Schweitzers Klassikwelt 72: Die Oper und ihr Bühnenbild

Schweitzers Klassikwelt 72: Die Oper und ihr Bühnenbild  klassik-begeistert.de 4. Oktober 2022

Redoutensaal Wiener Hofburg  Foto: Herwig Prammer

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Wie viele begnadete Stimmen haben einen tiefen, immerwährenden Eindruck in uns hinterlassen! Aber das Ambiente – Bühnenbild und Kostüme – ist verblasst. Oft bleibt noch der Rahmen lebendig im Gedächtnis. Der Vollmond über der Arena von Verona, das Picknick in Glyndebourne mit seiner typischen südenglischen Landschaftsszenerie oder eine „Così fan tutte“ im Großen Redoutensaal der Wiener Hofburg, noch vor der Brandkatastrophe und vor seinen späteren Veränderungen durch wohl sehr schöne, aber in die Innenarchitektur nicht passende Gemälde von Josef Mikl.

„Don Giovanni“, Salzburger Festspiele 2014 Foto. Michael Pöhn

Wenn zu den Salzburger Festspielen 2014 „Don Giovanni“ in einem Hotel spielt, dann ragt gerade diese „Don Giovanni“-Produktion für uns subjektiv heraus, weil wir Hotelatmosphären lieben.

Bei anderen Opern war es oft ein Bild, das sich uns vor allen anderen einprägte. So die Szene 2 im ersten Akt von „Dead Man Walking“ in der Semper Oper Dresden, wenn Schwester Helen auf die Bitte ihres bisher mit Briefen betreuten, zum Tode verurteilten Liebespaarmörders um ein persönliches Treffen mit dem Auto zum Gefängnis unterwegs ist. Auf der Fahrt grübelt sie über ihr Leben und ihre Entscheidung, Nonne zu werden, nach. Man sieht sie dabei unterstützt mit Video-Großaufnahmen am Volant. In der Erinnerung schob sich diese Szene an den Anfang der Oper, als würde das Stück mit dieser Szene beginnen.

Oder aus der „Pelléas et Mélisande“-Inszenierung der Wiener Staatsoper 1988 das Brunnenbild von Yannis Kokkos, wenn Mélisande mit ihrem Ehering spielt und dieser in den Brunnen fällt.

François Le Roux und Frederica von Stade, „Pelléas et Mélisande“ Wiener Staatsoper 1988 Österr. Bundestheaterverband, Bildarchiv

In den frühen Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts waren Projektionen auf den Opernbühnen etwas Neuartiges. Beim Anstellen für „Macbeth“ machte uns eine junge Dame aufmerksam wegen der Geist-Erscheinung (Bühnenbild Rudolf Heinrich) keine Seitenplätze zu nehmen.

Wenn Inszenierungen und die dazugehörenden Bühnenausstattungen Ärgernis geben, wird oft der Rat gegeben die Augen zu schließen, um besser Gesang und Orchester auf sich einwirken zu lassen. Andreas Homoki vermochte uns nicht zu überzeugen, dass „Lohengrin“ durch die Versetzung in die kleine Welt eines Bergdorfs des frühen zwanzigsten Jahrhunderts besser durchschaut werden kann. Aber rein oberflächlich betrachtet fanden wir Gefallen an den farblichen Feinheiten der Kostüme bis zu dem sich abhebenden Weiß der Hemden im Rahmen der Brauntöne des Gasthaussaals aus der Werkstatt von Wolfgang Gussmann, mussten jedoch gänzlich von der Regie Abstand nehmen, welche die Menschen teilweise wie Hemdenmatze agieren ließ. Auf dem Bühnenvorhang wurde ein Ausschnitt eines Votivbilds aus einer Wallfahrtskirche im Südtiroler Eisacktal zum Leuchten gebracht, mit der Beschriftung: „Es gibt ein Glück.“ Oft hat man den Eindruck, dass RegisseurInnen bei dem Thema „Lohengrin“ in Zweifel gestürzt werden. Homoki hat die naive Malerei der Votivbilder mit ihrer Frömmigkeit und Heilsgewissheit berührt und so seinem Verständnis für das Thema geholfen. Und für uns wurde dieses Bild zur nachhaltigsten Erinnerung an diese Produktion.

Klaus Beitl „Votivbilder“, Residenzverlag 1973

Zwei Tage vor dem Heiligen Abend 1972 war die Premiere der „Salome“. Jürgen Rose schuf unter der Regie von Boleslaw Barlog Bühne und Kostüme im Jugendstil. Mit „Viel Freude am Jugendstil!“, verabschiedete sich vier Tage später am Stefanitag Eberhard Wächter von seinen in der Überzahl weiblichen Fans, bevor er im Opernhaus  verschwand, um sich in den Jochanaan zu verwandeln. Die Produktion erfreute fünfzig Jahre, wird jedoch im Februar 2023 abgelöst werden.

Die Wiener „Salome“, Bühnenbild Jürgen Rose Foto: Michael Pöhn

Es heißt also, von einer Institution Abschied nehmen. Eine interessante Alternative sahen wir an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf. Kein palastartiges Ambiente, das Geschehen eingeengt in eine Party, bezeichnend dafür die Muster der Tapeten. „Salome“ mit ihrem großen Orchester im Graben auf der Bühne auf das Ausmaß einer Kammeroper reduziert. Ein ganz anders gearteter Bewegungsablauf der Darsteller war gefordert.

„Salome“ Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf, Bühne: Klaus Grünberg Foto: Jochen Quast

Wir bevorzugen bei Produktionen vom „Rosenkavalier“ das Wien der Zeit Maria Theresias. Also keine Zeitverschiebung zum Beispiel in das Fin de Siècle. Trotzdem haben die Prospekte  im „Rosenkavalier“ der Salzburger Festspiele 2014 einen bleibenden Eindruck hinterlassen, obwohl hier bei der Überreichung der silbernen Rose das Palmenhaus in Schönbrunn gezeigt wurde.

„Der Rosenkavalier“, Salzburger Festspiele 2014, Octavian: Sophie Koch, Regie: Harry Kupfer, Bühne: Hans Schavernoch, Foto: Monika Rittershaus

Wir bewundern die Noblesse des Bühnenbildners Johannes Leiacker, der sowohl im Theater an der Wien in „Peter Grimes“ als auch an der Wiener Staatsoper in „Don Carlos“ sich zu Gunsten einer ausgeprägten Personenregie zurücknimmt.

Peter Konwitschnys „Don Carlos“. Im Bild Jonas Kaufmann und Igor Golovatenko Foto: Michael Pöhn

Ebenso war Wolfgang Gussmann bei Willy Deckers „Lulu“ in Wien durch die Grundidee einer Arena beschränkt.

Trotz stimmlich hervorragender Aufführungen vermissen wir bis heute bei einem Werk eine ersehnte adäquate szenische Realisierung. Es handelt sich um Martinůs surrealistische Oper  „Julietta“. Müllhalden wie in der Inszenierung der Bregenzer Festspiele werden der Handlung, der Verschmelzung von Traum und Wirklichkeit, von Vergangenheit und Gegenwart nicht gerecht. In einschlägigen tschechischen Museen entdeckten wir interessante Bühnenentwürfe. Noch gut erinnern wir uns an ein bedrohlich schiefwinkliges Häuserensemble. In der Literatur fanden wir eine erfolgversprechende Arbeit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH), Studiengang Szenografie – Kostüm – Experimentelle Gestaltung. Inszenierung: Matthias Remus, Bühne: Weda-Josephine Poppinga, Maike Simon, Kostüm: Lucia Frische, Anna-Lyn Hegger.

„Julietta“ Foto: Nico Herzog

Die Salzburger Festspiele brachten 2015 einen „Fidelio“ „als Drama der in die Mauern des eigenen Körpers gedrängten Seele“ (Norbert Abels). Das betraf nicht nur Florestan und seine Mitgefangenen. Der Handlungsort blieb deshalb immer derselbe, mit Licht- und Schattenwirkungen.

„Fidelio“ Salzburger Festspiele 2015 Olga Bezsmertna als Marzelline (nur als Schatten) und Norbert Ernst als Jaquino. Foto: Monika Rittershaus

Als stimmungsvollen Abschluss gehen wir in die sogenannte Provinz. Hansjörg Stock hat für das Tiroler Landestheater in Innsbruck zu dem Puccini-Einakter „Il tabarro“ ein stimmungsvolles Pariser Seine-Ufer geschaffen. Dazu kann man sich nur zu gut den zärtlichen Austausch des später vorbeigehenden Liebespaars vorstellen.

„Il tabarro“ Tiroler Landestheater

Lothar und Sylvia Schweitzer, 4. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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