Ladas Klassikwelt 80: Aimez-vous Brahms? – Teil 1

Ladas Klassikwelt 80: Aimez-vous Brahms? – Teil 1  klassik-begeistert.de

von Jolanta Łada-Zielke

Fotos: CPE-Bach-Chor; @Privat ©

„Lieben Sie Brahms?“, fragt Philipp van der Besh (Anthony Perkins) die schöne Paula (Ingrid Bergmann) in der Schlüsselszene des Films „Goodbye Again“ aus dem Jahr 1961. Diese Frage gleicht einer Einladung. Mit der wende ich mich jetzt an unsere Leser und lade Sie zu einem Konzert mit Werken von Brahms und Schumann ein, die sich sowohl zum Genießen als auch Nachdenken eignen. Dieses musikalische Ereignis findet am Sonntag, 26. September, im Kleinen Saal der Elbphilharmonie statt. Auf der Bühne erscheinen der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg und die Pianistin Ragna Schirmer. Das Konzert leitet Hansjörg Albrecht.

Mit diesem Repertoire hätte das Ensemble im Mai 2020 auftreten sollen. Im letzten Jahr übte der Chor das Programm mit Hilfe von Online-Proben und einigen Präsenzproben, die im Sommer stattfanden. Das Datum der öffentlichen Aufführung verschob sich wieder und wieder, aber wir haben es endlich geschafft.

Am letzten Sontag testete der Chor seine Form bei einem Konzert mit Brahms A-Capella-Stücken in der St. Marien Kirche in Winsen/Luhe. Dieser Ort war nicht zufällig gewählt. Johannes Brahms verbrachte in Winsen/Luhe Frühling- und Sommertage in den Jahren 1847-51 und komponierte dort Lieder für einen Kinder- sowie einen vierstimmigen Männerchor. Die meisten Lieder davon sind verschollen. Aus dieser Zeit sind nur einige Klavierstücke erhalten geblieben, darunter die Fantasien über Themen aus Werken anderer Komponisten und das Scherzo es-Moll“ Op. 4. [1]

Die vom CPE-Bach-Chor präsentierten Lieder stammen aus der späteren Zeit von Brahms’ Schaffen, konkret von 1860 bis 1880. Die Erstaufführungen der meisten von ihnen fanden in den Cäcilien-Vereins-Konzerten in Hamburg unter der Leitung von Julius Spengel statt.

Das Programm des Konzerts in der Elbphilharmonie wird um Vokal- und Klavierstücke der beiden oben genannten Komponisten erweitert. Schumanns teils dynamisches, teils lyrisches „Zigeunerleben für Chor und Klavier“ umrahmt den Auftritt. Als nächstes kommen die Drei Gesänge Op. 42. Das erste, „Abendständchen“, eröffnet eine geheimnisvolle Szenerie: Dämmerung, Zeit der Stille und der Einkehr. Das Zwielicht und die damit einhergehende Ruhe verbinden Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit – oder Leben und Tod? Dieses Lied fungiert in diesem Zyklus als Einleitung für die beiden folgenden bedeutenderen Stücke. Das im Jahr 1860 komponierte „Vineta“ handelt von der legendären, versunkenen Stadt in der Ostsee, deren Glocken man immer noch aus der Tiefe hören soll. Der Grund dieser Katastrophe sei der moralische Verfall der Bewohner der Stadt gewesen.

Die Geschichte im „Darthulas Grabgesang“ (entstand im Juni 1861), kommt aus der keltischen Mythologie. Ursprünglich stammend aus den Liedern Ossians wurde sie im vorletzten Jahrhundert von Gottfried Herder neu verschriftlicht. In „Darthulas Grabgesang“ lässt Brahms monodische, mittelalterlich anmutende Gesänge anklingen, die gleichermaßen Trauer, Ruhe und Stille ausstrahlen. Der Mittelteil des Stücks wirft einen Blick zurück ins Leben (in eine entferntere Tonart, der Unterdominante in Dur). Der Dichter beschreibt die Schönheit der Welt. Eine junge Frau verlässt diese und fällt in ewigen Schlaf. Die Romantiker bezogen sich oft auf mittelalterliche Literatur, in der der Tod mit dem Schlaf verbunden ist.

Foto: @Privat

Laut der Mythologie ist Darthula die letzte Nachfahrin Kollas aus dem Stamme Truthils. Sie stirbt mit einem Speer in der Seite und sinkt mit blutender Brust im Angesicht des Feindes nieder. Interessanterweise singen die Barden des Feindes Kaimar „Darthulas Grabgesang“, indem sie ihre Schönheit beweinen, obwohl sie sie selbst ermordeten.

Als nächster Punkt stehen im Programm Die sieben Lieder Op 62. Ihre Tonsprache ist schlicht und natürlich. Die Thematik des Zyklus betrifft das Leben selbst: jugendliche (und enttäuschte) Liebe, der aufregende Weg zur Liebsten, Naturverbundenheit und Weltflucht, Liebesnacht und Lebenslust, Verlust, Strafe, Vergänglichkeit und Einsamkeit.

Dem ersten Lied „Rosmarin“ habe ich einen einzelnen Beitrag in klassik-begeistert gewidmet, weil diese Pflanze auch in der polnischen Kultur als Symbol für Liebe und Tod gilt:

Ladas Klassikwelt 73, Der Rosmarin (klassik-begeistert.de)

Bei dem nächsten Stück – „Von alten Liebesliedern“ – ändert sich die Stimmung total. Ein junger Mann reitet zu seiner Liebsten und ermutigt sein Pferd, schneller zu galoppieren. Die reflektive „Waldesnacht“ handelt von der Glückseligkeit in der Natur und romantischer Weltflucht.

„Dein Herzlein mild“ besingt eine Liebesnacht: die Hingabe zweier Liebender als Symbol höchster Weltlichkeit. Zunächst komponierte Brahms dieses Stück im Jahr 1860 für vierstimmigen Frauenchor.

Das Lied „All meine Herzgedanken“ (Uraufführung 1886) handelt vom Verlust, von der Ruhelosigkeit und der Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe.

„Es geht ein Wehen“ berichtet von der Strafe, die durch die schöne Windsbraut verhängt wird – in der griechischen Mythologie heißt die Windsbraut Aello. Als Tochter des Thaumas und der Elektra war Aello eine der Harpyien, die von den Göttern gesandt wurden, um – auch gewaltsam – Frieden zu stiften und Bestrafungen für Verbrechen zu vollstrecken. Die Harpyien wurden als geflügelte Schönheiten dargestellt, die sich später in hässliche alte Frauen mit scharfen Krallen umwandeln. Sie entführen Menschen in die Unterwelt, um sie dort zu foltern.

„Vergangen ist mir Glück und Heil“ (entstand im Winter 1860-61) ist neben „Darthulas Grabgesang“ mein zweites Lieblingslied aus diesem Programm. Seine Harmonie ist eine Kombination der mittelalterlichen Struktur mit romantischer Chromatik. Es hat einen fast asketisch reinen Charakter und ist formal an die mittelalterliche Barform angelehnt. Der Inhalt berichtet vom Verlust und von der Einsamkeit.

Auch die Fünf Gesänge Op. 104 beziehen sich auf die Vergänglichkeit des Lebens. Der Herbst fungiert als Bild des letzten Lebensabschnitts; mal nachdenklich, aber auch mal heiter, mal als stürmischer Blick zurück in die vergangene Zeit der Jugend, mal verhalten und vorsichtig – in verschiedenen Varianten wird auch hier die Endlichkeit des Lebens besungen.

Die Welt der Musik war und ist voller Verflechtungen. Johannes Brahms war mit Clara und Robert Schumann befreundet. Es gibt auch eine Verbindung zu Carl Philipp Emanuel Bach; Brahms besaß sein Lehrbuch „Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen“.

Nach dem Vorkonzert in Winsen/Luhe ist der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg bereit, in der Elbphilharmonie am Sonntag, 26. September 2021, aufzutreten. Es war für uns alle ein wunderbares Erlebnis, nach der 18-monatigen Pause wieder auf der Bühne aufzutreten. Wir waren maximal konzentriert und hörten einander zu. Den Ablauf der gesamten Aufführung betreut Hansjörg Albrecht, der unser ganzes musikalisches Potenzial voll ausspielen kann. Wenn Sie also Brahms (und Schumann) lieben, würden wir gerne am kommenden Sonntag unsere Liebe zu den beiden mit Ihnen teilen.

Das detaillierte Programm des Konzerts finden Sie hier:

https://cpe-bach-chor.de/konzerte/

Jolanta Łada-Zielke, 20. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Vielen Dank an meine Mitsängerin Sophie Werkmeister fürs Teilen ihrer Überlegungen zum Konzertprogramm.

[1] Die Quelle: Kurt Hofmann, Johannes Brahms und Hamburg, Dialog-Verlag, Reinbek 1986.

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Jolanta Łada-Zielke, Jahrgang 1971, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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