Foto: Inken Rahardt – Intendanz, Copyright: Silke Heyer
Es wäre nicht schlecht, wenn die Aufführung durch Deutschland und vielleicht sogar durch Europa reisen könnte. Immerhin singt das Ensemble auf Italienisch und die „Übersetzung“ kann auch in andere Sprachen erfolgen. Auch für Menschen, die sich nicht wirklich für Oper interessieren, wären die nicht-musikalischen Inhalte sehr spannend. Diese Opernvorstellung sollte vor allem von Recruiting-Firmen und Headhuntern gesehen werden; vielleicht gibt es ihnen Denkanstöße.
von Jolanta Łada-Zielke
Das Theater Opernloft im Alten Fährterminal Altona ist dafür bekannt, Opernmaterial an eine bestimmte, aktuelle Situation anzupassen. Dies ist auch bei „Semiramis – Wie geht Karriere?“ der Fall, deren zwei Vorstellungen am 12. und 13. November stattfanden. Der Grundgedanke dieses Projekts fügt sich in die aktuelle Diskussion über die Aufnahme der Frauen in Führungspositionen in Unternehmen ein. Auf eine solche Stelle bewerben sich die fünf HeldInnen der Vorstellung. Innerhalb von drei Tagen sollen sie sich von ihrer Schokoladenseite präsentieren und verschiedene Aufgaben erfüllen, die ihnen ein unpersönliches Bewertungssystem stellt.
Die Frage ist, welche Art von Musik könnte dazu passen? Die Regisseurin Inken Rahardt schlägt hier Barockkomponisten vor, von denen einige das Thema „Semiramis“ aufgriffen. In den italienischen Texten der Arien taucht oft das Wort „amor“ auf. Inken Rahardt gibt ihnen eine neue Bedeutung, die sich auf den zeitgenössischen Arbeitsmarkt bezieht. Neben der freien Übersetzung der Texte gibt es auch statistische Daten; zum Beispiel ein Mann, der ein Kind betreut, macht bei potentiellen Arbeitgebern einen besseren Eindruck als eine Frau, die dasselbe tut.Die Werke von Händel, Porpora, Vivaldi, Hasse und Monteverdi sind nur ein Vorwand, um die Geschichte von Semiramis aus heutiger Sicht zu erzählen. In der Mythologie präsentiert Semiramis sich auf verschiedene Weise. Obwohl sie nach wie vor so flexibel und anpassungsfähig an jede Situation ist, hat sie wenige Chancen im Kampf mit Männern um eine Führungsposition.
Auf der Opernloft-Bühne sehen wir fünf verschiedene Typen: eine stillende Mutter Christine (Pauline Gonthier), eine gepflegte und schicke Katharina (Eloïse Cénac-Morthé), einen sozialschwachen Nerd, der sich in einen Sex-Dämon verwandelt (Timotheus Maas), und einen Weltmann (Lukas Anton). Semiramis, ausgezeichnet gesungen von Freja Sandkamm, ist die eigenständigste von allen anderen, sie benimmt sich wirklich wie eine Königin. Die inszenierte Geschichte ist jedoch nicht streng und seriös, sondern enthält eine gehörige Portion Humor.
Im ersten Teil der Aufführung liegt der Schwerpunkt auf den Unterschieden zwischen den Charakteren. Jeder versucht sich von seiner besten Seite zu zeigen, häufig auf Kosten der anderen. Das Bewertungssystem reagiert auf jede Verhaltensänderung und senkt oder erhöht die Balken im Ranking. Leider sind die von Frauen fast immer niedriger als die von Männern. Die Künstler stellen die häufigsten Probleme der Arbeitnehmerinnen dar, wie sexuelle Belästigung, niedrigere Löhne als bei Männern oder die Nichtberücksichtigung ihrer Stimme in der Diskussion.
Im zweiten Akt gehen die Charaktere Interaktionen miteinander ein, zunächst diktiert durch die Länge der Balken im Diagramm. Das Publikum beobachtet die Entwicklung der Ereignisse als eine Art Reality-Show, in der nur eine Person gewinnen und den Traumjob erhalten sollte. Aber am Ende treffen alle Kandidaten eine gemeinsame Entscheidung und hören auf, Sklaven des Bewertungssystems zu sein. Ihre Aufführung eines Ausschnitts aus Monteverdis „Lamento della Ninfa“ zeigt den gemeinsamen Sieg.
Die Oper „Semiramis – Wie geht Karriere?“ hat einige Besonderheiten. Erstens liefert die Regisseurin dem Zuschauer keine vorgefertigten Lösungen, sondern zwingt ihn zum Nachdenken. Das Publikum lässt sich immer gerne überraschen und seine Erwartung wird diesmal erfüllt. Das Ende bleibt offen, wie das Fragezeichen im Titel; jeder kann sich die Fortsetzung dieser Geschichte hinzudenken. Von mir aus, könnten alle fünf eine eigene, unabhängige Firma gründen, in dem jeder seinen eigenen Arbeitsbereich hätte.
Außerdem gibt es in der Performance ein paar sehr gut lesbare Symbole, zum Beispiel eine Drehtür, die den Zugang zum Vorstellungraum „schützt“, in die man geschickt springen muss. Auch die Geste des Haareschneidens ist symbolisch, wie ein verzweifelter Versuch, „wie ein Mann” zu werden.
Alle fünf Sänger sind hier hervorragend, was selbst in Staatsopern selten vorkommt. Die Stimmen der Damen unterscheiden sich in der Farbe. In einer der Szenen zeichnen sie Kurven auf einem Diagramm und singen gleichzeitig die Koloraturen; das Bild harmoniert hier perfekt mit dem Ton. Am vielseitigsten ist Lukas Anton, genauso wie der von ihm gespielte Charakter. Er singt sogar eine Arie in der Countertenorlage, beim Wiegen von Christinas Baby, obwohl er Bariton ist. Die Vorstellung wird musikalisch von einem dreiköpfigen Ensemble unter der Leitung von Amy Brinkman-Davis betreut.
Ein einziger Mangel sind für mich die fehlenden Titel einzelner Arien im Programm und die ihnen zugeordneten Komponistennamen. Auch wenn einige Stücke fragmentarisch verwendet werden, wäre es gut, ihre Quelle zu kennen.
Es wäre nicht schlecht, wenn die Aufführung durch Deutschland und vielleicht sogar durch Europa reisen könnte. Immerhin singt das Ensemble auf Italienisch und die „Übersetzung“ kann auch in andere Sprachen erfolgen. Auch für Menschen, die sich nicht wirklich für Oper interessieren, wären die nicht-musikalischen Inhalte sehr spannend. Diese Opernvorstellung sollte vor allem von Recruiting-Firmen und Headhuntern gesehen werden; vielleicht gibt es ihnen Denkanstöße.
Jolanta Łada-Zielke, 21. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt 80: Aimez-vous Brahms? – Teil 1 klassik-begeistert.de