist wie mit dem Glauben. Viele geben den Rat, an Opern allmählich und behutsam heranzuführen, am besten mit einem so genannten leichten Stück. Aber die Kunstgattung Oper wie auch andere Arten der Musik können wie eine Offenbarung wirken. Spontan, überwältigend, ungeahnt.
Der Kabarettist und Schriftsteller Wolfgang Teuschl meinte es gut, wenn er die Evangelien in die Sprache übersetzte, die wir in den Wiener Straßen zu hören bekommen. Aber fasziniert das? Das Schlüsselerlebnis schenkte uns Arthur Honeggers Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“. Glücklich, durch Zufall für eine freigewordene Karte eine Abnehmerin gefunden zu haben, war es uns dann während des Konzerts peinlich, dass wir einer kulturell nicht so Erfahrenen die pathetisch-lyrische Sprache eines Paul Claudel zugemutet hatten. Verwundert und erleichtert konnten wir aus ihren Gesichtszügen erkennen, dass gerade diese nicht alltägliche Sprache einen enormen Eindruck hinterließ. Mehr noch als uns, die wir diesem Werk auch zum ersten Mal begegnet waren.
Ist der/die Einsteiger/in gut beraten, mit Richard Wagners erstem erfolgreichem Frühwerk, der romantischen Oper „Der fliegende Holländer“, zu beginnen? Unsere erste Begegnung mit Wagner war sein letztes Werk, das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“. Also keine Nummernoper, sondern eine unendliche Melodie. Aber das ganz Andere, mit dem bisher Gehörten wenig Vergleichbare hinterließ einen gewaltigen Eindruck. Otto von Rohr, ein Gurnemanz mit idealer Wortdeutlichkeit war auch uns Unerfahrenen Führer durch das Werk.
Die Sehnsucht, den selten gespielten „Ring“ zu erleben, wuchs von Monat zu Monat. Fotos desselben in den Schaufenstern des Opernfotografen Fayer am Ring verstärkten diese. Und dann endlich „Die Walküre“ und Wotans Abschied und Feuerzauber. Im Vordergrund der Bühne eine bedrohlich sich bewegende Flammenwand. Hat etwa gar die Bühne Feuer gefangen? Stehen wir vor einem abrupten Ende der Vorstellung? Hinter der Feuerwand mehr im Hintergrund eine schwarze Gestalt mit Speer: „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!“ Und die Bläser mit der Kontrabasstuba wiederholen auf ihre Weise. Den Sorgen und Enttäuschungen, die dieser Tag draußen gebracht hatte, wird man am nächsten Tag die Spitze bieten.
Aufgelockert werden einzelne Musiktheater dieses großen Komponisten durch die sogenannte romantische Ironie. Ein gutes Beispiel der Dialog zwischen dem Drachen Fafner und Siegfried. Einige Regisseure legen da noch etwas zu. Wenn nicht die gesamte Oper damit übertrieben durchzogen wird, gibt es da oft nette Ideen. Nachdem sich Siegfried und Brünnhilde wonnetrunken in die Arme gefallen sind, füttern sie zum Ausklang der Oper junge Drachen…
Allerdings bei „Wagner für Anfänger“ eignen sich in erster Linie konventionelle Inszenierungen. Der Kelch in „Parsifal“ soll langsam immer intensiver rot glühen, das Finale aus „Die Walküre“ haben wir mangels eines Fotos hoffentlich genügend anschaulich geschildert.
Neue interessante Sichtweisen, wie die von Kirill Serebrennikovs „Parsifal“, wo am Ende kein Gral leuchtet, dafür aber offene Gefängnistüren und der Weg ins Licht gezeigt wird, sollen für spätere Abende mit schon mehr Wagner-Erfahrung aufgehoben werden. Siehe auch unsere theologische Betrachtung in Schweitzers Klassikwelt 34.
Die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik ist in der Musik erst spät, am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zu Ende gegangen. Aber besitzen nicht die meisten von uns eine romantische Seite?
Lothar und Sylvia Schweitzer, 12. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 34: Kirill Serebrennikovs „Parsifal“ theologisch betrachtet
Blu-ray-Rezension: Richard Wagner, Parsifal, Graham Vick Regie klassik-begeistert.de
Blu-ray Rezension: Richard Wagner Tristan und Isolde klassik-begeistert.de
Also, unser Klassenlehrer in den 1950er-Jahren führte uns in verschiedene italienische Opern, Wagner war nicht dabei. Später, als Wehrpflichtiger, kam ich alle paar Wochen nach Hause, nach Düsseldorf, und entzog mich dem Elternhaus und ging in die Rheinoper, 2 DM, 4. Rang Seite, und nahm, was es eben gab. Und dann schon um 16:00 h beginnend Wagner: Die Walküre, mit Astrid Varnay, Hans Hopf, Randolph Symonette… Es war um mich geschehen. Ich hatte mein Spontanerlebnis und wurde mit 19 Jahren Wagner-Fan. Die Inszenierung von Kurt Ehrhardt war angenehm zurückhaltend, nicht „gesellschaftskritisch“ und beschränkte sich auf die Archetypen. Unvergessen!
Johannes Capriolo
Ein interessanter Ansatz, der stärker beherzigt werden sollte. Meine Kinder bzw. jetzt die Enkelkinder äußerten sich auch eher enttäuscht, wenn das Geschehen auf der Bühne nicht dem vorher zu Hause erzählten Inhalt entspricht. Meine Kinder sind mit einem klassischen Holländer (Wieland Wagners Inszenierung in Hamburg mit gruselig auftretenden Holländer-Seemannen) in die Wagnerwelt eingeführt worden. Das Stück lieben sie heute noch.
Ralf Wegner
Bei meiner Frau war Parsifal tatsächlich der Erweckungserlebnis. Bei mir war es das Rheingold, wobei das in der 60er Jahren nur per Radio möglich war, da sah ich keine Inszenierung, sondern las die ursprünglichen Regieanweisungen im Textbuch und stellte mir das dann bildlich vor. So funktionierte es dann auch bei anderen Teilen des Rings. Erst viel später hatte ich die Möglichkeit, das live zu erleben.
Ich denke ebenfalls, dass es für Neulinge ideal ist, erst einmal die ursprüngliche Lesart kennenzulernen, bevor sie sich dann auch für andere Interpretationen öffnen können. Für mich ist dabei die Kenntnis der Originalhandlung nach wie vor der rote Faden, dem ich dann gerne neue Aspekte zuordne.
Lorenz Kerscher